Die Kombination aus Effizienz und erneuerbaren Energien ist laut Passivhaus Institut auch im vermieteten Geschosswohnungsbau die zukunftsfähige Lösung – das zeigt ein aktueller Neubau in Innsbruck: Als weltweit erstes Mehrfamilienhaus ist das Gebäude der Wohnbaugesellschaft Neue Heimat Tirol als „Passivhaus Plus“ zertifiziert worden. Grundlage dieses Konzepts ist nicht eine bloß theoretische, für die Anwendung in der Praxis irreführende Jahresenergiebilanz. Betrachtet wird vielmehr die tatsächliche regionale und jahreszeitliche Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie. Auf diese Weise wird ein vollständig nachhaltiges Versorgungssystem möglich. Das Zertifikat wurde am Dienstag, den 4. August 2015, in Innsbruck an den Bauträger überreicht.
„Die Frage, ob ein Wohngebäude vollständig, also das ganze Jahr über mit erneuerbarer Energie versorgt werden kann, ist von der Neuen Heimat Tirol eindeutig beantwortet: Ja, es geht“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Feist, Leiter des Passivhaus Instituts. Grundlage dafür sei die bewährte Energieeffizienz des Passivhaus-Standards. Dadurch sei der Energiebedarf derart gering, dass die in der Region erneuerbar erzeugte Energie sogar im Winter ausreiche. „Die oft angeführte Netto-Jahresbilanz hilft bei der Suche nach einem praktikablen Konzept zur energetischen Bewertung von Gebäuden nicht weiter – denn bis heute ist es mit auch nur annähernd vertretbarem Aufwand nur begrenzt möglich, sommerliche Wärme- oder Stromüberschüsse für den Winter zu speichern“, betont Feist. „Mit dem Passivhaus Plus ist dieses Problem gelöst.“
Die Wohnanlage Vögelebichl in Innsbruck besteht aus zwei Neubauten, die durch eine Tiefgarage miteinander verbunden sind. Der als klassisches Passivhaus zertifizierte südliche Baukörper verfügt über 10 Wohnungen. In dem als Passivhaus Plus zertifizierten nördlichen Gebäude befinden sich auf vier Stockwerken insgesamt 16 Wohnungen. Für das Plus im Energiekonzept sorgen eine Grundwasserwärmepumpe, eine thermische Solaranlage und eine Photovoltaik-Anlage. Um auf der anderen Seite der Bilanz den Bedarf gering zu halten, kommen in beiden Gebäudeteilen die bewährten Grundprinzipien des Passivhaus-Standards zum Einsatz: Komfortlüftung, Dreischeibenverglasung, sehr gute Wärmedämmung, luftdichte Gebäudehülle und wärmebrückenfreie Konstruktion.
Die Zertifizierungsklasse Passivhaus Plus wurde im April 2015 mit einer neuen Version des Planungstools PHPP eingeführt. Die Obergrenze für den Gesamtbedarf an erneuerbarer Primärenergie (PER) liegt hier bei 45 kWh/(m²a). Zugleich müssen, bezogen auf die überbaute Fläche, mindestens 60 kWh/(m²a) erneuerbare Energie erzeugt werden. Der Heizwärmebedarf darf, genau wie beim Passivhaus Classic, maximal 15 kWh/(m²a) betragen. Als weltweit erstes Passivhaus Plus wurde kürzlich ein Einfamilienhaus in Baden-Württemberg zertifiziert, ein Einfamilienhaus in Lohfelden bei Kassel hat inzwischen ebenfalls die Kriterien erfüllt.
„Mit dem ersten Mehrfamilienhaus als Passivhaus Plus ist nun ein weiterer wichtiger Schritt erreicht“, sagt Feist. „Auf diese Weise werden in großem Maßstab erhebliche Einsparungen an Energie möglich.“ Dies sei jedoch nicht der einzige Vorteil des Passivhaus-Standards. „Die Erfahrungen zeigen, dass sich Passivhäuser durch besonders gute Behaglichkeit und auch einen sehr guten Bautenschutz auszeichnen – und sie damit eine attraktive Zukunftsinvestition sind.“ In der Kombination mit der Erzeugung erneuerbarer Energie seien zugleich bereits die künftigen Anforderungen der EU an ein „Nearly Zero-Energy Building“ (NZEB) erfüllt.