Große Lücke bei Ingenieur- und Informatikberufen Jährlicher Wertschöpfungsverlust durch massiven Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel betrifft derzeit alle Berufsgruppen, aber insbesondere in den Ingenieur- und IT-Berufen führt er laut einer Studie zu einem hohen jährlichen Wertschöpfungsverlust.

Bild: iStock, interstid
20.08.2024

Fachkräftemangel bekämpfen – 15,6 Prozent weniger offene Stellen im Vergleich zum Vorjahr zeigen einen positiven Trend. Ein Grund dafür ist, dass die Zahl der ausländischen Fachkräfte in Ingenieurberufen von 2012 bis September 2023 um 146,6 Prozent gestiegen ist. Dennoch bleibt die Engpassquote vor allem in der Energie- und Elektrotechnik hoch. Aktueller Fachkräftemangel in Ingenieur- und IT-Berufen führt laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu einem jährlichen Wertschöpfungsverlust von rund 9 bis 13 Milliarden Euro.

Der Bedarf an Ingenieurinnen und Ingenieuren ist insbesondere aufgrund der Herausforderungen durch Digitalisierung und Transformation weiterhin sehr hoch. Trotz einer um 15,6 Prozent gesunkenen Zahl an offenen Stellen im Vergleich zum Vorjahr leidet der Standort Deutschland weiterhin unter starkem Fachkräftemangel in den Ingenieurberufen. Entlastung bringt der seit 2012 deutlich gestiegene Anteil ausländischer Ingenieurinnen und Ingenieure, von dem vor allem süd- und ostdeutsche Bundesländer profitieren.

Verlust von 9 bis 13 Milliarden Euro

Die aktuell fehlenden Beschäftigten in den Ingenieur- und Informatikberufen führen zu einem jährlichen Wertschöpfungsverlust von etwa 9 bis 13 Milliarden Euro. Das sind die zentralen Ergebnisse des gemeinsamen Ingenieurmonitors von VDI und IW zum Thema Fachkräftemangel und ausländische Beschäftigte im deutschen Arbeitsmarkt. Im ersten Quartal 2024 ist die Gesamtzahl an offenen Stellen in Ingenieurberufen im Vorjahresvergleich um 15,6 Prozent auf 148.000 gesunken, bleibt aber weiterhin auf hohem Niveau.

„Der Rückgang ist sicherlich auch auf die wirtschaftliche Situation zurückzuführen, in der Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhaltend sind. Dennoch gibt es positive Signale“, sagt VDI-Direktor Adrian Willig. Die Engpasskennziffer (offene Stellen je 100 Arbeitslose) liegt unverändert bei 333. Die größten Engpässe bestehen bei Ingenieurberufen in den Bereichen Energie- und Elektrotechnik (Engpassrelation 558), Bau/Vermessung/Gebäudetechnik und Architektur (Engpassrelation 433) sowie Maschinen- und Fahrzeugtechnik (368) und Informatik (303).

Schlüssel zur Fachkräftesicherung

Positiv entwickelt hat sich vor allem die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte (ohne Flüchtlingsländer und UK) auf den deutschen Arbeitsmarkt. „In den kommenden Jahren wird durch Digitalisierung und Klimaschutz der Bedarf an Beschäftigten in Ingenieur- und Informatikberufen weiter ansteigen. Der Fachkräftemangel kann nur durch vielfältige Anstrengungen abgefedert werden. Wir müssen mehr junge Menschen und auch Frauen für den Ingenieurberuf begeistern. Von der Batterie bis zum Windrad: Überall können Ingenieure und Ingenieurinnen essenzielle Beiträge für unseren Innovationsstandort leisten. Klar ist auch, dass wir eine vermehrte Zuwanderung von Ingenieurinnen und Ingenieuren brauchen, sagt Adrian Willig.

„Und hier sind wir erfreulicherweise auf einem guten Weg.“ Denn die Zuwanderung in den letzten Jahren hat erheblich zur Sicherung der Fachkräfte in den Ingenieur- und Informatikberufen beigetragen. Von Ende 2012 bis September 2023 stieg die absolute Zahl der ausländischen Beschäftigten in Ingenieurberufen von 46.489 auf 114.648 und damit um 146,6 Prozent. Der Anteil ausländischer Ingenieurbeschäftigter an allen Ingenieurbeschäftigten stieg so in diesem Zeitraum prozentual von 6 Prozent auf 11 Prozent.

Den deutschen Standort attraktiver machen

Vom gesamten Beschäftigungszuwachs in Ingenieurberufen (263.760 Beschäftigte) entfielen rund 26 Prozent (68.159 Beschäftigte) auf zugewanderte Fachkräfte. Die meisten von ihnen kommen aus Indien, der Türkei, Italien, China, Frankreich und Spanien. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen der sozialversicherungspflichtig in akademischen MINT-Berufen Beschäftigten liegt zwischen 5.411 Euro (25-44 Jahre) und 6.750 Euro (45+). Gleichzeitig stammen 13 Prozent der 2020 angemeldeten Patente in Deutschland von ausländischen Fachkräften.

„Wir müssen den deutschen Standort noch attraktiver machen, indem wir bürokratische Hürden abbauen, die Fachkräfte zum Kommen und ausländische Studierende in MINT-Fächern zum Bleiben bewegen“, bekräftigt der VDI-Direktor. „Die Wertschöpfungsverluste wären ohne Zuwanderung deutlich höher“, ergänzt Prof. Axel Plünnecke vom IW. „Ohne die hohe Dynamik bei der Beschäftigung von ausländischen Fachkräften in Ingenieur- und Informatikberufen wäre die Anzahl der fehlenden Beschäftigten in diesen Berufen und damit der Wertschöpfungsverlust durch den Mangel in Ingenieur- und Informatikberufen gut doppelt so hoch“, führt er weiter aus.

Süd- und Ostdeutschland profitieren von ausländischen Beschäftigten

Die höchsten Anteile ausländischer Beschäftigter in Ingenieurberufen finden sich in Bayern, Hessen, Thüringen, Brandenburg und Berlin. „Vor allem im forschungs- und patentstarken Großraum München hat sich die Zuwanderung als wichtiger Faktor für die Fachkräftesicherung erwiesen“, sagt Plünnecke. „Hier arbeiten mit 11.681 Personen die meisten ausländischen Ingenieurinnen und Ingenieure – und damit mehr als in ganz Hessen und fast doppelt so viele wie Niedersachsen.”

Insgesamt haben im Landkreis München 23,7 Prozent der in Ingenieurberufen Beschäftigten eine ausländische Staatsangehörigkeit, Starnberg verzeichnet den bundesweit höchsten Wert von 29,3 Prozent. Auch in anderen Regionen ist der Anteil ausländischer Beschäftigter hoch: Der Ilm-Kreis in Thüringen kommt auf 25,1 Prozent, der Main-Taunus-Kreis auf 23,4 Prozent und die Region um Frankfurt an der Oder auf 22,8 Prozent. Unter den zwölf Kreisen/Städten mit den höchsten Anteilen von ausländischen Staatsangehörigen an der sozialversicherungspflichten Beschäftigung in Ingenieurberufen sind sechs in Bayern, drei in Hessen und je einer in Thüringen, Brandenburg und Berlin.

VDI-Xpand Projekt zur Eingliederung ausländischer Fachkräfte

Um zugewanderte Fachkräfte bei der Integration in Arbeitswelt und Gesellschaft zu unterstützen, hat der VDI das Projekt VDI-Xpand initiiert. „Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, es kommen aber auch Menschen, die wir in die Arbeitswelt aber auch in die Gesellschaft integrieren müssen. Der VDI mit seinen regionalen Strukturen bietet beste Voraussetzungen, um Ingenieurinnen und Ingenieure mit Menschen zu vernetzen, die gleiche Interessen haben”, so VDI-Arbeitsmarktexperte und Projektleiter Ingo Rauhut.

Im Zentrum von VDI-Xpand steht ein Mentoring-Programm, mit dem zugewanderten Ingenieurinnen und Ingenieuren ein berufserfahrenes VDI-Mitglied zur Seite gestellt wird. Das überwiegend online durchgeführte Angebot wird ergänzt durch Netzwerkveranstaltungen vor Ort. Der mit Mitteln aus dem bundesweiten Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung” (IQ) geförderte Ansatz ist 2024 erfolgreich als Pilot in Nordrhein-Westfalen gestartet.

Breite Maßnahmenpalette notwendig, um Lücke zu schließen

Neben diesen Anstrengungen bedarf es einer breiten Palette an Maßnahmen, um junge Menschen in Deutschland für Technik und Wissenschaft zu begeistern, ergänzt VDI-Direktor Adrian Willig. „Um die Fachkräftelücke zu schließen, sind auch viel mehr Frauen im Ingenieurberuf wichtig. Hier zeigen wir regelmäßig Role Models und unterstützen Frauen mit einem gezielten Mentoring-Programm, dem VDI WoMentorING“, so Willig. „Und es beginnt schon bei den Jüngsten. Interesse an Technik zu wecken, das ist unser Anliegen.“ Insgesamt bedarf es einer Maßnahmenpalette, um unseren Innovations- und Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig zu halten.

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