Wird eine neue Anlage entwickelt, können die Konstrukteure ihre Abläufe mit der europäischen Norm Grafcet (DIN EN 60848) beschreiben. Die Abkürzung steht für „Graphe Fonctionnel de Commande Etape Transition“, übersetzt bedeutet dies so viel wie: „Darstellung der Steuerungsfunktion mit Schritten und Weiterschaltbedingungen“. Die Verantwortlichen der Norm haben darauf geachtet, dass die notwendigen Symbole zum Erstellen der Schrittketten leicht zu zeichnen sind und dass die Anzahl der verschiedenen Elemente möglichst gering ist. Aus diesen Gründen ist ein Grafcet-Plan selbst mit Bleistift und Papier ohne großen Aufwand umsetzbar. Die wesentlichen Elemente dabei sind: Schritte, Transitionen, Aktionen, Wirkungslinien sowie Elemente, um Hierarchien und Strukturen zu bilden. Dazu gehören beispielsweise zwangssteuernde Befehle, mit denen sich Bedingungen für bestimmte Betriebszustände einer Anlage realisieren lassen.
Diese Bausteine ergeben eine mächtige, aber dennoch einfach erlernbare Sprache, mit der Konstrukteure die Abläufe in einer Anlage beschreiben können. Fachleute aus den Bereichen Mechanik und Elektrotechnik haben damit eine gemeinsame Diskussionsgrundlage, anhand derer sich Probleme schon in der Planung erkennen und lösen lassen. Später hat der Maschinenbediener ebenfalls Vorteile, wenn er die genaue Funktionsweise seiner Maschine kennt. So braucht er beispielsweise bei einer Störung nicht immer das Servicepersonal zu rufen.
Beschreibungssprache mit hohem Praxisnutzen
Dazu muss allerdings auch die Dokumentation auf dem neuesten Stand sein. Werden Änderungen – egal welchen Umfangs – an der Anlage vorgenommen, gilt es folglich, die Dokumentation entsprechend zu aktualisieren. Und hier fangen meist die Probleme an: Bei jeder Anlagenänderung ist zwangsläufig die SPS-Programmierung anzupassen. Hierzu wird bisher immer das Programmiertool der jeweiligen Steuerung genutzt. Wenn jetzt nicht auch der Grafcet-Plan nachgezogen wird, laufen die Programmierung und die Dokumentation irgendwann so weit auseinander, dass die ursprüngliche Dokumentation, beispielsweise für Wartungsmaßnahmen, nicht mehr zu gebrauchen ist. Ein gewisser Aufwand muss betrieben werden, um sicherzustellen, dass der Ist-Zustand in der Programmierung mit dem Grafcet-Plan übereinstimmt. Aus diesem Grund hat Grafcet sich trotz seiner unbestreitbaren Vorteile in der Praxis nicht überall durchgesetzt.
Dank der neuen Software Grafcet-Studio, entwickelt von MHJ-Software, dürfte sich dies ändern. Grafcet-Pläne lassen sich mit ihrer Hilfe per Knopfdruck direkt auf die Steuerung übertragen. Aus dem Grafcet-Plan wird automatisch das Steuerungsprogramm erstellt. Seit Dezember 2017 werden die Siemens-Steuerungen des Typs S7-300, S7-400, S7-1200 und S7-1500 unterstützt, weitere SPS werden in Zukunft folgen. Arduino sowie Raspberry Pi sind derzeit in Planung. Damit wird Grafcet-Studio das erste hersteller- und plattformunabhängige SPS-Programmiersystem sein. Jeder der Grafcet kennt, kann damit auch eine Steuerung programmieren. Änderungen der Programmierung lassen sich genauso einfach in der Dokumentation mitführen, sodass diese immer auf dem neuesten Stand ist.
Das windowsbasierte Programmiersystem besteht neben einem Simulator aus zwei Teilen: Der Grafcet-Editor erstellt den Ablaufplan, der Device-Connector überträgt Grafcet in die angeschlossene Steuerung. Die gleiche schlanke und hochperformante Grafcet-Engine, die den Grafcet auf dem PC simuliert, sorgt auf dem angeschlossenen Device dafür, dass die jeweilige Steuerung den Ablaufplan versteht, interpretiert ihn also entsprechend. Dafür genügen in der Steuerung etwa 40 kB Speicherplatz. Selbst auf der kleinen Siemens-Steuerung S7-1200, die nur 50 kB RAM-Speicher bietet, findet die Grafcet Engine also Platz.
Portierung innerhalb weniger Tage
Die Engine liegt im SCL-, C#- und C++-Quellcode vor, sodass die Portierung auf beliebige andere Geräte prinzipiell innerhalb weniger Tage möglich ist. Außer der Speicherkapazität und den entsprechenden Compilern braucht das Device lediglich eine Echtzeituhr oder einen Zeitgeber im Millisekundentakt sowie Windows-Treiber, um die Online-Schnittstelle zu realisieren. Dem Maschinenbetreiber steht somit ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem er das Steuerungsprogramm bei Bedarf modifizieren kann, ohne das kompliziertere Programmiertool des Steuerungsherstellers installieren oder bedienen zu müssen.
Wenn die Anlage – oder ein Teil davon – mit Grafcet programmiert ist, kann der Betreiber nicht nur Zeiten ändern, sondern auch die Programm-Logik. Dies war bisher ohne das SPS-Programmiertool nicht möglich, die tiefgreifenden Programmierkenntnisse hat aber nicht jeder. Grafcet dagegen wird bereits auf technischen Gymnasien und Berufsschulen gelehrt. Dadurch kann der Anlagenbetreiber flexibler, preisgünstiger und schneller auf Änderungen im Prozess reagieren und ihn optimieren, da er die notwendigen Änderungen selbst im Grafcet anpassen kann.
Chancen und Grenzen
Doch es gibt auch Grenzen: Grafcet ist keine Programmiersprache, es ist und bleibt eine Beschreibungssprache für Ablaufsteuerungen. Außerdem unterstützt Grafcet-Studio derzeit maximal 255 Schritte. Deshalb wird es immer Fälle geben, in denen ein Grafcet-Plan nur bedingt Sinn ergibt. Das Programmiersystem ist optimal für alle kleinen und mittleren Ablaufsteuerungen ohne Regelungen, Motion- und Kommunikationsaufgaben, zum Beispiel Bohranlagen, Bearbeitungsstationen, Blechbiegevorrichtungen und Absauganlagen, geeignet. Nicht vollständig realisierbar sind umfangreiche Maschinen und Anlagen mit verteilten Steuerungen oder zeitkritischen Vorgängen, in denen jede Millisekunde Zykluszeit zählt. Hier kann der Anwender mit Grafcet aber zumindest Teile der Anlagensteuerung „programmieren“. Denn das Grafcet-Programm und ein SPS-Anwenderprogramm können koexistieren und sich gegenseitig ergänzen. So lassen sich die Vorteile aus beiden Welten nutzen.