Zum Glück selten, aber es kommt vor, dass Menschen zu Tode kommen, wenn ein Feuer in einem Zug ausbricht. So starben bei einem Brand der Gletscherbahn „Kaprun 2“ im November 2000 über 150 Menschen durch Rauchgasvergiftung – auch deshalb, weil der Zug nicht mehr aus dem Tunnel gefahren werden konnte. Das rief den europäischen Gesetzgeber endgültig auf den Plan. Und so trat 2013 die neue Brandschutznorm EN 45545-2 in Kraft für „besseren Brandschutz in Schienenfahrzeugen“. Sie löste die innerhalb Europas geltenden nationalen Normen wie die NF F 16-101 und -102, die BS 6853 und DIN 5510-2 ab.
„Für uns Zughersteller bedeutet das: Wir müssen durch unbrennbare, feuerhemmende und selbstverlöschende Materialien sicherstellen, dass sich Feuer und Rauch über gewisse Zeiträume ausbreiten können“, erklärt Martin Chapouthier, bei Alstom zuständig für die Verkabelung des neuen Nordic X60 „Batch B“-Zuges, der Anfang 2016 rund um Stockholm in Dienst gehen soll. „Bricht beispielsweise im Fahrgastraum ein Feuer aus, muss der Lokführer ausreichend Zeit haben, um seinen brennenden Zug aus dem Tunnel herauszufahren.“ Die neue EU-Norm gibt hier 15 Minuten vor, in denen Kabeldurchführungen Feuer und Rauch standhalten müssen. Kabelverschraubungen, die diese hohen Anforderungen erfüllen, stellt zum Beispiel das Unternehmen Pflitsch unter den Bezeichnungen Uni Dicht und Blueglobe her; zertifiziert sind sie nach der Norm EN 45545-2.
„In eigenen Tests haben wir an der TU Braunschweig die Einbausituation an der Wand zwischen Fahrgastraum und Führerstand simuliert“, so Chapouthier. Die vier dort montierten Pflitsch-Kabelverschraubungen wurden bei der Prüfung mit einem Flammenwerfer beaufschlagt – und hielten über
22 Minuten Stand. „Das sind 50 Prozent mehr, als es die Norm vorschreibt und gibt uns die nötige Sicherheit“, freut sich der Diplom-Ingenieur.
Dichteinsätze aus spezialmodifiziertem Kunststoff halten
Jörg Schmidt, geschäftsführender Gesellschafter beim zuständigen Vertriebsbüro Thomsen in Stuhr: „Um die neue Norm zu erfüllen, hat Pflitsch das Material TPE für die Dichteinsätze modifiziert – erkennbar an der schwarzen Farbe. In Kombination mit den hochwertigen Verschraubungskörpern aus vernickeltem Messing erfüllen die Varianten Uni Dicht und Blueglobe die höchsten Anforderungen HL3 der neuen EU-Norm für den uneingeschränkten Einsatz in Zügen – ob auf freier Strecke, im Tunnel oder im Bahnhof.“ Entsprechend wurde bei den Tests auch der Nachweis über Sauerstoffindex >32 Prozent, Rauchgasdichte Ds maximal 300 und Toxizität CIT maximal 1,5 erbracht. „Auf alle Fälle erreichen wir bei der beschriebenen Feuerwiderstandsprüfung ‚Raumabschluss‘ die hohe Zuverlässigkeit“, unterstreicht Schmidt. „Außerdem gast der verwendete Kunststoff nicht aus.“
Auf die anderen Produktmerkmale der Kabelverschraubungen des Herstellers, wie hohe Schutzart bis IP 68 bzw. IP 69K, der erhöhten Zugentlastung, Vibrationssicherheit und Resistenz gegen gängige Umwelteinwirkungen, setzen die Alstom-Experten seit vielen Jahren. „Nachdem Wettbewerbsprodukte auf Dauer undicht wurden, haben wir komplett auf das Pflitsch-Programm umgestellt, das aufgrund des Konzeptes einfach besser und langlebiger dichtet“, so Martin Chapouthier. „Außerdem müssen wir sicherstellen, dass unsere Züge bei niedrigen wie hohen Temperaturen zuverlässig laufen. Bei den zulässigen Einsatztemperaturbereichen von -40 bis 85 °C, die der von uns gewählte Hersteller ausweist, haben wie im kalten Russland wie im warmen Mittelmeerraum keine Probleme.“
Ein Dichtkonzept, das überzeugt
Um die Kabeldurchführung langlebig dicht zu halten, hat Pflitsch für seine Kabelverschraubungen eine besondere Abdichtung entwickelt: Beim Anziehen der Druckschraube schmiegt sich der Dichteinsatz radialsymmetrisch und großflächig an das Kabel. „Das bringt hohe Schutzarten und Zugentlastungwerte und schnürt den Kabelmantel nicht
irreparabel ein, wie das bei herkömmlichen Verschraubungen vorkommt“, erklärt Jörg Schmidt. Und noch etwas spreche für dieses Konzept: Ein O-Ring in einer vorgelagerten Nut sorgt für eine zuverlässige Abdichtung zwischen dem Verschraubungskörper aus Metall und der Gehäusewand etwa eines Schaltschrankes oder, im Alstom-Fall, der Wand zwischen Fahrgastraum und Führerstand eines Zuges. Der O-Ring kann sich weder ins Bohrloch noch nach außen quetschen. „Das hält absolut dicht“, bekräftigt Jörg Schmidt.
Mehrfach-Verschraubungen sparen Platz
Um die etwa 300 verlegten Kabelbäume im 110 m langen Elektro-Regionalzug X60 Batch B sicher in Schaltschränke, Bediengehäuse oder Passagieranzeigen einzuführen, installieren die Alstom-Mitarbeiter pro Zug mehrere Hundert Kabelverschraubungen in verschiedenen Größen und Ausführungen. „Da ist auch die Version Uni Mehrfach dabei, über die wir mehrere auch unterschiedlich starke Kabel platzsparend durch eine Bohrung führen können“, erläutert Martin Chapouthier.
In der beschriebenen Wand zwischen Führerstand und Fahrgastraum sind vier Verschraubungen in den Größen M16 bis M32 montiert. „In der Uni Mehrfach führen wir Einzellitzen für die Energieversorgung der Lichtbänder im Zug. Durch die Einzelverschraubungen laufen je ein dickes Buskabel für den Datenaustausch zwischen den Führerständen an den beiden Enden des Zugs und ein Kombikabel für die Energiezufuhr und die Datensignale zu den Passagieranzeigen.“ Die vierte Kabelverschraubung ist Reserve. Im kompletten Zug sind Kabelverschraubungen von M16 bis M50 im Einsatz.