Messen extrem kurzer Phänomene Durchsichtiger Kupfer

Laurent Mercadier prüft den Aufbau in der Experimentierkammer

Bild: Frank Poppe, European XFEL
29.07.2024

Forschende am European XFEL erzeugten einen Materiezustand, wie er im Inneren von Planeten oder in der implodierenden Kapsel eines Trägheitsfusionsreaktors vorkommt. Zugleich eröffnen sie einen Weg zur Messung extrem kurzer Phänomene.

Die Erforschung der Bedingungen, wie sie im Inneren von Planeten, einschließlich der Erde, oder während einer Fusionsreaktion vorherrschen, ist eine große Herausforderung. Durch das Fokussieren des extrem leistungsstarken Röntgenlasers European XFEL auf eine Kupferfolie haben Forschende nun einen Materiezustand erzeugt und untersucht, der solchen exotischen Umgebungen ähnelt.

Die Wissenschaft nennt diesen Materiezustand warme, dichte Materie (WDM). Ihre Ergebnisse zum Verständnis und zur Charakterisierung dieses schwer fassbaren Materiezustands könnte bei der Erforschung der Trägheitsfusion helfen, mit der dereinst umweltschonend Strom erzeugt werden soll.

Wärme kann den Zustand von Materie drastisch ändern: Je nach Temperatur ist sie fest, flüssig oder gasförmig. In einem bestimmten Temperaturbereich nimmt die Materie einen Zustand an, der als warme, dichte Materie (WDM) bezeichnet wird: Sie ist zu heiß, um durch die Physik der kondensierten Materie beschrieben zu werden, gleichzeitig aber zu dicht für die Physik der schwach gekoppelten Plasmen.

Grenze ist nicht genau definiert

Die Grenze zwischen warmer, dichter Materie und anderen Materiezuständen ist allerdings nicht genau definiert. Häufig wird ein Temperaturbereich von 5.000 K bis 100.000 K bei Drücken von mehreren hunderttausend bar angegeben, wobei ein bar dem Luftdruck auf der Erdoberfläche entspricht. Warme, dichte Materie lässt sich daher nur sehr schwer herstellen und untersuchen.

Die intensiven Röntgenpulse des European XFEL haben sich nun als ein sehr nützliches Werkzeug zur Erzeugung und Analyse von warmer, dichter Materie erwiesen. Als Probenmaterial verwendeten die Forschenden Kupfer.

„Die hohe Intensität der Pulse kann die Elektronen in der Kupferfolie so stark anregen, dass sie in den Zustand warmer dichter Materie übergeht“, erklärt Laurent Mercadier, Wissenschaftler am SCS -Instrument und Leiter des Experiments: „Dies zeigt sich in einer Veränderung der Lichtdurchlässigkeit.“

Ein Metall, das mit einem intensiven Röntgenpuls bestrahlt wird, kann transparent werden, wenn die Elektronen im Metall die Röntgenenergie so schnell absorbieren, dass für nachfolgende Photonen keine Elektronen mehr zum Anregen übrigbleiben. Der verbleibende Schweif des Pulses kann dann das Material ungehindert durchdringen. Dies wird als sättigbare Absorption (SA) bezeichnet.

Umgekehrt kann ein Metall zunehmend undurchsichtig werden, wenn die Photonen am Anfang des Röntgenpulses im Material angeregte Zustände erzeugt, die dann einen höheren Absorptionskoeffizienten haben als das kalte Metall. Die Photonen am Ende des Pulses werden dann stärker absorbiert, ein Effekt, der als umgekehrte sättigbare Absorption (RSA) bekannt ist. Beide Prozesse werden in der Optik routinemäßig eingesetzt, um beispielsweise mit Lasern eine bestimmte Pulslänge zu erzeugen.

Signalanalyse mit dem Spektrometer

Die Forschenden am European XFEL haben nun scharf gebündelte, 15 fs lange Röntgenpulse auf eine 100 nm dicke Kupferschicht gestrahlt. Anschließend analysierten sie das Signal mit einem Spektrometer. „Das Spektrum hängt stark von der Intensität des Röntgenpulses ab“, erklärt Mercadier. „Bei geringer bis mittlerer Röntgenintensität wird Kupfer für den Röntgenstrahl immer undurchsichtiger und zeigt RSA. Bei höheren Intensitäten sättigt die Absorption jedoch und die Folie wird transparent“.

Diese Prozesse geschehen so schnell, dass die Atomkerne im Metall keine Zeit haben, sich zu bewegen. „Wir haben es mit einem sehr exotischen Zustand der Materie zu tun, bei dem das Gitter kalt ist und einige der ionisierten Elektronen heiß sind und sich nicht im Gleichgewicht mit den übrigen freien Elektronen des Metalls befinden“, erläutert Mercadier. Für die Forschenden ist die Veränderung der Trübung ein Zeichen dafür, dass es ihnen gelungen ist, warme, dichte Materie im Labor zu erzeugen und zu charakterisieren. „Um dies zu erklären, haben wir zudem eine Theorie entwickelt, die Festkörper- und Plasmaphysik miteinander verbindet“, sagt der Forscher.

Das Verständnis der Trübung von Materialien unter diesen extremen Bedingungen ist für die Trägheitsfusion dringend erforderlich. Bei der Trägheitsfusion wird hochgradig intensives Laserlicht eingesetzt, um ein Brennstoffkügelchen zu komprimieren und zu erhitzen, um so die für die Fusion erforderlichen Bedingungen zu schaffen.

Die Durchlässigkeit des Laserlichts bestimmt nun, wie viel Strahlungsenergie absorbiert oder einfach durch das Material hindurchgelassen wird, was maßgeblich die Effizienz der Fusionsreaktionen bestimmt.

Kurz, kürzer, atto

„Die jetzt untersuchten Effekte laufen so geschwind ab, dass wir noch kürzere Röntgenpulse benötigen, um die Dynamik der Elektronen vollständig aufzulösen“, sagt Andreas Scherz, leitender Wissenschaftler am SCS-Instrument. „Kürzlich hat der European XFEL die Fähigkeit demonstriert, Attosekundenpulse zu erzeugen, und damit eine Tür zur so genannten Attosekundenphysik geöffnet.“

Mit Röntgenpulsen im Attosekundenbereich könnte man die Bewegung von Elektronen bei der Bildung von warmer, dichter Materie präzise „filmen“ oder chemische Reaktionen und damit das Verständnis zum Beispiel von der Funktionsweise von Katalysatoren deutlich verbessern.

Die Physik-Nobelpreise 2023 für die französisch-schwedische Physikerin Anne L'Huillier, den ungarisch-österreichischen Physiker Ferenc Krausz und den französisch-amerikanischen Physiker Pierre Agostini zeigen, dass dieses Forschungsthema hochaktuell ist.

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  • Skizze des experimentellen Aufbaus und Messergebnisse

    Skizze des experimentellen Aufbaus und Messergebnisse

    Bild: European XFEL; Laurent Mercadier

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