Entwicklungen wie die zunehmende Digitalisierung und das Thema Industrie 4.0 erfordern neue Fähigkeiten und neues Wissen bei einer großen Zahl von Mitarbeitern. Dabei ist es oft gar nicht einfach, das geforderte Wissen genau zu beschreiben. Zu vielfältig sind die Anwendungen, Technologien und neuen Wertschöpfungen.
Was die Sache weiter erschwert: die Entwicklung ist außerordentlich dynamisch. Nicht nur die Technologien schreiten fort – neue Anwendungen entstehen über Nacht, und neue Geschäftsmodelle verändern Märkte in rasender Geschwindigkeit. Sicher ist, dass der Ingenieur heute mehr IT-Wissen braucht, und der Informatiker mehr Ingenieur-Wissen. Aber was genau?
Schneller als die Konkurrenz
Mitarbeiter sehr schnell in einer Anwendung, einer Technologie oder einem neuen Standard zu befähigen, wird in Zukunft einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen. Diese Geschwindigkeit zu erreichen gelingt allerdings nicht, indem man ein industrieübergreifendes Curriculum für neue Berufe definiert. Denn die Arbeitswelt 4.0 wird weniger durch neue Berufsbezeichnungen charakterisiert als durch den permanenten Wandel. Von den Beschäftigten wird ein viel höheres Maß an Flexibilität und Lernfähigkeit erwartet.
Darüber hinaus haben Daten und Informationen auch in der Welt der industriellen Fertigung einen immer größeren Anteil an der Wertschöpfung. Dadurch wird sich die Geschwindigkeit, mit der Anwendungen, Angebote, Differenzierungsmöglichkeiten und Chancen entstehen und umgesetzt werden, massiv erhöhen.
Das Silicon Valley hat es in der B2C-Welt bereits vorgemacht: Wer zur richtigen Zeit nicht die richtigen Fähigkeiten im Unternehmen hat, wird überholt. Allerdings wird es Unternehmen nur vereinzelt gelingen, Fähigkeiten durch Einstellungen von außen aufzubauen. Im Kern geht es darum, das vorhandene Wissen der Mitarbeiter zu nutzen. Dieses bleibt weiterhin relevant, und Mitarbeiter müssen gezielt für konkrete neue Anforderungen befähigt werden.
Wissensplattform aus der Anwendung
Dass effektive Weiterbildung, die nah an der Anwendung bleibt und dennoch in kurzer Zeit zu Erfolgen führt, nur mit Hilfe von Plattformen gelingt, hat das Münchener Startup University4Industry (U4I) erkannt. Plattformen vereinen Expertenwissen aus der Industrie und ermöglichen es, dieses modular zu neuen Fähigkeiten und zugehörigen Lernpfaden zu kombinieren. Nur so kann Interdisziplinarität vermittelt werden. Personalisierte Lernpfade können nach Bedarf zusammengesetzt werden statt „one-size-fits-all“ in physischen Seminaren. Dabei geht es nicht nur um die Präsentation des Wissens, sondern auch um die Möglichkeit mit Daten, Tools und digitalen Fragestellungen zu spielen.
Die Münchener haben sich nicht von dem vermeintlichen Vorsprung der Amerikaner (etwa bei MOOC-Plattformen) beeindrucken lassen. Sie wollen die Industrie-4.0-Universität sein, die das in Deutschland vorhandene erforderliche Know-how vom Maschinenbau bis zur IT ermittelt. Allerdings liegt dieses in verschiedenen Köpfen und Unternehmen.
Digitale Bildung ist hierarchiefrei
Nicht einer erklärt den anderen die Welt, sondern alle erklären sich die Welt gegenseitig – das ist der Grundgedanke der U4I-Plattform, die Inhalte spannend präsentiert und Diskussionsmöglichkeiten für die Lernenden schafft. In die Plattform werden Beiträge in Form von Videos, Texten oder Challenges von Unternehmen eingestellt – von U4I selbst produziert.
Die Bereitschaft der Unternehmen, Inhalte beizutragen war groß: vom Großunternehmen wie Siemens, großen Mittelständlern wie Harting oder Pepperl+Fuchs bis zu Startups wie Relayr und Unternehmensberatern wie McKinsey sind alle Größenklassen vertreten.
Der Wissenspool, der auf diese Weise entstanden ist, wächst stetig weiter. Geschäftsgeheimnisse werden dabei nicht verraten. Es geht um Fachwissen, das im Prinzip öffentliches Wissen der Branche ist, aber doch verborgen in einzelnen Expertenköpfen. Die Struktur entsteht, wenn die Beiträge der Experten zu Fähigkeiten und dazugehörigen Lernpfaden zusammengesetzt werden.
Industrial Security mit dem VDMA
Die Idee für die Plattform entstand im Umfeld der Hannover Messe 2016, als der VDMA auf das Startup aufmerksam wurde. Zunächst setzte U4I eine Online-Version des VDMA-Leitfadens Industrie 4.0 Security um, gemeinsam mit Experten aus 15 Mitgliedsunternehmen des entsprechenden VDMA-Arbeitskreises. Im Anschluss daran wurde das Themenfeld mit ergänzenden Inhalten erweitert, die zusätzliche Partner beigesteuert haben.
Nun können verschiedene Fähigkeiten entsprechend den sehr unterschiedlichen Bedarfsprofilen der Unternehmen konfiguriert werden. Ein Betreiber hat nun mal ganz andere Fragestellungen als ein Komponentenhersteller. Aber auch Lernpfade in Anlehnung an die BSI-Empfehlungen BSI-CS 123 „Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen im ICS-Umfeld“ sind nun verfügbar.
University4Industry baut derzeit das Angebot mit weiteren Inhalten aus, zu denen Machine Learning für den Ingenieur, Connectivity oder der praktische Einsatz eines digitalen Zwillings gehören.