Fachbeitrag Die Energiewände: Wärme aus der Infrastruktur


Tunnelwände als Energietauscher: Bei überschaubaren Investitionskosten in die Infrastruktur können Kommunen nahe bei den Verbrauchern Wärme gewinnen.

01.02.2012

Tunnel verbinden und verkürzen so manchen Weg. Aus ihren Wänden lässt sich aber auch geothermische Energie gewinnen - doch oft weitab von potenziellen Nutzern. Energietübbing, eine soeben preisgekrönte Technologie, erschließt nun zu überschaubaren Kosten insbesondere auch Stadttunnel, bei denen die Verbraucher sich in unmittelbarer Nähe befinden.

Tunnelkonstruktionen bieten ein großes Potenzial für die Energiegewinnung aus dem umgebenden Erdboden sowie aus dem Tunnel selbst durch den Tunnelbetrieb. Absorberrohre können dabei Wärmeenergie aus den Wänden von Straßen-, Schienen- oder auch Abwasser- und Kabeltunnels ziehen. Eine Reihe von Tunnelprojekten wird bereits mit dem Ziel der Energiegewinnung für oberirdische Anwendungen genutzt. Für diesen Zweck wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Technologien entwickelt.

Energie aus Tunnelwasser

Tunnelwasser wird in der Schweiz seit den 1970er Jahren als Energiequelle verwendet. Lange und tiefe Alpentunnel eignen sich hierfür am besten, da die Temperatur des Tunnelwassers bis zu 20 °C betragen kann, was einen hohen Wirkungsgrad der Wärmepumpe ermöglicht. Am Gotthard-Basistunnel wird zum Beispiel geplant, dass durch die Nutzung des warmen Tunnelwassers an jedem Portal etwa 10 MW Wärmeenergie zur Verfügung gestellt werden kann. Der Hauptvorteil dieser Art von Energienutzung aus langen und tiefen Tunnelkonstruktionen ist, dass die Drainagerohre bereits in der Tunnelkonstruktion enthalten sind. Somit entstehen zusätzliche Investitionskosten nur für Wärmepumpe und Wärmeverteilungsnetzwerk. Allerdings befinden sich lange, tiefe Tunnel im Allgemeinen nicht in der Nähe potenzieller Verbraucher, weshalb die Anwendung für die Energienutzung eingeschränkt sein kann.

Energie aus Absorbersystemen

Tunnelkonstruktionen in Stadtgebieten bieten in ihrer Nähe eine Vielzahl potenzieller Energieverbraucher. Stadttunnel weisen im Allgemeinen eine relativ geringe Tiefe auf und sind als abgedichtete Konstruktionen angelegt, so dass die Nutzung von Tunnelwasser eingeschränkt ist. Das Energiepotenzial dieser Tunnelkonstruktionen erschließen Absorberrohre in der Betonstruktur. Mithilfe einer in den Rohren zirkulierenden Wärmeaustauschflüssigkeit, wie beispielsweise Wasser oder einer Wasser-Glykol-Mischung, lässt sich aus dem umgebenden Erdboden Energie gewinnen, bei Wärmeentwicklung durch den Tunnelbetrieb auch aus der Tunnelluft. Das Kühlen des Tunnels kann zum Beispiel in U-Bahntunneln oder Versorgungstunneln einen wertvollen Zusatznutzen darstellen.

Bei offener Bauweise lassen sich die Absorberrohrschleifen in Schlitzwände, Pfeiler oder Fundamentplatten integrieren, so etwa bei der Wiener U-Bahn U2 [2]. In konventionellen Tunnelkonstruktionen (wie der Stuttgarter U-Bahn U6 [3]) werden die Absorberrohre üblicherweise zwischen dem Spritzbeton und der inneren Betonauskleidung platziert.

Da immer mehr Tunnel unter schwierigen Bodenbedingungen zu errichten sind, entsteht ein zunehmender Anteil städtischer Tunnels mit Hilfe von Tunnelbohrmaschinen und Tübbings, also mit vorgefertigten Bogensegmenten, die zur Auskleidung des Tunnels dienen.

Energietübbing spart Zeit und Kosten

Rehau und Züblin haben auf dieser Basis das sogenannte „Energietübbing“ entwickelt, das Absorberrohre in vorgefertigte Betonsegmente einbringt, wodurch weniger unterirdische Arbeiten erforderlich sind. Bei diesem Verfahren werden die Absorberrohre üblicherweise in einem mäanderförmigen Muster installiert mit einem Rohrabstand von etwa 300 Millimetern und einem Rohrdurchmesser von 20 bis 25 Millimetern. Da neue Tunnel für eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren ausgelegt werden, empfiehlt sich als Rohrmaterial wegen der höheren Lebensdauer vernetztes Polyethylen (PE-Xa) statt PEHD. Hierfür hat Rehau ein Rohrsystem mit passender Verbindungstechnik entwickelt, welches speziell auf diese Anwendung abgestimmt wurde.

Die Absorberrohre beginnen und enden in jedem Segment an einer Aussparung an der inneren Gewölbefläche, damit sich die Rohrabschnitte nach Installation der Segmente zu durchgängigen Rohrschleifen verbinden lassen. Sammelleitungen können sich auf Sohlenhöhe oder auf der Fahrbahnplatte befinden oder an die Tunnelwand angebracht werden. Das System ist über die Bahnstationen oder Lüftungsschächte mit den oberirdischen Verbrauchern verbunden.

Im Tunnel werden die vorgefertigten Betonsegmente wie üblich mittels Tunnelbohrmaschine installiert. Sobald ein vollständiger Segmentring installiert ist, wird das hintere Ende der Tunnelbohrmaschine als Arbeitsplattform genutzt, um die Absorberrohre an den Aussparungen zu verbinden.

Vorteile im Betrieb

Je nach Bodenbedingungen und Lufttemperatur im Tunnel ist typischerweise mit einer Energieausbeute von 10 bis 30 Watt pro Quadratmeter Tunnelfläche zu rechnen. Die Energieausbeute lässt sich dabei über die Temperatur und den Volumenstrom der in den Absorberrohren zirkulierenden Flüssigkeit beeinflussen.

Der Tunnelbetreiber kann die gewonnene Energie zum Heizen oder Kühlen der Stationen nutzen oder um Stationseingänge oder oberirdische Bahnsteige schnee- und eisfrei zu halten. Alternativ kann er sie jedoch auch an Energieversorgungsunternehmen für oberirdische Anwendungen verkaufen, um Einnahmen zu erzielen und ein Rückzahlungsszenario zu ermöglichen.

Bei Wärmeentwicklung durch den Tunnelbetrieb (zum Beispiel U-Bahn-Tunnel, Tunnel mit Hochspannungskabeln) kann die Nutzung von Energietübbings eine kostengünstige und intelligente Methode zum Kühlen des Tunnels darstellen. Nachteile von Lüftungsmethoden (wie zum Beispiel hohe Luftvolumenströme, damit verbundene Betriebskosten für die Lüftungsanlage und Zugluft in U-Bahnhöfen) lassen sich hierdurch vermeiden. Insbesondere in Regionen, in denen ein heißes Klima vorherrscht, stößt das Kühlen von Tunnelkonstruktion mittels Lüftung an seine Grenzen. Hier dürften in den nächsten Jahren verstärkt Absorbersysteme in der Tunnelschale zum Einsatz kommen.

Pilotprojekt versorgt den Bauhof mit Wärme

Nach Feldversuchen in Deutschland wurden Absorberrohre im Energietübbing-Verfahren in einem neuen zweigleisigen Hochgeschwindigkeitseisenbahntunnel in Jenbach (Österreich) installiert [4]. Im Zuge der Umsetzung der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke im österreichischen Inntal, die als Zubringer zum Brenner-Basistunnel fungiert, wurde im Bauabschnitt H8 bei Jenbach ein 3460 Meter langer Tunnel in Segmentbauweise mit einem Durchmesser von 12 Metern ausgeführt. Da der Bauhof der Gemeinde unmittelbar an einem der Rettungsschächte liegt, wurde der angrenzende Tunnelabschnitt mit Energietübbings ausgestattet, um das Gebäude zu beheizen.

Insgesamt kamen 27 Segmentringe von 50 cm Wandstärke mit integrierten Absorberleitungen über eine aktivierte Tunnellänge von 54 Metern zum Einsatz. Über Vor- und Rücklaufleitungen sind die Verteiler im Schacht mit dem Bauhof verbunden. Die einzelnen Heizkreise sowie die Anbindungsleitungen wurden abschnittsweise auf Dichtigkeit geprüft und mit einem Wasser-Glykol-Gemisch gefüllt. Da bei der Aktivierung von Tunnelkonstruktionen unweigerlich Hochpunkte in den Absorberkreisläufen entstehen, galt es, besonderes Augenmerk auf die Entlüftung der Kreisläufe zu legen. Im Betrieb ist zumindest periodisch über eine Mindestfließgeschwindigkeit die Ansammlung von Luftblasen zu unterbinden. Nach der Installation der Wärmepumpe im Bauhof und dem Anschluss an das Tunnelsystem im Sommer 2011 ging die Anlage im Winter 2011/2012 erstmalig in Betrieb. Der Zugbetrieb im Tunnel wird voraussichtlich 2012 aufgenommen.

Begrenzte Investitionskosten

Die Berücksichtigung dieser Technologie in der Tunnelkonstruktion bietet bei begrenzten Investitionskosten eine Lösung für künftige Anforderungen hinsichtlich regenerativer Energiequellen und Maßnahmen zur umweltverträglichen Kühlung des Tunnels.

Weitere Informationen

[1] Wilhelm, J., Rybach, L., 2003: The geothermal potential of Swiss alpine tunnels, Geothermics 32: pp 557-568

[2] Hofinger, H., Markiewicz, D., Adam, D., Unterberger, W., 2010. Geothermal energy systems for major projects - design and construction, Geomechanics and Tunnelling 3 (2010), No. 5, pp 634 - 646

[3] Schneider, M., Moormann, C., 2010: GeoTU6 - a geothermal research project for tunnels, Tunnel 2/2010, pp 14 - 21

[4] Franzius, J.N., Pralle, N., 2011: Turning segmental tunnels into sources of renewable energy, Civil Engineering 164, pp 35 - 40

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