Energy 2.0: Herr Dr. Rothermel, welche Auswirkungen hat die Verteuerung der Energiepreise, über die wir in diesen Tagen viel diskutieren, auf Ihre Mitgliedsunternehmen?
Dr. Jörg Rothermel: Infolge des enormen Strombedarfs, den wir als chemische Industrie haben - wir verbrauchen so viel Strom wie etwa zehn Millionen Vier-Personen-Haushalte - hat natürlich jegliche Verteuerung eine sehr große Auswirkung auf unsere Unternehmen. Jede Verteuerung des Strompreises um einen Cent kostet uns im Jahr etwa 500 Millionen Euro mehr.
Wie viel teurer ist denn der Strom für Sie in den letzten zehn Jahren geworden?
Der Preis hat sich mehr als verdoppelt. Momentan hält er sich relativ stabil bei etwa 50 Euro pro Megawatt-Stunde. Aber wir müssen uns immer vor Augen halten, dass alleine schon im innereuropäischen Ausland, etwa in Frankreich, Spanien oder Italien, teilweise Industriestrompreise festgelegt werden, die deutlich darunter liegen.
Wie stark sind denn eigentlich die Ertragsrechungen Ihrer Mitgliedsunternehmen tatsächlich durch den Strompreis beeinflusst?
Das kommt natürlich auf den Prozess als solchen an. Wir haben Prozesse, da macht der Strom - quasi als Rohstoff - im Prozess 40 bis 50 % der Gesamtproduktionskosten aus. Und je nachdem, wie stark er schwankt, kann das auch relativ schnell in die Ertragslage der Unternehmen eingreifen.
Was tun Ihre Mitgliedsunternehmen für die Energieeffizienz?
Das ist ein Thema, das vollkommen unabhängig von der Energiewende und allen politischen Maßnahmen für unsere Unternehmen wichtig ist, weil Energie natürlich eine erhebliche Kostenrolle spielt und die Unternehmen von sich aus eine hohe Motivation haben, Energie so effizient wie möglich einzusetzen. Grob über den Daumen kann man sagen, dass wir unsere Energieeffizienz seit 1990 verdoppelt haben. Wir haben unseren absoluten Energieverbrauch um knapp 30 % gesenkt, unsere Produktion aber um 50 % erhöht.
Was sind die wesentlichen Prozesse, bei denen Sie Energie sparen konnten und wo kann man noch besonders viel holen? Welche Rolle spielt das Thema Prozesswärme dabei?
Das kann man gar nicht so auf einzelne Prozesse fokussieren. Was gerade für die chemische Industrie spezifisch ist, ist die Produktion in größeren Verbundstandorten, wo man Prozesse optimal aufeinander abstimmen und den Wärmefluss nutzen kann. Da ist gerade in den letzten zehn bis 15 Jahren sehr viel geschehen. So wird praktisch keine Wärme, die bewusst erzeugt wird oder auch in den Prozessen als Abwärme entsteht, vergeudet, sondern in Kaskaden in den Unternehmen genutzt. Hinzu kommt, dass 90 Prozent unserer Wärmeerzeugung heute in Kraftwärmekopplungs-Anlagen erfolgt.
Jetzt wird immer mehr über organische Rankine-Prozesse diskutiert, mit denen man auch relativ niedrige Abwärme-Temperaturen nutzen kann, um Strom zu erzeugen. Wie interessant sind diese Technologien?
Sie sind in der Erprobung und Entwicklung. Wir beobachten das und wir hoffen, dass sich das zur Steigerung der Energieeffizienz einsetzen lässt.
CO 2wollen wir nicht in der Atmosphäre haben, aber Kohlenstoff ist ein wichtiger Baustein in der chemischen Industrie. Wird es eines Tages möglich sein - Bayer und BASF forschen daran ja schon - CO 2stofflich wieder zu nutzen und zu verwerten?
CO 2wird heute schon in geringem Umfang stofflich genutzt und verwertet. Wir haben einzelne Prozesse, bei denen wir es relativ günstig und schnell in ganz reiner Form gewinnen und dieses CO 2dann als Kohlenstoffquelle für bestimmte Prozesse nutzen können. Zum Beispiel wird Harnstoff in Deutschland in einem großen Maße durch Nutzung von CO 2aus der Ammoniaksynthese hergestellt. Aber auch andere Prozesse sind derzeit in der Entwicklung. Gerade in der Kunststoffproduktion kann das auch eine Rolle spielen, da geht es um große Mengen, die eingesetzt werden können. Da wird sich in den nächsten Jahren vieles tun. Das Problem, das wir mit CO 2haben ist, dass das Kohlendioxid in einer tiefen, tiefen Energiesenke liegt und alles, was wir mit ihm machen wollen, viel Energie benötigt.
Wie viel CO 2könnten wir überhaupt stofflich verwerten?
Zur Deckung des Kohlenstoffbedarfs für die chemische Industrie in Deutschland würden drei große Kraftwerke reichen, wenn man den Bedarf über CO 2decken würde - das CO 2aus drei großen Kraftwerken von über 1000, die wir in Deutschland haben!
Das Gespräch führte Johannes Winterhagen, Energy 2.0