Energy 2.0: Herr Woste, wie beurteilen Sie die Bereitschaft der Energieversorger, derzeit in neue Kraftwerke zu investieren?
Ewald Woste: Es zeichnet sich ab, dass sich konventionelle Kraftwerke immer weniger rechnen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Unternehmen Entscheidungen treffen, solche Kraftwerke nicht zu bauen. Wir werden aber auch auf Dauer neue hocheffiziente konventionelle Kraftwerke brauchen. So viel steht heute schon fest.
Von ihrer Flexibilität gelten Gaskraftwerke als das Gebot der Stunde. Sehen Sie Alternativen?
Im konventionellen Kraftwerksbestand können Anlagen so ertüchtigt werden, dass sie besser regelbar sind. Auch hier haben Gaskraftwerke Vorteile bei der Geschwindigkeit, mit der sie hoch- und heruntergefahren werden können.
Sind neue Kohlekraftwerke politisch überhaupt noch durchsetzbar?
Auf europäischer Ebene nur mit CCS. Ungeachtet der technischen und wirtschaftlichen Umsetzung von CCS stellt sich die Frage, ob diese Technologie auf politische Akzeptanz stößt.
Hat die Technologie zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid in Deutschland überhaupt noch Chancen nach der missglückten Gesetzesinitiative?
Ich bin da pessimistisch, denn die vergangenen Monate haben die Hoffnung nicht genährt. Man müsste die Diskussion aber trotzdem dringend aufnehmen. Entsprechend dem Energiekonzept der Bundesregierung werden auch nach 2050 weiterhin konventionelle Stromerzeugungsanlagen existieren. Es wäre klimapolitisch verwerflich, eine Technologie bereits heute zur Seite zu legen, die uns helfen kann die CO 2-Emissionen weiter zu verringern.
Welche Konsequenzen wird die Neubesetzung des Umweltministeriums durch Peter Altmaier für die Energiewende haben?
An der Energiewende müssen sehr viele Akteure mitarbeiten. Die Kernaufgabe wird sein, diese Akteure einzubinden - und darin liegt eine der zentralen Herausforderung für den neuen Bundesumweltminister.
Kann das bei dieser verteilten Struktur der Zuständigkeiten gelingen? Bräuchten wir stattdessen nicht ein Energieministerium?
Ein Energieministerium wäre wünschenswert, aber man muss auch Realist bleiben. Die Kanzlerin hat angekündigt, dass es in dieser Legislaturperiode kein Energieministerium geben wird. Das ist also sicher eine charmante politische Forderung, sie wird nur nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Mir würde schon reichen, wenn man das Thema Energiewende über ein hocheffizientes Projektmanagement steuert, ähnlich wie es Industrieunternehmen bei ihren Großprojekten praktizieren. Dieser Ansatz fehlt bei der Energiewende bisher: Das ist viel Einzelstückwerk, es gibt in den 16 Bundesländern eigene Energiekonzepte, die nicht abgestimmt sind mit der Linie der Bundesregierung. Gutes Projektmanagement würde an dieser Stelle viel weiter helfen.
Wo müsste das angesiedelt sein?
Das Kanzleramt muss die Koordinierung übernehmen.
Kann Projektmanagement in Politik und Verwaltung, die ja keinen existentiellen Kostendruck spüren, so effizient sein wie in der freien Wirtschaft? Droht da nicht nur die Errichtung eines neuen Verwaltungsapparates?
Es ist mittlerweile ein erheblicher Druck entstanden, die Energiewende umzusetzen. Es geht nicht darum, eine neue Behörde zu schaffen. Sowohl das Umweltministerium als auch das Wirtschaftsministerium haben eigene Plattformen für erneuerbare Energien und für konventionelle Kraftwerke eingerichtet, die Industrie und Verbände einbinden sollen. Diesen Weg muss man weitergehen. Alle Beteiligten der Energiewende müssen an einen Tisch kommen, wenn dann aber die Dinge nicht laufen, muss steuernd eingegriffen werden. Diese Rolle muss jetzt von der Politik übernommen werden.
Apropos erneuerbare Energie: Warum kommt der Anschluss und Ausbau der Offshore-Windanlagen nicht recht voran?
Einerseits verhalten sich die Windparkbetreiber abwartend, weil sie nicht wissen, wie schnell sie mit einem Netzanschluss rechnen können. Auf der anderen Seite sind beispielsweise im Fall von Tennet Milliardeninvestitionen nötig. Die Frage ist, wie solche Unternehmen so hohe Investitionen stemmen können.
Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?
Im Kern geht es dabei um die Haftung - das Wirtschaftsministerium ist derzeit dabei, den Unternehmen zu helfen, wenn der Netzanschluss nicht schnell genug kommt und wenn die Investition nicht schnell genug trägt. Der BDEW hat dazu kürzlich den ersten Branchenkompromiss zum Umgang mit den Kosten durch Störungen und Verzögerungen der Netzanbindung von Offshore-Windparks vorgelegt.
Ist denn schon Vertrauen verloren gegangen?
Zumindest hat uns das beim Ausbau der Windenergie zurückgeworfen.
Fortschritte gibt es derzeit beim Ausbau der Windenergie onshore - mehr als uns lieb sein kann?
Die Gefahr zu übersteuern ist groß, und auch in diesem Bereich muss jemand koordinierend eingreifen. Man muss an den Stellen ausbauen, wo die Infrastruktur vorhanden ist, um den Strom abtransportieren zu können.
Ein anderes Krisenfeld ist ja die Solarenergie. Wo könnte ein Kompromiss beim EEG liegen?
Ich würde bei keiner der erneuerbaren Energien von Krisenfeldern sprechen. Aber wir müssen die Vergütungen über das EEG dringend nachjustieren, sonst laufen uns die Kosten aus dem Ruder. Aber wir müssen auch über die Integration der Erneuerbaren in ein Marktmodell nachdenken. Denn die Kernfrage wird sein: Können wir uns auf Dauer eine Subvention in dieser Höhe und in dieser Struktur leisten? Wenn wir auch bei fossilen Kraftwerken noch Subventionen einziehen müssten, damit diese Kraftwerke überhaupt gebaut werden, dann haben wir überhaupt keine Marktelemente mehr in der Energieproduktion. Es muss jetzt darüber diskutiert werden, wie langfristig das neue gemeinsame Marktdesign aussehen könnte.
Welche Ansätze gibt es da?
Das Umweltministerium hat mit dem Marktprämienmodell bereits erste Ansätze geschaffen. Bei diesem Modell können sich die Unternehmen entscheiden, ob sie als Produzent zum Beispiel von Windkraft voll auf die EEG-Vergütung setzen oder den Strom selbst vermarkten. So ergeben sich erste Lernkurven für eine mögliche Marktintegration der Erneuerbaren in der Zukunft. Aber das ist erst der Anfang. Wir müssen die Frage beantworten, wie das Marktdesign der Zukunft bei 40, 60 oder 80 Prozent erneuerbare Energien am Netz aussieht, .
Wird es neues Konfliktpotenzial und neuen Widerstand in der Bevölkerung geben?
Ich spüre in vielen Diskussionen, dass die Menschen die Energiewende mittragen. Aber das ist etwas ganz Abstraktes für jeden einzelnen von uns. Die Menschen wären auch bereit Windparks zu „ertragen“, wenn damit die energiepolitischen Ziele erreicht werden. Dramatisch wäre es natürlich, die erneuerbaren Energien auszubauen und dann festzustellen, dass diese nicht einspeisen können, weil Leitungen fehlen - das würde kein Mensch verstehen. Die Gefahr ist, dass man die Menschen nicht mehr mitnehmen kann, wenn sie nicht sehen, dass es dem Ziel der Energiewende dient. In meinen Augen ist das ein großer Kommunikationsauftrag für alle Beteiligten.
Von welchen Themen versprechen Sie sich Fortschritte in der Diskussion beim BDEW-Kongress?
Der gewichtige Punkt ist die Integration der einzelnen Energiekonzepte. Impulse erhoffe ich mir auch bei der Frage des zukünftigen Marktdesigns: Wird es auf Dauer überhaupt noch ein Marktmodell geben oder wird Energiewirtschaft zurückgeführt werden auf staatlich regulierte und gesteuerte Systemstrukturen - das ist sicher eine ganz spannende Fragestellung, mit der sich auch der BDEW-Kongress Ende Juni beschäftigen wird. Und der kurzfristige bis mittelfristige Aspekt ist: Wie sichern wir die konventionelle Erzeugung ab, solange wir noch keine 60, 70 oder 80 Prozent Erneuerbare haben und uns noch im heutigen Marktmodell befinden. Und wir freuen uns auf eine große Auswahl prominenter Redner, an der Spitze Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.