„Die Schwaben Asiens“ werden die Bewohner des Inselstaats Taiwan von den deutschen Medien gerne genannt. „Ganz sicher, ob das auf uns sämtliche 23 Millionen Taiwaner passt, bin ich mir da zwar nicht“, lacht Chih-Hang Cheng, General Manager der taiwanesischen Recom Technology, „aber das ein oder andere ist vielleicht dran an diesem Vergleich. In jedem Fall, haben wir hier in Taiwan ein extrem hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau bei unseren Arbeitskräften, eine sehr große persönliche Loyalität und Familienverbundenheit der meisten Menschen – und dennoch eine immer größere Bereitschaft der jungen Taiwaner in die Welt hinauszuziehen und dort Erfahrungen zu sammeln.“
Manche bleiben im Ausland, manche gehen zurück auf die Insel – und bleiben dort wie Cheng mit der westlichen Welt in enger Verbindung: Recom Technology ist die asiatische Tochterfirma der Recom-Gruppe mit Sitz in Neu-Isenburg und im österreichischen Gmunden. Die Firma mit den ehrgeizigen Wachstumszielen von 46 Millionen US-Dollar (2013) auf 100 Millionen US-Dollar im Jahr 2017 ist bekannt für ihre Kleinstleistungswandler bis 60 Watt.
Chih-Hang Chengs Familie ist eine der Eigentümer der taiwanesischen Recom-Tochterfirma in Kaohsiung im Süden des Inselstaats, zwei Schnellzugstunden von Taipeh entfernt und mit etwas niedrigerem Gewerbeimmobilienkosten- und Gehaltsniveau, als die in jeder Hinsicht in die Höhe schießende Inselhauptstadt. Cheng, der in Kaohsiung Elektronikdesign und in Deutschland Betriebswirtschaft studiert und abgeschlossen hat, leitet dort die Fertigung der Recom-Kleinleistungswandler: Eine Art Manufaktur mit mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Statt die Schwabenmetapher für allzu bare Münze zu nehmen, sieht Cheng die Stärke Taiwans darin, zu lernen „das Beste aus all den Kulturen herauszuholen, die hier historisch zusammen getroffen sind und zusammen treffen“: Die Improvisationsfähigkeit der Chinesen. Die Präzision und extremen Qualitätsstandards der Japaner als ehemalige Besatzungsmacht in Taiwan. Und dazu die immer höheren Umwelt- und Sozialstandards – von Gesundheitsversorgung bis nun auch Rentenversicherung für alle, in denen die taiwanesische Demokratie sich immer mehr den Standards der westlichen Welt annähert. So ist Taiwan mittlerweile mehr als die verlängerte Werkbank der westlichen Welt der 80-er Jahre. „Die ist längst in billigere Regionen weitergezogen“, bestätigt Karsten Bier, Chih-Hang Chengs europäischer Partner, Inhaber und Geschäftsführer der Recom-Gruppe. „Chih-Hang und seine Ingenieure und Mitarbeiter verkörpern vielmehr exakt unsere Philosophie von High-Mix/Low-Medium Volume.“ Gemeint sind Spezialanfertigungen von Wandlern und kleineren Chargen on demand – bis hin zur Größenordnung von mittleren sechsstelligen Stückzahlen. Das, so Cheng stolz, sei mit ungelernten Arbeitern in China nicht zu machen. Er beschäftigt vorwiegend jüngere Frauen mit einer Ausbildung auf dem Niveau eines „technischen College“, die Wandler mit Adleraugen, Feingefühl und höchster Präzision nach Lötplänen verdrahten oder winzige Spulen wickeln. Stolz präsentieren und erklären sie ihre Arbeit. „80 Prozent der jungen Taiwaner haben inzwischen eine Ausbildung auf mindestens diesem Niveau“, so Cheng, ebenfalls nicht ohne Stolz. Und er stellt Susi vor – die Ingenieurin in seinem Team, die mit mehr als zwei Dienstjahrzehnten am längsten im Haus ist.
Susi experimentiert gerade an der Miniaturisierung eines bestehenden Produkts. Sie steht an einem Teststand, ändert winzigste Schweißnähte von Hand und feilt zusammen mit der Qualitätssicherung an den Plänen für die Testreihen für ihre Entwicklung. Susis Kollege entwickelt seit zehn Jahren für Recom. Er zeigt Versuchsstände in denen er die Messungen für seine High-Power-Testreihen durchführt. Das Ziel: höhere Leistungen in kleinere Gehäuse packen. Ein anderer Ingenieur arbeitet speziell an Wirkungsgraden und „Green Efficiency“-Themen.
40.000 Teile am Tag
Um eine gleichbleibende Qualität zu gewährleisten und auch in größeren Losen produzieren zu können, haben die Recom-Eigner aus Österreich und ihre taiwanesischen Partner zudem im vergangenen Jahr im neuen Industriegebiet von Kaohsiung hinter dem Hafen ihre erste eigene High-Tech-SMD-Bestückungsanlage für obenflächenmontierte, gelötete Bauelemente mit drei hochautomatisierten Produktionslinien für 10-Phasen-Dampflöten mit vorwiegend taiwanesischem und japanischen Anlagenpark in Betrieb genommen. Investitionssumme: 4 Millionen Euro. Anzahl der Mitarbeiter: 49. Der Teileoutput beträgt pro Tag in etwa 40.000 Stück. Rüstzeit: Weniger als eine Viertelstunde. Die Reject Rate – auch darauf sind die Eigner sehr stolz – liegt bei minimalen 0,1 Prozent.
„Wenn der Grad der Automatisierung niedriger wäre oder der Anteil einfacher, ungelernter Arbeiten höher, beziehungsweise der benötigte Qualitätsstandard niedriger als in diesen beiden Fertigungen“, schränken Bier und Cheng sichtlich schweren Herzens ein, „dann wäre Taiwan als Standort nicht mehr rentabel.“ Viele Firmen wählen dann den Weg nach China. Arbeitskosten dort: ein Drittel bis die Hälfte. Für die High-Mix/Low-Volume-Anforderungen des Unternehmens sei Taiwan jedoch vor allem wegen des hohen Niveaus der Mitarbeiter ideal. „Nur für den externen Kontakt, sollten wir noch an den Englischkenntnissen ansetzen, hier hapert es auch bei Hochschulabsolventen noch häufig“, so Chih-Hang Cheng. Übrigens einer der Gründe, warum der Asien-Vertrieb der Recom-Gruppe trotz taiwanesischem Tochterunternehmen von Singapur aus organisiert ist. Deutschkenntnisse sind natürlich noch seltener. Auch Cheng hat eher durch Zufall an der Hochschule als zweite Pflichtfremdsprache nach Englisch Deutsch gelernt: „Der Japanischkurs war überlaufen, zu russisch hatte ich keinen Bezug und ich wollte – wie so oft in meinem Leben - nicht alles so machen, wie es alle machen. Ein Freund hat Deutsch gelernt, und das hat mir gefallen.“ Der Deutschlehrer – ein Taiwaner und Linguist, der lange in Deutschland gelebt hat – habe dann so ausdauernd von Deutschland geschwärmt, „dass ich beschlossen habe, für ein Zweitstudium nach Deutschland zu gehen.“
Strategie: Zero Tolerance
Cheng war nach seinem Studium in Deutschland bereits auf der Suche nach einer Promotionsstelle, beschloss aber dann auf Bitten seiner Familie heimzukommen und das Werk in Kaohsiung zu übernehmen. Besonders wichtig ist ihm die Qualität seiner Ergebnisse: „Wir haben in meinem Manufacturing-Werk auf jeder Stufe Qualitätskontrollen. Zero Tolerance. Was dieses Haus verlässt, muss zu 100 Prozent zuverlässig funktionieren. Jeder unserer 170 Mitarbeiter weiß das. Das war meine Mission seit ich hier vor fünf Jahren angefangen habe. Nach etwa zwei Jahren war es angekommen: Nicht mauscheln, nicht geht-schon, nicht improvisieren. Zuverlässig planen und funktionieren.“ Die internen Rückläufe, die nachgearbeitet werden müssen, sind inzwischen auf weniger als ein Prozent gesunken. „Wir als Management-Team sind extrem stolz, dass wir das geschafft haben. Das ist etwas, für das normalerweise die Japaner berühmt sind“, freut sich Cheng, dessen Familie quasi stellvertretend für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel in Taiwan steht. So ist es ein offenes Geheimnis, dass Taiwan ein Schicksal mit den Schwaben, beziehungsweise ganz Deutschland, teilt: Auch nicht mehr jedes Teil auf dem als Qualitätsnachweis „Made in Taiwan“ steht, stammt bekanntlich im Inneren wirklich zu großen Teilen aus taiwanesischer Fertigung. Cheng: „Die Märkte ändern sich. Das bedeutet in Asien meist: Ein Produktzyklus, dann ist die Firma am Ende. An Deutschland hat mich fasziniert, dass es dort mittelständische Unternehmen gibt, die Generationen überleben. Wie das geht, das wollte ich lernen und nun möchte ich es anwenden.“ Auch Chengs Vater hat in den 80-er Jahren noch eine verlängerte „Bestückungswerkbank“ für Hitachi in Kaohsiung betrieben. Die, so Chih-Hang Cheng, wurde dann – wie so viele – unrentabel. Es folgten Immobilien- und andere Beteiligungen, nun die Recom-Partnerschaft. Back to the roots – doch auf völlig anderem technologischem und Know-how-Niveau.
Chih-Hang Cheng hat sich sichtlich die Achtung seiner Mitarbeiter erworben. Sie stellen Fragen beim Vorübergehen, diskutieren mit ihm und den Gästen, halten zusammen, um ein optimales Ergebnis zu bekommen. „Es war schwierig, gleichzeitig hart und klar zu sein und dennoch zu erreichen, dass sich die Mitarbeiter auch trauen, Kritik zu äußern, oder von sich aus Vorschläge zu machen“, blickt Cheng auf die manchmal nicht ganz einfachen Anfangsjahre zurück. In diesem Punkt unterscheide sich in Taiwan die Kultur völlig von Deutschland, wo er während und nach seinem Studium zahlreiche Firmenpraktika, unter anderem bei Siemens, gemacht hatte. „Von sich aus hätte hier niemand den Mund aufgemacht. Das Klischee ist nicht ganz falsch: Das System war früher sehr zurückhaltend. Man hatte fleißig zu sein, notfalls zu improvisieren, seinen Job zu machen und folgsam zu sein. Sehr autoritär – damit erreichen wir aber nicht die Kreativität und Innovationskraft, die wir brauchen, um uns global als Entwicklungsstandort zu profilieren – und auch nicht die Qualität, die wir hier anstreben. Dabei haben wir die gut ausgebildeten und handwerklich geschickten Techniker und Ingenieure, die wir brauchen, um genau das zu erreichen.“ Als Beleg führt er sein bisher schnellstes Time-to-Market an: Knappe zwei Monate von der Entwicklung bis zur Zulassung für ein eiliges Ersatzprodukt eines US-amerikanischen Chipherstellers.
Starkes Senioritätsprinzip
Manchmal beugt sich jedoch auch das moderne Business noch den traditionellen Regeln. Auch auf einer asiatischen kleinen Insel ohne klar definierten geopolitischen Status, die westlicher nicht wirken könnte. Mit freundlichen Menschen, zuvorkommend, serviceorientiert – aber keine Asienklischees bedienend. Sauber, strukturiert und allem was man sich wünschen kann. Dennoch überlässt der Mittdreißiger Cheng alle finanziellen Verhandlungen mit Banken und Lieferanten konsequent seinem Vater. „Das Senioritätsprinzip ist immer noch stark hier“, so Chih-Hang Cheng. Also doch nicht ganz so schwäbisch. Allerdings: Gegen ordentliche Spätzle hätten die meisten Taiwaner wohl wenig einzuwenden – so Chih-Hang Cheng augenzwinkernd. Schließlich sei es die Lieblingsbeschäftigung der Taiwaner im Freundeskreis gemeinsam essen zu gehen. Und so freut sich Cheng auch immer wieder, einige Wochen im Jahr in Deutschland zu verbringen und alte Freunde zu treffen. „Hätte sich mein Leben anders entwickelt, wäre ich vermutlich nach meiner Auszeichnung als bester ausländischer Absolvent mit einer Promotionsstelle in Deutschland geblieben“, so Cheng. Nun freut er sich darauf, seiner jungen taiwanesischen Ehefrau, die Pharmazie studiert hat, Deutschland und Österreich zu zeigen. Sie überlegt gerade, einen Deutschkurs zu belegen.