Power & Leistungselektronik Von der Leine gelassen

02.09.2013

Während sich bei der Datenübertragung drahtlose Verfahren längst etabliert haben, liegt die Stromversorgung überwiegend immer noch an der Leine. Inzwischen gibt es aber zahlreiche Ansätze, das zu ändern.

Die ursprünglich vor allem als bequeme Lademöglichkeit für tragbare Elektronikgeräte wie Handys und Laptops entwickelte induktive kontaktlose Energieübertragung ist mittlerweile im Begriff, ihre Einsatzgebiete beträchtlich auszuweiten. Die Entwickler beschäftigen sich aktiv mit der drahtlosen Energieversorgung im industriellen Bereich, im Kraftfahrzeug, bei kleineren Haushaltsgeräten sowie in der Medizintechnik. Zum Aufladen wird das Gerät auf die vorgesehene Fläche gelegt - das genügt. Das eingängigste Ziel ist der Wegfall von Kabeln und Steckern, ähnlich wie bei der Internet-Connectivity, als vor einigen Jahren die Ethernet-KabelvonWLAN und Wi-Fi verdrängt wurden.Doch sind die sich ergebenden Vorteile beim Material- und Stromverbrauch, bei den Kosten sowie bei der Umweltbelastung mindestens ebenso erstrebenswert. Die Entwicklungen sind auf einem durchaus erfolgversprechenden Weg; die bisherigen Machbarkeitsstudien werden zunehmend von marktreifen Produkten abgelöst.Unlängst brachte beispielsweise TE Connectivity mit „Ariso“ ein Verbindungssystem für den Einsatz in der Industrie oder im Auto heraus, das sowohl Daten als auch elektrische Energie kontaktlos übertragen kann.

Massenmarkt Mobilgeräte

Die Dringlichkeit sowie die hohe Attraktivitätdieser Bestrebungen wirdauch im Zusammenhang mit der Tatsache deutlich, dass bis 2016 mehr als zehn Milliarden vernetzte Mobilgeräte erwartet werden - jedes mit einer Batterie ausgestattet, die regelmäßig aufgeladen werden muss. Bislang wird zu jedem Smartphone oder Laptop ein Ladegerät mitgeliefert, das bis 40 Prozent der Materialkosten beansprucht sowie häufig auch am Netz bleibt, wenn es gar nicht notwendig ist. Außerdem werden jährlich fast zwei Milliarden Mobilgeräte als Ersatz für veraltete Modelle verkauft, und die inkompatiblen Ladegeräte werden weggeworfen. Zukunftsforscher gehen davon aus, dass in einigen Jahren jedes Haus in jedem Zimmer ein oder mehrere kontaktlose Lade-“Stationen“ haben wird. Sie werden zur Versorgung derunterschiedlichsten Geräte mit Leistungspegeln zwischen ein paar wenigen Watt bis zu mehreren Kilowatt dienen. Je nach Notwendigkeit werden mehrere Protokolle unterstützt, und in einigen Fällen wird die Energie über eine Entfernung von einem Meter oder mehr „gebeamt“. Folglich rechnen die Experten mit dem jährlichen Verkauf von Hunderten von Millionen kontaktlosen Ladegeräten, die ein paar Jahre später die heutigen externen AC/DC-Stromversorgungen und Ladegeräte überwiegend ersetzen werden.

Licht, Mikrowelle oder Induktion

Die kontaktlose Energieübertragung erfolgt auf unterschiedliche Weise: bei größeren Distanzen elektromagnetisch im GHz- oder THz-Bereich, also über Licht oder Mikrowellen, während man im Nahfeld meist auf Induktionsverfahren mit induktiver oder magnetisch-resonanter Kopplung zurückgreift. Dabei finden entweder LC-Resonanzkreise oder Spulen hoher Güte Verwendung. Grundsätzlich beruht das Prinzip der kontaktlosen Energieübertragung auf einem klassischen Transformator mit schlechter magnetischer Kopplung und einer örtlichen Trennung des Primär- und Sekundärkreises. Wie meist im Anfangsstadium neuer Technologien, konnten sich die Anbieter noch nicht auf einen gemeinsamen Standard einigen. Zur Überbrückung des Dilemmas behilft man sich zunächst mit einer Zwischenlösung: Während die Lösungen der ersten Generation in ihrer Kapazität sehr beschränkt waren und nur mit einem einzigen von zahlreichen vorhandenen kontaktlosen Ladestandards arbeiten konnten, geht der aktuelle Trend in Richtung Multiprotokoll-Geräte, die mit zwei oder mehr Protokollen zurechtkommen.

Standards zusammenführen

Auf dem Markt befinden sich bereits Bausteine (beispielsweise von IDT), die sowohl mit den Normen vom WPC (Wireless Power Consortium) mit ihrem Qi-Standard in der aktuellen Version 1.1 als auch denen von der PMA (Power Matters Alliance) mit Power 2.0 kompatibel sind und eine Brücke zwischen diesen konkurrierenden Übertragungsstandards bilden. Außerdem hat zum Beispiel Texas Instruments Pläne zur Entwicklung von ICs bekanntgegeben, die mit den existierenden sowie den künftigen Versionen des Qi-Standards umgehen können. Und es sollen noch in diesem Jahr Produkte auf den Markt gebracht werden, die sowohl die Qi- als auch die kontaktlose Lade-Spezifikation der PMA unterstützen. Dazu gesellt sich die Magnetresonanz-Spezifikation A4WP (Alliance for Wireless Power) als weitere Alternative. In dem erwähnten IDT-Baustein sind ein hoch effizienter synchroner Vollbrückengleichrichter, ein hoch effizienter synchroner Abwärtswandler sowie Steuerschaltungen integriert. Sie empfangen drahtlos ein AC-Stromversorgungssignal und wandeln es in eine geregelte 5-V-Ausgangsspannung um. Die Umschaltung zwischen WPC- und PMA-Protokollen sowie die Verhandlung des Energieaustausches erfolgt automatisch ohne Eingriff des Users. Das vereinfacht die Systemarchitektur und gewährleistet nahtlosen Betrieb während des alltäglichen Einsatzes. Um Befürchtungen zuvorzukommen, dass die Umgebung oder gar Menschen durch die Strahlung und die Frequenzen beeinflusst oder gar geschädigt werden, haben internationale Organisationen wie die ICNIRP (International Commissionof Non-Ionizing Radiation Protection) in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Empfehlungen ausgesprochen, oder es wurden Vorschriften zurUnfallverhütung - wie die BGV B11 -mit frequenzabhängigen Basisgrenzwerten und abgeleiteten Referenzwerten für elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder herausgegeben. Sie beruhen auf den heute medizinisch vertretbaren Grenzen, unter denen keine wahrnehmbare Stimulation von Nervenzellen beziehungsweise keine wesentliche Erwärmung von menschlichem Körpergewebe stattfindet. Allerdings liegen über die Auswirkungen der Systeme auf Implantate noch keine umfassenden gesicherten Untersuchungen vor. Die Beeinflussung der sonstigen Umgebung eines kontaktlosen Energieübertragungssystems hängt von mehreren Faktoren ab: Spulenaufbau, übertragene Leistung, Frequenzen, Entfernung. Je früher in der Entwurfsphase entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden, desto eher und einfacher wird eine EMV-/EMVU-gerechte Funktionsweise erreicht.

Erste Lösungen in Sicht

Auf der letzten CES (Consumer Electronics Show) wurde unter anderem eine kontaktlose Zweiwege-Stromversorgung vorgeführt: Mit dem Qi-Protokoll wurde ein Tablet-Computer aufgeladen. Daran wurde, Rücken an Rücken, ein Qi-konformes Handy gelegt, dessen Ladung ebenfalls aufgefrischt wurde. Außerdem übernahm derselbe Tablet-PCdie Energieversorgung eines interaktiven gedruckten Posters. Darauf war eine DJ-Konsole abgebildet, die durch Berühren von Lautsprecher, Mischer oder Plattenteller betätigt werden konnte. Eine derartige Lösung könnte künftig auch für Zeitschriften und Verpackungen zur Interaktion mit dem Endverbraucher sehr interessant sein. Zu den weiteren Ausstellungsgegenständen auf der CES zählte eine mit einer „adaptiven Resonanztechnologie“ versehene Oberfläche, die mehrere Qi-kompatible Geräte gleichzeitig aufladen kann; eine Set-top-Box und ein Fernseher, die automatisch ein- oder ausschalten, je nachdem, ob die Fernbedienung zum Aufladen eines Superkondensators auf der Box liegt oder nicht, sowie Küchengeräte, die nicht aufgeladen, sondern drahtlos direkt mit Energie versorgt werden.Für den industriellen Bereich wurde eine kontaktlose Connectivity-Plattform entwickelt, die aufgrund ihrer kleinen Abmessungen leicht in neue Anwendungen, etwa Sensoren oder Steuerungen, für Maschinen und Anlagen eingebaut werden kann. Darüber hinaus entwickeln Forscher am Fraunhofer-Institut für elektrische Nanosysteme (ENAS) in Paderborn gemeinsam mit Partnern die Technologie SUPA Wireless, die Lampen, Laptops oder Smartphone mit Energie versorgen kann und Ende 2014 auf den Markt kommen soll.

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