„Wozu brauchen wir eigentlich unsere Dokumentation?“ Das war eine der zentralen Fragen, die der größte europäische Zuckerhersteller Südzucker AG sich stellte, als er 2011 seine Engineering-Situation analysierte und das Projekt Prozess-Optimierung in diesem Bereich startete. Neben den üblichen behördlichen Auflagen, Sicherheitsaspekten, dem Thema Wartung und Instandhaltung oder der Prozess-Dokumentation für Anlagenplanung und –betrieb war eine wegweisende Antwort: „Zur Know-how-Sicherung!“ Daraus ergaben sich entscheidende und umfassende Anforderungen an ein entsprechendes Software-System.
Die Ausgangslage: sehr inhomogenen Dokumentationen insbesondere der verfahrens- und elektrotechnischen Anlagen in unterschiedlichsten Formaten und Qualitäten. Diese Inhomogenität wuchs im Lauf von Jahrzehnten in den verschiedenen, international verteilten Produktionsstandorten durch den Einsatz diverser Tools und Standards.
Die Historie von Südzucker ist lang: 1926 schlossen sich fünf Einzel-Gesellschaften zur Südzucker AG in Mannheim zusammen. Die älteste dieser Gesellschaften war bereits 1837 gegründet worden. Heute ist das Unternehmen Europas führender Anbieter von Zuckerprodukten. Die rund 18.500 Mitarbeiter produzieren neben jährlich ca. 4,7 Mio Tonnen Zucker auch Fruchtzubereitungen, Spezialitäten wie alternative Kohlenhydrate sowie Bioethanol.
Ob Verfahrensfließbilder (PFD), Rohrleitungs- und Instrumentierungsschemata (PID), Equipment- und Armaturenlisten, MSR-Übersichten, Elektropläne oder Funktionsbeschreibungen: „Es fehlte eine zentrale Ablage der Dokumentation. Unser historisch gewachsenes Know-how ist sehr vielfältig, das wollten wir zusammenfassen und vereinheitlichen.“, erklärt Josef Jakob, Projektleiter in der zentralen Engineering-Abteilung (CED) bei Südzucker. Wichtige Informationen lagen zum Teil in kleinen Einzeldatenbanken, zum Teil in separat gehaltenen Zeichnungs-Files. Die Abteilungen Konstruktion, Verfahrens- und E-Technik verbrachten viel Zeit mit Abstimmungen zum Zweck der Systematisierung.
Zusammen verwalten, was zusammengehört
Für die Dokumentation seiner Basic und Detail Engineering-Prozesse suchte Südzucker 2011 nach einem disziplinübergreifenden Softwaresystem. Eine reine Zeichnungsverbesserung mit CAD kam nicht infrage. Datenbankgestütztes CAE war eine Grundvoraussetzung. Es sollte von der verfahrenstechnischen 2D-Darstellung über Rohrleitungslisten und MSR-Übersichtspläne bis zum elektrotechnischen Detailengineering alle Gewerke übersichtlich zusammenführen, Wartung inklusive. Damit wollte die CED gleichzeitig verbindliche Standards für Engineering und Dokumentation einführen. Unter dem Motto „zusammen verwalten, was zusammen gehört“ machten sich die Engineering-Fachleute auf die Suche nach einem geeigneten System. Fündig wurden sie nach gründlicher Analyse des Marktes bei der Aucotec AG, einem Software-Entwicklungs-Unternehmen mit fast 30 Jahren Erfahrung.
„Der ganzheitliche Ansatz der Plattform Engineering Base (EB) war für uns eines der wichtigsten Entscheidungskriterien - und dass die dazugehörige Datenbank als einzige am Markt absolut durchgängig ist“, berichtet Josef Jakob. Dass EB als etabliertes System bereits Erfahrungen aus der Prozessindustrie mitbrachte, war sicher ein weiterer Pluspunkt bei der Entscheidung. „Mit dem disziplinübergreifenden Ansatz können wir alles abdecken, von der ersten Idee für eine Anlage bis zum letzten Sensor im Feld.“
Das System verbindet alle beteiligten Disziplinen auf einer gemeinsamen Plattform: von der verfahrenstechnischen Basisplanung über das darauf aufbauende Detail Engineering mit EMSR-Technik, prozesstechnischen Details, allen dazugehörigen Dokumententypen und dem Funktionsplan bis zur Wartung und Instandhaltung. Damit ist nicht nur die Definition von Anlagen, Teilanlagen, Prozesseinheiten, Maschinen und Apparaten oder Messstellen samt ihrer Spezifikationen abgedeckt. Das mehrsprachige System bietet gleichzeitig die Erstellung von PFDs, PIDs und den daraus abgeleiteten Listen (Equipmentlisten, Datenblätter), die auch an korrespondierende Autorensysteme weitergegeben werden können,etwa an 3D-CAD- oder Prozessleitsysteme. „Einmal erstellte Vorlagen für Zeichnungen und Dokumente können gemeinsam genutzt werden“, erzählt Projektleiter Jakob.
Alle beteiligten Disziplinen greifen auf dieselbe Datenbasis zu und jeder Nutzer erkennt die Änderungen eines anderen Projektbeteiligten unmittelbar, auch in einer anderen Ansicht. Wird in der Grafik etwas hinzugefügt, so ist das automatisch auch im Explorer und den korrespondierenden Listen sichtbar. „Wir sparen deutlich an Abspracheaufwand und es gibt viel weniger Übertragungsfehler, da keine mehrfachen Eingaben von Daten mehr nötig sind, wie sonst mit verschiedenen Tools für einzelne Aspekte. EBs Objektorientierung macht unsere Arbeit wesentlich schneller und einfacher.“, erzählt Projektleiter Jakob.
„Von der ersten Idee bis zum Sensor im Feld“
Ein gemeinsames Werkzeug für die Dokumentation aller Aufgabenstellungen hat noch weitere Vorteile: „Durch den Einsatz der Citrix–Technologie benötigen wir nur noch eine zentrale Installation im Rechenzentrum, eine Datenbank, ein Training“, erklärt der Engineering-Experte, „das setzt übergreifende Standards.“ Auch die zentrale Wartbarkeit der Software sieht er als besonderen Vorteil. So werden die Lizenzen zentral auf einem Server verwaltet und sind je nach Bedarf auf den verteilten Clients nutzbar.
Integrationen, zum Beispiel in SAP, müssen nur für dieses eine System entwickelt werden. Das entlastet die die IT auch bei Updates. Nutzer aller Standorte erhalten ein einheitliches Training. Das heißt außerdem, dass sie flexibel zwischen den Standorten eingesetzt werden können. Flexibilität schätzt Südzucker aufgrund der vielfältigen Anlagen-Historien auch bei der Anbindung an die Prozessleittechnik, über die die Engineering-Experten des Unternehmens zurzeit nachdenken. Die Unabhängigkeit und Offenheit der Plattform EB erlauben enge Anbindungen an alle gängigen Automatisierungs-Systeme, ob von Emerson, Siemens oder ABB.
Nach dem ersten Pilotprojekt, der Errichtung einer Trocknungsanlage, und einer anschließenden Customizingphase nutzt Südzucker jetzt die Software erstmals für ein Greenfield-Projekt: die Planung und Umsetzung einer 2016 in Betrieb gehenden Stärke-Produktionsanlage im Umfeld eines Bioethanolwerks und einer Zuckerfabrik. 2014 begann Südzucker dafür mit der Dokumentation zweier bestehender Werke und aktuell ist die Einführung für die Dokumentation aller europäischen Werke geplant.
Demnächst hat Projektleiter Jakob Integrationen in Richtung 3D und SAP im Visier. Dafür sieht er die Offenheit und Erweiterbarkeit von Engineering Base als ideale Voraussetzung. „Mit der zentralen Datenhaltung wird unser Know-how gesichert und übersichtlich zusammengefasst. Damit ist eines unserer wichtigsten Ziele erreicht!“