Antennengewebe Österreich arbeitet an 6G-Tapeten

Empfang aus der Wand: Mit einer Art Antennengewebe wollen Forscher Funktechnik in Tapete oder Wandfliesen verarbeiten.

Bild: iStock, Just_Super
22.04.2021

Ein europäisches Konsortium aus Mobilfunk- und Nachrichtentechnik forscht an der technischen Machbarkeit von 6G. Mit dabei: drei österreichische Unternehmen, die an einer unendlich skalierbaren Echtzeit-Datenübertragung arbeiten – und zwar mittels Wandfliesen und Tapeten.

5G ist ein zentrales Thema in der europäischen Industrie, dennoch beschäftigten sich Unternehmen und Forschungseinrichtungen bereits mit der nächsthöheren Stufe des Mobilfunks. Dazu gehören auch die österreichischen Firmen Technikon und NXP Semiconductors Austria, ebenso wie das Institut für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation der TU Graz.

„Im Horizont-2020-Projekt ,Reindeer‘ erarbeiten wir ein Konzept, mit dem die Datenübertragung in Echtzeit praktisch ins Unendliche skalierbar ist“, sagt Klaus Witrisal, Forscher an der TU Graz und Experte für drahtlose Kommunikationstechnik. Gelingen soll das mithilfe von Antennen, die sich als Wandfliese oder Tapete anbringen lassen.

Witrisal erklärt: „Wir wollen eine sogenannte RadioWeaves-Technologie entwickeln – eine Art Antennengewebe, das an jedem Ort in beliebiger Größe installiert werden kann. Etwa in Form von Wandfliesen oder als Tapete. So können ganze Wandflächen als Antennenstrahler fungieren.“ Die Technologie würde einige neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnen und zudem einen Flaschenhals von 5G umgehen.

POV-Übertragung im Fußballstadion

Bei bisherigen Funkstandards wie UMTS, LTE oder auch 5G erfolgt die Signalübertragung über Basisstationen, also Antenneninfrastruktur, die fest an einer Position verortet ist. Je dichter dabei das Netz an ortsfester Infrastruktur, desto höher der Datendurchsatz. Das macht Basisstationen zu einem Flaschenhals. Mit der RadioWeaves-Technologie würde dieser Flaschenhals verschwinden, „weil wir anstelle eines einzigen Knotenpunktes beliebig viele Knotenpunkte einhängen können“, sagt Witrisal.

Für das private Heim brauche es die Technologie dabei natürlich nicht, wie der Forscher ergänzt. Doch für industrielle und öffentliche Anlagen soll sie Potenziale liefern, die weit über 5G-Netzwerke hinausgehen.

„Wenn in einem Sportstadion 80.000 Menschen, alle ausgerüstet mit einer Virtual-Reality-Brille, das entscheidende Tor zeitgleich aus der Perspektive des Torschützen anschauen möchten, ist das mit dem RadioWeaves-Antennenfeld zukünftig möglich“, nennt Witrisal ein Beispiel. Die Funkwellen würden dabei gleichzeitig die drahtlose Energieversorgung der VR-Brillen übernehmen.

Echtzeit-Ortung in Industriehallen

Auch in Industriehallen könnte die Technologie für eine deutlich umfassendere Abdeckung sorgen. Es wäre dann möglich, tausende von Objekten in Echtzeit zu lokalisieren.

Überhaupt sieht Witrisal große Chancen für die funkbasierte Ortungstechnologie, die auch einen Forschungsschwerpunkt seiner Arbeitsgruppe an der TU Graz darstellt. Die Forschenden gehen davon aus, dass mit der RadioWeaves-Technologie Güter auf 10 cm genau geortet werden können. „Damit lassen sich dreidimensionale Modelle von Güterströmen realisieren: für die Produktion und Logistik bis hin zur erweiterten Realität auf der Verkaufsfläche.“

Das „Reindeer“-Projekt ist Anfang 2021 gestartet. Bis 2024 möchte das Konsortium einen ersten Hardware-Demonstrator entwickeln, um die RadioWeaves-Technologie experimentell validieren zu können. „6G wird erst Ende dieses Jahrzehnts spruchreif werden“, sagt Witrisal, „doch dann wollen wir sicherstellen, dass der schnelle drahtlose Zugang dort ist, wo wir ihn brauchen, wenn wir ihn brauchen.“

Details zu „Reindeer“

„Reindeer“ steht für „Resilient Interactive Applications through Hyper Diversity in Energy Efficient RadioWeaves Technology. Gefördert wird das Projekt im Rahmen des EU-Programms Horizont 2020 mit insgesamt 4,6 Millionen Euro. 600.000 Euro davon entfallen auf die TU Graz, wo das Projekt im „Field of Expertise Information, Communication & Computing“ verortet ist, einem von fünf Forschungsschwerpunkten der Universität.

Die Projektpartner sind:

  • Technikon (Leadpartner, Österreich)

  • NXP Semiconductors Austria (Österreich)

  • TU Graz (Österreich)

  • BlooLoc (Belgien)

  • Ericsson (Schweden)

  • KU Leuven (Belgien)

  • Linkopings Universitet (Schweden)

  • Lunds Universitet (Schweden)

  • Telefónica Investigacion Y Desarrollo (Spanien)

Bildergalerie

  • Der von Technikon entwickelte methodische Ansatz für „Reindeer“ zeigt auf, wie die neue Antennentechnologie bis 2024 realisiert werden soll.

    Der von Technikon entwickelte methodische Ansatz für „Reindeer“ zeigt auf, wie die neue Antennentechnologie bis 2024 realisiert werden soll.

    Bild: Technikon

  • Seit 2002 forscht Klaus Witrisal am Labor für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation (SPSC) der TU Graz an drahtlosen Kommunikationstechnologien.

    Seit 2002 forscht Klaus Witrisal am Labor für Signalverarbeitung und Sprachkommunikation (SPSC) der TU Graz an drahtlosen Kommunikationstechnologien.

    Bild: Robert Frankl, TU Graz

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