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Ackermanns Seitenblicke Wert und Unwert der Berufserfahrung

Man sitzt auch im Chefsessel nicht mehr so fest wie früher.

31.08.2017

Erfahrung ist nicht mehr gefragt. Diesen Eindruck vermitteln zumindest viele Stellengesuche von Firmen. Der perfekte Mitarbeiter ist diesen zufolge flexibel, dynamisch, besitzt ein hohes Potential - und ist zusätzlich noch Querdenker.

Bisher schien der 25-Jährigen mit abgeschlossenem Studium und gleichzeitig 15 Jahre Berufserfahrung der Traumbewerber vieler Firmen zu sein. Mittlerweile hat sich dieser Trend gewandelt. Für Firmen ist die Mitarbeitersuche deshalb allerdings nicht einfacher geworden. Zur Zeit liegt ihr Fokus nämlich an anderer Stelle: Mittlerweile erwarten sie von den Bewerbern ein sehr hohes Potential, die vorgesehenen Aufgaben zufriedenstellend lösen zu können und darüber hinaus emotionale Intelligenz.

Digitale Transformation verändert die Berufswelt

Zu Beginn der Industrialisierung wurden vor allem händeringend Wissen und Kompetenz gesucht. Auch der „glattgebügelte“ Manager stand lange Zeit hoch im Kurs. Im Zuge der digitalen Transformation hat beides aber an Beliebtheit eingebüßt. Bilderbuchhafte Lebensläufe, hohe mathematische, analytische und logische Intelligenz (IQ), stehen nicht weiter im Vordergrund.

An deren Stelle tritt die emotionale Intelligenz (EQ) eines potentiellen Arbeitnehmers. Davon versprechen sich HR-Beauftragte einen Mitarbeiter, der der Komplexität der Märkte und Unternehmen gewachsen ist. Gesucht werden derart qualifizierte Angestellte durch Assessment-Center und diagnostische Erhebungsmethoden sowie mit Hilfe von schablonenhaften Frage-und-Antwort-Spielen, die sich möglichst computergestützt auswerten lassen.

Fluktuation in der Chefetage

Nebenbei bemerkt: Man sitzt auch im Chefsessel nicht mehr so fest wie früher. Entweder läuft das einst relativ unerschütterliche Sitzmöbel viel schneller heiß, oder das Sitzfleisch der Bosse ist empfindlicher geworden. Denn Misserfolge werden sofort, mindestens quartalsweise, offenkundig.

In diesem Bereich erkennt aber etwa die Beratungsfirma Pricewaterhousecoopers (PWC) neuerdings Besserungstendenzen. Im Durchschnitt bleiben CEOs in der DACH-Region 7,8 Jahre ihren Unternehmen treu. Nur in 12,7 Prozent der 300 größten, dort ansässigen börsennotierten Gesellschaften ist 2016 der Chefposten neu besetzt worden. 2015 war das noch bei 16,7 Prozent der Firmen der Fall. Das ist die weltweit geringste Fluktuation an der Unternehmensspitze.

Ist jung und dynamisch immer das Richtige?

Bei ihren Mitarbeitern ist Firmen Potenzial wichtiger als Erfahrung. Nicht zuletzt, weil letztere mit einem höheren Alter und mangelnder Dynamik assoziiert wird. Hingegen werden junge Menschen als agil, schnell und schwungvoll eingeschätzt. Es gibt schließlich genügend junge Millionäre. Sie sind oft das Vorbild, wenn HR-Experten die Einstellung von Querdenkern und Quereinsteigern empfehlen.

Die Frage ist: Wieso man eine profunde Erfahrung als Einstellungsvoraussetzung geringschätzt, sie hingegen bei einem Herzchirurgen oder einem Airbuspiloten nicht missen möchten? Routine ist in dem hoch dynamischen Umfeld unserer heutigen Wirtschaft schlicht nicht mehr gefragt. Erwünscht sind Neugier und Flexibilität. Gesucht wird der nahbare, unabhängige, unkomplizierte, bodenständige und unprätentiöse Kandidat.

Menschenkenntnis lässt sich nicht digitalisieren

Aber wie bewertet man die damit zusammenhängende Neigung zu Rücksichtslosigkeit, Demut, Fatalismus? Die bisherigen Suchmethoden sind darauf genauso wenig ausgerichtet, wie Xing und LinkedIn. Das ist eindeutig ein Gebiet, in dem der Mensch nach wie vor jede noch so intelligente Maschine schlägt.

Für eine gute Wahl sind nämlich ausführliche Gespräche zur bisherigen Lebensgeschichte und der Denk- und Lebensweise des Bewerbers die Voraussetzung. Mit diesem Verfahren geht ein enormer Zeitaufwand einher und es ist Menschenkenntnis gefragt. Welche man ironischerweise nur durch große Lebenserfahrung erlangt. Ein „Potential“ an Menschenkenntnis hilft dabei leider schlicht nicht weiter.

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  • Solange es die Elektronikindustrie gibt, begleitet Roland Ackermann sie. Unter anderem als Chefredakteur, Verlagsleiter und Macher des „Technischen Reports“ im Bayerischen Rundfunk prägt er die Branche seit den späten 1950er-Jahren mit.

    Solange es die Elektronikindustrie gibt, begleitet Roland Ackermann sie. Unter anderem als Chefredakteur, Verlagsleiter und Macher des „Technischen Reports“ im Bayerischen Rundfunk prägt er die Branche seit den späten 1950er-Jahren mit.

    Bild: Roland Ackermann

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