Green, aber wie? Ansätze zur Energieoptimierung in Industrieparks

Entscheider in der energieintensiven Industrie stehen heute stärker denn je vor der Frage, wie sie zur geforderten Klimaneutralität beitragen können, ohne dass die Kosten zu stark steigen.

Bild: iStock, ThomasVogel
02.09.2021

Entscheider in der energieintensiven Industrie stehen heute stärker denn je vor der Frage, wie sie zur geforderten Klimaneutralität beitragen können, ohne dass die Kosten zu stark steigen. Wie kann ein Industriepark energieeffizienter werden? Wie lässt sich das zeitweise Überangebot an erneuerbaren Energien und damit schwankende Strompreise besser nutzen, also auch zum wirtschaftlichen Vorteil? Und wie sieht die Situation langfristig aus – welche Kraftwerke, Speicher, Technologien sind in Zukunft sinnvoll für das eigene Unternehmen?

Der Umbau der globalen Energie- und Industriesektoren, um stärker alternative Energieformen anstelle fossiler Brennstoffe zu nutzen, ist bekanntlich eine der größten Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Die EU hat mit dem „European Green Deal“ ein entsprechendes Konzept vorgelegt, wonach Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden soll. Der Deal setzt neben der Steigerung der Energieeffizienz auf den massiven Ausbau erneuerbarer Energien.
Das schwankende Energieangebot der erneuerbaren Energien wird sich immer stärker auf die Energiepreise auswirken: Je mehr fossil befeuerte, rein auf Grundlastbetrieb ausgelegte Kraftwerke das Stromerzeugungssystem verlassen und je mehr volatile erneuerbare Energien eingespeist werden, desto deutlicher werden die daraus abgeleiteten Strompreissignale.

Daher wird es für die (energieintensive) Industrie stets wichtiger werden, ihre Prozesse diesen Schwankungen anzupassen und bestenfalls sogar davon zu profitieren. Denn auch wenn immer mehr Speicher – egal ob auf Wasserstoffbasis, Batterien oder anderen Technologien – integriert werden: Die von ihnen abgegebene Energie wird schon aufgrund der wirkungsgradbedingten Verluste immer deutlich teurer sein als den Strom direkt ohne Umweg der Speicherung zu nutzen.

Preissignale als Steuerungsinstrument

Welche Möglichkeiten bieten sich also einem Industriepark, auf schwankende Strompreise zu reagieren? Meist versorgen eigene Kraftwerke und Assets die ansässigen Unternehmen mit Strom, Gas, Wärme, Wasserstoff, Dampf, Kälte und Druckluft und stellen ihnen den Verbrauch in Rechnung – häufig zu fixen Tarifen auf Jahresbasis. Sie beziehen die dazu benötigte Energie von Vorlieferanten, von Börsen oder aus Speichern und wandeln sie in die benötigten Medien um. Schwankende Energiepreise werden sie also zukünftig selbst stärker zu spüren bekommen.

Daher empfiehlt es sich, die Preissignale auf die umgewandelten Medien umzulegen und somit an die nachgelagerten Prozesse in den Unternehmen des Industrieparks zu übertragen. Wenn die Kosten nicht mehr länger jährlich, sondern eben mit jeweils aktuellen Preisen abgerechnet werden, entsteht bei den beteiligten Sub-Unternehmen ein Anreiz zu überlegen, wo sie ihre Prozesse flexibilisieren könnten. In der Praxis könnte das so aussehen, dass die Prozess-Ingenieure eines Industrieparks auf Basis einer Preisprognose für die nächsten Tage selbst entscheiden können, wann sie welche Flexibilität in ihrem Prozess haben, um von günstigeren Preisen profitieren zu können und ihre Nutzung erneuerbarer Energien zu erhöhen. Damit dieser Ansatz seine volle Wirkung entfalten könnte, muss natürlich auch der entsprechende regulatorische Rahmen, vor allem im Bereich der Netzentgelte, geschaffen werden.

Angesichts der Komplexität vieler Industrieparks auf organisatorischer, vertraglicher und nicht zuletzt technischer Ebene kann die Planung der Medien schnell kompliziert werden. Verschiedenste Produktionsprozesse müssen zusammenspielen, die Produktion sichergestellt, vertragliche Abhängigkeiten und externe Lieferverpflichtungen erfüllt, und Speicher oder einfach die Lagerfähigkeit der Zwischenprodukte sinnvoll genutzt werden. Unter diesen Umständen optimal für die nächsten Tage unter Berücksichtigung von schwankenden Energiepreisen zu planen, ist ohne Software-Unterstützung kaum machbar.

Flexibilitäten aufdecken und nutzen

Eine wichtige Basis für die Kraftwerkseinsatzplanung ist, den Verbrauch jedes einzelnen Abnehmers für jedes einzelne Medium möglichst genau vorherzusagen. Dies erweist sich in der Praxis oft als schwierig, insbesondere für den Dampfbedarf. Folglich muss häufig Kraftwerksleistung vorgehalten werden, um bei steigendem Bedarf schnell liefern zu können. Diese Flexibilität ist hier oft teuer erkauft.

Um die Prognosen zu verbessern und um Flexibilitäten in den nachgelagerten Prozessen zu finden, kann man den verschiedenen Abnehmern eine Preisprognose der einzelnen Medien für die kommenden Tage zur Verfügung zu stellen (statt eines jährlich kalkulierten Verrechnungspreises). In der Preisprognose spiegelt sich das schwankende Energieangebot wider und der finanzielle Anreiz kommt auf diese Weise in den einzelnen Prozessen an. Die Verantwortlichen können dann selbst entscheiden, ob und wie sie diese Signale nutzen können und wollen. Bei der Prognose ist eine Differenzierung in niedriges, mittleres und hohes Preisniveau völlig ausreichend; eine exakte Prognose ist nicht nötig. Wichtig ist allerdings eine hohe zeitliche Auflösung, also zum Beispiel Stunden oder gar Viertelstunden, um entsprechend detaillierte Planungen zu ermöglichen.

Optimale Planung

Besonders effizient läuft der Prognose- und Planungsprozess in Software-Lösungen ab, die die nötigen Schritte workflow-gesteuert automatisiert durchführen: Von der Erstellung und Verteilung der medienscharfen viertelstündlichen Preisprognosen über die Verarbeitung der Rückmeldungen aus den Sub-Unternehmen hinsichtlich Flexibilitäten in der Produktion und entsprechender Planung der Medienumwandlung bis hin zur Abrechnung des tatsächlichen Verbrauchs zum jeweils vereinbarten Preis.

Solche Software-Lösungen bilden alle Assets des gesamten Industrieparks realitätsnah in einem mathematischen Modell ab. Damit durchschauen menschliche Entscheider die unzähligen technischen, marktwirtschaftlichen und vertraglichen Abhängigkeiten und können die Kraftwerke gezielt im Sinne von Wirtschaftlichkeit, Ressourcenschonung usw. einsetzen. Auch die Anpassung der unternehmensindividuellen Medienumwandlungs- und Produktionsprozesse, um auf stärker schwankende Energiepreise zu reagieren beziehungsweise niedrige Preise auszunutzen, ist damit möglich. Optimierungssysteme wie BelVis ResOpt von Kisters haben sich in Industrieparks längst im Einsatz bewährt.

Doppelter Nutzen entsteht dadurch, dass Optimierungssysteme nicht nur der tagtäglichen Planung des optimalen Anlageneinsatzes, sondern auch der Ausbauplanung und Absicherung von Investitionen dienen. Damit lassen sich die vielen potenziellen Handlungsoptionen auf Basis realer Anlagenkonfigurationen, Produktionslasten, Wetter- sowie Preisinformationen durchspielen. Aus der Vielzahl der Möglichkeiten kann man diejenige identifizieren, die den Unternehmenszielen am nächsten kommt, zum Beispiel Vermeidung von CO2-Ausstoß, Reduzierung des Einsatzes von Primärenergien, niedrigere Betriebskosten, höhere Erlöse an den Strombörsen. Auch bei der Planung von Energiespeichern oder Wasserstoff-Elektrolyseuren, die zukünftig in großen Stückzahlen in das System integriert werden müssen, unterstützen solche modell-basierten Lösungen.

Projektbeispiel: Evonik Industries in Marl

Der Chemiepark Marl ist der größte Produktionsstandort von Evonik. Neben Evonik als Standortbetreiber sind 17 weitere Unternehmen im Chemiepark angesiedelt. Die rund 100 Produktionsanlagen stehen in einem engen stofflichen und energetischen Verbund und werden zum größten Teil rund um die Uhr betrieben. Der Energiebedarf wird derzeit von zwei eigenen Gas- und einem Kohlekraftwerk durch die Erzeugung von Strom und Dampf in hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung gedeckt. Bereits im Jahr 2022 wird Steinkohle als Brennstoff abgelöst und durch den Bau moderner Gas- und Dampfturbinenkraftwerke der CO2-Ausstoß des Spezialchemiekonzerns um bis zu eine Millionen Tonnen pro Jahr reduziert.

Lesen Sie hier das zugehörige Interview mit Mathias Punsmann von der Evonik!

Bildergalerie

  • Durch Effizienzmaßnahmen wird der CO2-Ausstoß des Spezialchemiekonzerns Evonik um bis zu eine Millionen Tonnen pro Jahr reduziert.

    Durch Effizienzmaßnahmen wird der CO2-Ausstoß des Spezialchemiekonzerns Evonik um bis zu eine Millionen Tonnen pro Jahr reduziert.

    Bild: Evonik Industries

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