Elektronen bewegen sich langsamer Forscher steuern elektronische Eigenschaften von Moiré-Kristallen

Dr. Nihit Saigal (Erstautor der Studie) wählt aus einer Kristallprobe bei mikroskopischer Betrachtung eine ultradünne Schicht zur weiteren Bearbeitung aus.

Bild: Universität Münster - Peter Leßmann
24.07.2024

Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Ursula Wurstbauer vom Physikalischen Institut der Universität Münster hat untersucht, wie sich Elektronen in zweidimensionalen Kristallen kollektiv anregen und steuern lassen. Die Studie ist wegweisend, um die elektronischen Eigenschaften der Kristallstrukturen zu verstehen und sie gezielt zu beeinflussen.

Macht man ein Material dünn und immer dünner, macht es ab einem gewissen Punkt eine scheinbar wundersame Verwandlung durch: Ein zweidimensionales Material, das aus nur einer oder zwei Moleküllagen besteht, hat zum Teil völlig andere Eigenschaften als dasselbe Material, wenn es dicker ist.

Ein Forschungsteam um die Physikerin Prof. Dr. Ursula Wurstbauer von der Universität Münster untersucht, wie man die Eigenschaften zweidimensionaler Kristalle so steuern kann, dass sie sich zum Beispiel wie ein Isolator, ein elektrischer Leiter, ein Supraleiter oder ein Ferromagnet verhalten.

Dazu nutzten die Wissenschaftler die Wechselwirkungen zwischen den Ladungsträgern (Elektronen) und der sogenannten Energielandschaft der Kristalle. Nun hat das Team erstmals kollektive Anregungen der Ladungsträger innerhalb verschiedener Energielandschaften erzeugt und quantitativ nachgewiesen. Die Studie ist wegweisend, um die elektronischen Merkmale der Kristallstrukturen zu verstehen und sie gezielt zu beeinflussen.

Schichten von zwei Lagen übereinander

Um die unterschiedlichen Eigenschaften zu erhalten, schichteten die Wissenschaftler zwei Lagen eines zweidimensionalen Kristalls übereinander und verdrehten sie leicht gegeneinander. Durch diese Verdrehung entstehen geometrische Muster, sogenannte Moiré-Muster – ähnlich wie bei zwei übereinander gelegten Lagen eines dünnen Vorhangstoffes.

Diese Muster prägen die Energielandschaft und zwingen die Elektronen dazu, sich erheblich langsamer zu bewegen. Diese Veränderungen führen dazu, dass die Elektronen intensiv miteinander wechselwirken, was zu sogenanntem stark korreliertem Verhalten führen kann.

Muster von Elektronen

„Die Elektronen spüren und sehen sich also, und es passiert, dass in der Nachbarschaft eines Elektrons ein Moiré-Gitterplatz aufgrund der Abstoßung nach dem Coulomb-Gesetz nicht oder nur mit hohem Energieaufwand besetzt werden kann“, erläutert Wurstbauer. „Abhängig von dem Muster und der Anzahl der Elektronen bilden sich die Korrelationen.“ Als ein anschauliches Bild für unterschiedliches Verhalten der Elektronen nennt sie das „wilde“ Tanzen in der Disko im Vergleich zu geordneten Tanzmustern beim Standardtanz. „Die Art, wie die Elektronen tanzen beziehungsweise sich in den Moiré-Mustern bewegen können, hängt stark vom Muster, der Anzahl der Ladungsträger und der dadurch entstehenden Energielandschaft ab.“

Die Eigenschaften dieser Materialsysteme seien nicht nur in der grundlegenden Forschung spannend, betont Wurstbauer. „Sie bieten möglicherweise innovative Anwendungsmöglichkeiten in der Quantentechnologie oder für die Realisierung sogenannter neuromorpher Bauelemente und Schaltkreise.“

Das Team, dem neben der Arbeitsgruppe von Wurstbauer Wissenschaftler der Universität Hamburg, der RWTH Aachen und vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg angehörten, präparierte unterschiedliche zweidimensionale Kristalle (Graphen, Molybdändiselenid und Wolframdiselenid) und untersuchte die Proben mit Methoden der optischen Spektroskopie bei kryogenen Temperaturen („resonant inelastic light scattering spectroscopy“). Die experimentellen Arbeiten kombinierten die Forscher mit theoretischen Analysen.

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