Smart Traffic & Mobility Unterirdische Bauarbeiten per Funk überwachen

Phoenix Contact Deutschland GmbH

Zeit- und kostensparend: Der Nord-­Ostsee-Kanal bietet Schiffen eine Abkürzung. Seine Modernisierung darf den Schiffsbetrieb nicht stören.

Bild: Louis-F. Stahl, Phoenix Contact
13.05.2015

Der Nord-Ostsee-Kanal braucht Modernisierung. Ein Funksystem überwacht die Baumaßnahmen, die in 30 Metern Tiefe stattfinden.

Pro Jahr durchqueren rund 35.000 Schiffe – darunter große Containerschiffe – die Wasserstraße und ersparen sich so einen 800 Kilometer langen Weg um die Nordspitze Dänemarks. Die Schleusenanlage, die aus einer großen und einer kleinen Schleusengruppe mit jeweils zwei Kammern besteht, ist damit Teil der meistbefahrenen künstlichen Seeschifffahrtsstraße der Welt. Die Gruppen wurden 1894 (Kleine Kammern) respektive 1914 (Große Kammern) eröffnet und gehören weltweit zu den größten Bauwerken dieser Art.

Am östlichen Ende des Nord-Ostsee-Kanals befindet sich die Schleusenanlage Kiel-Holtenau. Nach ihrem über hundertjährigen Betrieb entsprechen die Versorgungsdüker (unter den Schleusengruppen errichteten Tunnel, in denen die Leitungen für die Energieversorgung, Wasser und Abwasser sowie die Kommunikation verlegt sind) nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik. Aus wirtschaftlichen Gründen sowie zur Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit der Schleusengruppen entschieden sich die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV), die die Schleusen betreibt, für einen Ersatzneubau. Während die Schleusen weiterhin befahrbar sind, wird in zirka 30 Meter Tiefe unter der gesamten Anlage (siehe Bild auf der nächsten Seite) mit modernster Technik ein etwa 400 Meter langer und rund zwei Meter breiter Tunnel gebohrt.

Dem Anschluss der Versorgungsleitungen dienen mehrere Schächte, die neu zwischen den Kammern angelegt werden. Dieser Bauabschnitt bereitet weitere umfassende Maßnahmen zur Modernisierung der Schleusenanlage mit ihren Schleusengruppen und -kammern vor. Auf den Mittelmauern der Schleusengruppen befinden sich die Schleusenleitstände, welche die Koordination des Schleusenbetriebs und den Schleusungsvorgang übernehmen. Unterstützt werden sie durch die Festmacher, die an der Kaimauer die Leinen zur Sicherung der Schiffe in der Schleuse übernehmen.

Zur Überwachung der Baumaßnahmen dient eine Mess­zentrale innerhalb des Pegelturms auf der Mittelinsel als Kontroll- und Alarmierungssystem. Denn geodätische und geotechnische Messungen am Mauerwerk der Schächte, Kontrollgänge und Kaimauern erkennen sofort Deformationen und Verschiebungen sowie veränderte Pegelstände in den Grundwasser-Messstellen.

Die Werte werden dann in der Messzentrale verarbeitet. Über die komplette Anlage verteilt sind geodätische Sensoren, Pegelsensoren, Neigungungsmesser und Wegaufnehmer angebracht, die selbst kleinste Abweichungen der Normwerte feststellen.

Distanzen und Hindernisse drahtlos überwinden

Zur Bauwerksüberwachung und Auswertung der Mess­ergebnisse kommen Komponenten der Glötzl Gesellschaft für Baumesstechnik aus Rheinstetten bei Karlsruhe zum Einsatz. In der Schleusenanlage in Kiel-Holtenau werden die Mess­instrumente in vier Bereichen von dezentralen Messwertaufnehmern – sogenannten MCC-Systemen (Measurement Communication Control) – erfasst. Die Herausforderung bestand darin, dass die vier räumlich verteilten Stationen ihre Daten an die zentrale MCC-Masterstation übermitteln, die in der Leitzentrale auf der Mittelinsel angesiedelt ist.

Zwischen den einzelnen Stationen und der Leitzentrale müssen nicht nur mehrere hundert Meter Distanz, sondern auch die Schleusenkammern überwunden werden. Deshalb scheidet das Verlegen von Leitungen aus technischen und wirtschaftlichen Gründen aus. Hier hilft das Radioline-Funksystem von Phoenix Contact, das flexibel einsetzbar ist. Mit den Modulen lassen sich sowohl I/O-Signale als auch serielle Daten übertragen, ohne dass dabei Folgekosten entstehen.

Das MCC-System kann unterschiedliche Sensoren erfassen. Die an den Schleusenbauwerken montierten Sensoren – sogenannte Tiltmeter und Wegaufnehmer – tasten die Oberfläche mit hoher Präzision ab und nehmen so Neigungen und Verschiebungen der Kammerwände auf. Außerdem wird an zehn Stellen durch Pegelsensoren der Grundwasserstand ermittelt. Diese Signale geben die Sensoren über eine serielle RS485-Schnittstelle aus.

Das Radioline-Funksystem, das als Kabelersatz arbeitet, wird direkt an den RS485-Ausgang des Messwertaufnehmers angeschlossen und kommuniziert die Werte dann drahtlos an die Leitzentrale. Hier speichert der MCC-Master die Daten und wertet sie aus. Darüber hinaus werden Parameter der Funkstrecke wie die Signalstärke analysiert und überwacht.

Übertragung nach Verbindungsunterbrechung

Zwischen den vier Stationen gibt es meist keine Sichtverbindung, da häufig sehr große Schiffe geschleust werden. Aufgrund der Mesh-Netzwerkfähigkeit des Radioline-Funksystems können jedoch bis zu 250 Teilnehmer über Repeater-/Slave-Stationen untereinander Daten austauschen. Sobald also die Verbindung zwischen zwei Stationen unterbrochen ist, sucht sich die Funklösung automatisch einen neuen Übertragungsweg zu einer anderen in der Nähe befindlichen Radioline-Komponente.

Auf diese Weise ist eine unterbrechungsfreie Kommunikation zwischen den dezentralen Stationen und der Leitzentrale sichergestellt. Die in das Funkmodul integrierte Bargraph-Anzeige und der RSSI-Signalausgang ermöglichen die Feinjustierung und Ausrichtung der Antennen. Die auf Basis der robusten Trusted-Wireless-Technologie funkenden Radioline-Geräte sind eigens für die Weiterleitung von Signalen über große Entfernungen entwickelt worden. Sämtliche Messwerte lassen sich damit aufzeichnen, sodass eventuell auftretende Störfälle früh erkannt und sofort Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.

Lücke zwischen Wireless-Standards geschlossen

Grundlage des Radioline-Systems, das sich an den besonderen Bedürfnissen industrieller Infrastruktur-Anwendungen orientiert, bildet die neue Funktechnologie Trusted Wireless 2.0. Sie schließt die Lücke zwischen WirelessHart als Lösung für Sensornetzwerke in der Prozesstechnik und den in der Fabrikautomation etablierten Wireless-Standards Bluetooth sowie Wireless-LAN.

Je nach Applikationsanforderung bieten die Radioline-Module verschiedene Einstellmöglichkeiten. Von der einfachen Punkt-zu-Punkt-Verbindung bis zu selbstheilenden Mesh-Netzwerken lassen sich beliebige Netzwerkstrukturen aufbauen. Gleiches gilt für das Anwendungsspektrum, das neben der einfachen I/O-Übertragung und dem seriellen Kabelersatz auch die direkte Integration von I/O-Modulen in die Modbus-RTU-Steuerung erlaubt.

Eine anwenderfreundliche kostenlose Diagnose- und Konfigurations-Software ermöglicht die einfache und komfortable Einstellung der seriellen Schnittstellen-Parameter der Radioline-Module. Die im lizenzfreien 2,4-GHz-Frequenzband arbeitende Lösung ist zudem robust und zuverlässig, kann große Reichweiten überbrücken, bietet gute Diagnosemöglichkeiten sowie die Koexistenz zu anderen im gleichen Frequenzband funkenden Systemen.

Bildergalerie

  • Allgegenwärtig: Die Messwertaufnehmer von Glötzl sind in vier verschiedenen Abschnitten der Schleuse installiert.

    Allgegenwärtig: Die Messwertaufnehmer von Glötzl sind in vier verschiedenen Abschnitten der Schleuse installiert.

    Bild: Phoenix Contact

  • Übersicht: Grafische Darstellung der Schleusenanlage Kiel-Holtenau

    Übersicht: Grafische Darstellung der Schleusenanlage Kiel-Holtenau

    Bild: Phoenix Contact

  • Multitasking: Mit den Radioline-Modulen lassen sich sowohl serielle als auch I/O-Daten weiterleiten.

    Multitasking: Mit den Radioline-Modulen lassen sich sowohl serielle als auch I/O-Daten weiterleiten.

    Bild: Phoenix Contact

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