Pigmente sind für viel mehr verantwortlich als für die Farbe. Im Plastik-Flaschenkasten zum Beispiel führt das falsche Pigment dazu, dass sich der Kasten verzieht. Weißpigmente machen Tunnelwände nicht nur heller, sondern auch gleich die Luft sauberer. Als Schutz vor UV-Strahlung kommen sie in Kosmetik, Holzschutz, Textilien oder auch Lebensmittelverpackungen schon lange zum Einsatz. Die Zusatzeigenschaften stehen im Fokus von Pigmentinnovationen, wie die Marktstudie Pigmente von Ceresana Research ermittelt hat.
Nie mehr braten in schwarzen Limousinen - dank kühlender Schwarzpigmente
Ein geschlossener Raum, der sich gar nicht erst aufwärmt, muss auch nicht gekühlt werden - das spart folglich Energie. Daher wird an Pigmenten geforscht, die Wärme reflektieren. Doch wie stark der Effekt ist, hängt von mehreren Parametern ab: zum Beispiel ob die reflektierenden Pigmente in Lack, Kunststoff oder einem anderen Substrat eingesetzt werden, und auch der damit umschlossene Raum spielt eine Rolle. Immerhin wurde beim Konzeptauto Smart Forvision ein vier Grad kühlerer Innenraum gemessen als im Standardmodell. Vorgestellt wurde der Zweisitzer von Daimler gemeinsam mit der BASF auf der IAA 2011. Der Effekt entsteht durch Lack und Scheiben, die Infrarot-Licht reflektieren. Eine Temperaturreduktion von bis zu 20°C brachte die Wärmereflexion laut BASF auf der Lackoberfläche, davon profitiere das Material insgesamt. Liebhaber von schwarzen Autos - übrigens die meist gefragte Autofarbe in Europa - können sich mit einem solchen Konzept auf weniger Brutkasten-ähnliche Verhältnisse beim Einsteigen an heißen Sommertagen einstellen. Ihre kühlende Wirkung entfalten die Schwarzpigmente aber auch bei Gebäuden oder Metallcontainer im Schiffsverkehr. Ein anderes IR-reflektierendes Pigment speziell für den Innenraum entwickelte der Pigmenthersteller Eckart. Das Unternehmen präpariert gekapselte Aluminiumpigmente so, dass sie ihre wärmereflektierende Wirkung in Innenraumfarben entfalten - und zwar ohne Metalleffekt. „Mit einem Füller konnten wir den metallischen Glanz der Aluminiumpigmente überdecken. Sie sind weiß, mit leichtem Graustich“, so Sonja Kurz, Technical Service Manager bei Eckhart. Die Off-White-Aluminiumpigmente bewirken ein wohligeres Klima, indem sie Heizenergie und Körperwärme von Decken und Wänden in den Raum zurückstrahlen. Wie viel Energie mit den wärmereflektierenden Pigmenten gespart wird, hat das Unternehmen in Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar untersucht: Heizkostenersparnisse von 16 bis 22 Prozent wurden nachgewiesen, je nach Anzahl der Außenwände und Gebäudetyp - Passivhaus, 70er-Jahre-Bau oder Altbau. Im Sommer sorgen die Pigmente dafür, dass sich Gebäude weniger aufheizen. Eine besondere Eigenschaft hat das Titandioxid: Es ist von Natur aus ein Photokatalysator, der mit Hilfe der Energie des Lichts Luftschadstoffe wie Stickoxide oder flüchtige organische Verbindungen abbauen kann. Der Effekt ist für die beiden Formen Anatas und Rutil unterschiedlich stark ausgeprägt. Ist die photokatalytische Eigenschaft nicht erwünscht, wird sie durch einen hohen Rutilgehalt oder bestimmte Kristallgrößen etc. unterdrückt. Mit zunehmender Luftverschmutzung ist diese reinigende Fähigkeit aber attraktiv.
Luftreinigung mit Weißpigmenten an Tunnelwand und Lärmschutzwall
Wie hoch der Effekt in einer realen Umgebung ist, wird derzeit in mehreren Pilotprojekten untersucht. Zum Beispiel entlang der A1 bei Osnabrück, wo die Bundesanstalt für Straßenwesen in Zusammenarbeit mit der niederländischen Straßenbauverwaltung die Wirkung des Titandioxids auf Lärmschutzwänden testet. Enak Ferlemann, parlamentarischer Staatssekretär des Bundesverkehrsministers, stellte beim Projektstart im Oktober 2011 fest: „Wenn Lärmschutzwände auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnten, wäre das fantastisch. Erste Untersuchungen zur Wirksamkeit des Titandioxids waren unter Laborbedingungen sehr erfolgreich.“ Untersucht werden sollen aber auch die Abbauprodukte, um sicherzustellen, dass keine schädlichen Nebenwirkungen auftreten. Ein Tunnelprojekt läuft seit 2009 in Brüssel. Und das Unternehmen FCN aus Fulda testet den reinigenden Effekt mit Straßenabschnitten aus Beton. Titandioxid findet sich unter anderem in Lack- und Dispersionsfarben, als Abtönfarbe, in Kunststoffen, Papier und Chemiefasern, Emaille und Keramik. Mit dieser Vielfalt ist es das meist verwendete Weißpigment. Laut der Ceresana-Studie soll Titandioxid im Jahr 2018 einen Anteil von etwas über 60 Prozent am globalen Pigment-Markt erreichen. Doch wegen beschränkter Produktions- und Rohstoffkapazitäten und steigender Titandioxid-Preise suchen Lack- und Farbenhersteller nach günstigen Substituten. „Ein totaler Austausch ist jedoch nicht möglich“, erläutert Axel Markens, Sprecher von Sachtleben. Der Hersteller von Weißpigmenten arbeiete daran, Titandioxid teilweise zu substituieren. Ausgelöst durch die hohe Nachfrage im vergangenen Jahr ist das über 130 Jahre alte Pigment Lithopone wieder in das Bewusstsein der Lack- und Farbenindustrie gekommen: „Lithopone war in den Entwicklungsabteilungen gar nicht mehr bekannt. Wir mussten das Pigment erstmal wieder neu vorstellen“, staunt Markens. Ein Bariumsulfat-Weißpigment stellte Sachtleben vor kurzem auf der Middle East Coatings Show in Dubai vor. Die funktionalisierten Bariumsulfat-Partikel gehen eine dauerhafte chemische Verbindung mit organischen Bindemitteln ein - speziell in Pulverlacken und Automobil-Primern - oder aber sie koppeln anorganische und organische Lackkomponenten in beanspruchten Industrielacken. Dadurch konnte ein höherer Korrosionschutz, eine bessere chemische Beständigkeit oder auch eine bessere Kratzbeständigkeit erreicht werden. Ein vielversprechendes Produkt, wie Markens betont: „Die funktionalisierten Bariumsulfat-Partikel sind der Anfang einer neuen Pigmentgeneration.“
Wärmen, kühlen oder die Luft reinigen - Pigmente sind vielseitig