Versorgungssicherheit & Autarkiekonzepte Dynamische Netzbelastungen rechtzeitig aufspüren

01.02.2012

Die schwankende Einspeisung aus erneuerbaren Energien belastet die Energieversorgungsnetze zunehmend. Eine frequenzgestützte Analyse kann auf allen Spannungsebenen Einblicke in die dynamische Stabilität bringen. Der angestrebte massive Netzausbau wird immer mehr Anwendungsfälle schaffen, sowohl in den Übertragungs- als auch in den Verteilnetzen.

Grundlage einer stabilen Betriebsführung von Energieversorgungsnetzen ist der ständige Ausgleich von Energieerzeugung und -verbrauch. Die Dynamik dieses Vorgangs bestimmte in der Vergangenheit in erster Linie die Verbraucherseite, wobei die auftretenden Fluktuationen aber verhältnismäßig gut vorhersehbaren zeitlichen Zyklen während eines Arbeitstages, einer Woche oder eines Jahres folgten. Obwohl durch die allmähliche Einführung von Elementen der elektronischen Verbrauchssteuerung à la „Smart Home“ auch der Lastgang vor grundlegenden Veränderungen steht, sind gravierende Umwälzungen auf der Erzeugerseite zu erwarten.

Der massive Ausbau erneuerbarer Energien führt hier auf zwei Ebenen zu neuartigen Belastungen für Energienetze. In den mittleren und niederen Spannungsebenen wandelt sich die klassische Energieflussrichtung durch die Ankopplung kleiner dezentraler Erzeuger stark. Besonders leistungsstarke erneuerbare Energieerzeuger wie Offshore-Windparks befinden sich hingegen oft in lastferner Lage. Dies bedeutet, dass große Energiemengen erst über weite Entfernungen zum Verbraucher geleitet werden müssen - eine Extrabelastung für die besonders teuren und deswegen alleine aus wirtschaftlichen Gründen schon heute hoch ausgelasteten Transportnetze.

Überwachung von Hochspannungsnetzen

Aufgrund dieser Entwicklungen kann es im laufenden Betrieb immer wieder zu nicht vorhersehbaren dynamischen Überlastungen des Netzes kommen. Um diese zu erkennen und zu verhindern, stützen sich Netzbetreiber schon seit langer Zeit auf sogenannte Scada-Messungen. Hierbei werden in relativ großen Intervallen (eine oder mehrere Sekunden) wichtige Betriebsdaten des Energieversorgungsnetzes ermittelt, an eine Leitstelle übermittelt und gegebenenfalls in Netzmodellen des statischen Zustands verwendet. In einem statischen Netz sind Scada-Messdaten wie Spannungen oder die Netzfrequenz verlässliche Kennzahlen für den Zustand des Netzes. Über dynamische Vorgänge in hochbelasteten Netzen sagen sie jedoch nur wenig aus, denn ihnen fehlt der Informationsgehalt über Schwingungsvorgänge oberhalb einiger Hertz komplett. Die übliche Darstellungsform dieser Messdaten als Zeitreihe ist ebenfalls nicht dazu geeignet, Oszillationen oder andere Netzereignisse zu detektieren und zu quantifizieren.

Erfassung des dynamischen Netzzustandes

Um überhaupt eine Chance zur Analyse von Netzdynamiken zu haben, muss man die Rate der Messdatenerfassung deutlich erhöhen. Hier bietet sich der Einsatz eines „Grid Dynamics Analyzing Systems“ an (Abbildung oben). Mit einer Bandbreite von 5 mHz bis 98 Hz und einer sehr hohen Auflösung von 5 mHz übertrifft es die Leistungsfähigkeit der konventionellen Leittechnik bei weitem.

Der wichtigste qualitative Unterschied ist aber die Fokussierung auf sensible Methoden der Frequenzbereichsanalyse in Ergänzung zur konventionellen Zeitreihendarstellung. Diese stützt sich sowohl auf die bekannte Fourier- als auch auf flexible Wavelet-Transformationen. In Systemen wie GDASys steht zusätzlich ein ganzes Arsenal an Detektorwerkzeugen zur Verfügung, das speziell für das Monitoring von Energieversorgungsnetzen entwickelt wurde. Sie zielen darauf ab, einschlägige Phänomene wie schleichende Driftprozesse und unerwünschte Oszillationen rechtzeitig sichtbar zu machen.

Besonders zu nennen ist hier der sogenannte Dämpfungsmonitor. Er protokolliert in der Netzspannung detektierte Schwingungsereignisse mit Zeitstempel und erlaubt die Auswertung von Frequenz, Amplitude und Dauer sowie deren Dämpfung mit statistischen Methoden. Systematisches Vorgehen wie ein Vergleich des Vorher-Nachher-Zustandes im Dynamikmonitor erlauben mit Hilfe der Frequenzbereichsanalyse Einsichten in die Vorgänge im Netz.

Verräterische Pendelungen im Übertragungsnetz

Die Schwingungsanalyse verhilft schon bei alltäglichen Schaltvorgängen in Stromnetzen zu einer differenzierten Bewertung der aktuellen Lage. Der Dämpfungsmonitor zeigt die Messspuren dreier Kenngrößen eines Übertragungsnetzes im laufenden Betrieb. Etwa in der Mitte des dargestellten Zeitintervalls trat ein Verlust von etwa 250 MW Einspeiseleistung auf (Abbildung oben). Die Netzspannung fällt zunächst etwas ab, wird dann durch eine abrupte Regelung des Transformators aber wieder auf das alte Niveau gebracht. In der Netzfrequenz zeigen sich nach dem Erzeugerabwurf lediglich einige kleinere, vorübergehende Schwankungen; aus Sicht der konventionellen Messtechnik scheint das Netz vor und nach dem Ereignis gleich stabil zu sein. Unter Zuhilfenahme des Dämpfungsmonitors (untere Spur) kann man jedoch sehr deutlich zwischen den beiden Netzzuständen unterscheiden. Jeder dargestellte Punkt ist hierbei eine durch hochaufgelöste Waveletanalyse der Netzspannung detektierte Schwingung im Netz. Man sieht am Dämpfungsmonitor sofort, dass direkt nach dem Leistungsverlust dynamische Pendelungen auftreten. Diese verschwinden auch dann nicht, wenn Spannung und Nennfrequenz sich längst wieder normalisiert haben.

Mit dem Dämpfungsmonitor hat der Netzbetreiber also ein sensibles Messinstrument zur Analyse der Netzdynamik in der Hand. Im Fall einer weiteren Ausweitung der gemessenen Schwingungsereignisse könnte man nun versuchen, die Situation durch eine erneute Erzeugerzuschaltung wieder zu stabilisieren. Die Effektivität dieser Maßnahme ließe sich dann wiederum anhand des Dämpfungsmonitors untersuchen.

Fahndung nach Störern im Verteilnetz

Das Bild oben rechts zeigt eine Messung im Verteilnetz, die Aufschluss über die Zerstörung mehrerer Messwandler bringen sollte. Weder war klar, welches elektrische Phänomen zu dem Schaden geführt hatte, noch was die Ursache war. Mobile Dynamikmessgeräte wiesen jedoch an einem Verbraucher eine deutliche Störung bei 9 Hz nach (obere Spur).

Ob diese Anlage die Störung im Netz verursachte, sollten unabhängige Dynamikmessungen an zwei Transformatoren im Verteilnetz zeigen: Die 9-Hz-Störung war anfangs außer an der verdächtigen Anlage auch an einem assoziierten Transformator (Trafo 2) zu sehen. Wurden beide Trafos in den Parallelbetrieb geschaltet, so war die Störung überall messbar. Wenn die Anlage auf alleinigen Betrieb mit Trafo 1 umgeschaltet wurde, wanderte die Störung zum neuen Trafo mit. Damit war die verdächtige Anlage zweifelsfrei als Verursacher der Störung identifiziert.

Vernetzung von Dynamikmessgeräten

Der zu erwartende massive Netzausbau wird immer mehr Anwendungsfälle für die Frequenzbereichsanalyse schaffen. Aktuell viel diskutiert wird die seit dem 1.1.2012 gültige EEG-Novelle, nach der Netzbetreiber bei Netzüberlastung die Einspeiseleistung von Anlagenbetreibern reduzieren können. Hier bietet die Frequenzbereichsanalyse ein ideales Werkzeug für die Netzüberwachung. Weitere Anwendungen sind etwa die Unterstützung bei der Parametrierung von Facts-Geräten, die Stabilitätsbewertung von Inselnetzen und der Dynamikvergleich zwischen Teilnetzen.

Während in all diesen Fällen eine dezentrale Messdaten-Erfassung typischerweise ausreicht, ist der nächste logische Schritt die Vernetzung mehrerer Dynamikmessgeräte. Durch Anbindung an eine zentrale Leitstelle, etwa über die Standards IEC 61850 oder IEEE C37.118, ist die direkte Integration mit bestehender Überwachungstechnik denkbar. Eine Datenfusion von Geräten an weit auseinander liegenden Netzknoten würde schließlich eine flächendeckende Überwachung der Netzdynamik ermöglichen. Ein derartiges, gut ausgebautes Weitbereichsmonitoring ist eine unverzichtbare Komponente der Netzsicherheit von morgen.

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