Alles kommt anders: Die deutsche Koalition aus CDU und SPD plant laut Koalitionsvertrag die Abschaffung der Berichtspflicht des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Die grundlegenden Sorgfaltspflichten sollen allerdings bestehen bleiben. Ein neues „Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung“ soll gemäß dem Vertrag dazu dienen, die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) umzusetzen. Unternehmen sind folglich weiterhin aufgefordert, Verantwortung für ihre Lieferketten zu übernehmen.
Drei zentrale Herausforderungen sind dabei zu bewältigen: Die ethische Verantwortung für faire Arbeitsbedingungen in der gesamten Wertschöpfungskette, die Sicherstellung nachhaltiger Produktionsprozesse zum Schutz der Umwelt sowie die Gewährleistung einer robusten Lieferkette für eine kontinuierliche und wirtschaftliche Fertigung.
Die Verletzung von Arbeitsrechten stellt nicht nur ein Risiko für die betroffenen Personen dar, sondern kann auch zu erheblichen Reputationsschäden führen. Umweltbelastungen durch Zulieferer können zu Produktionsstopps und kostenintensiven Sanierungsmaßnahmen führen. Gleichzeitig stellen unzuverlässige oder instabile Geschäftspartner eine Bedrohung für die Kontinuität der eigenen Fertigung und damit für die Wettbewerbsfähigkeit am Markt dar. Systematische Bewertungsverfahren sind ein wichtiges Instrument, um vielfältige Risiken frühzeitig zu identifizieren und präventive Maßnahmen zu entwickeln.
Um zu bewerten, strukturieren und priorisieren
Der Schlüssel für eine effektive Lieferantenüberwachung liegt in der gezielten Priorisierung. Produktionsunternehmen beziehen ihre Komponenten von hunderten direkten Zulieferern, die wiederum eigene Lieferantennetzwerke unterhalten. Eine undifferenzierte Betrachtung aller Partner überfordert verfügbare Ressourcen und bringt wenig aussagekräftige Ergebnisse.
Erfolgreiche Unternehmen verwenden einen risikoorientierten Bewertungsansatz: Zunächst werden Lieferanten nach ihrer strategischen Bedeutung und den potenziellen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken kategorisiert. Besondere Aufmerksamkeit erhalten Partner in kritischen Regionen, risikobehafteten Branchen oder mit hohem Beschaffungsvolumen.
Risiken KI-gestützt aufdecken
Heute hilft KI-gestütztes Monitoring bei der kontinuierlichen Überwachung von Lieferantennetzwerken. Diese Systeme analysieren laufend öffentliche Informationsquellen in mehreren Sprachen und identifizieren potenzielle Probleme frühzeitig, lange bevor diese eskalieren. Die automatisierte Risikobewertung dient dabei als Frühwarnsystem, dessen Resultate anschließend durch weitere, tiefergehende Überprüfungen ergänzt werden.
Die Services von TÜV Süd ermöglichen die Kombination dieser KI-basierten Technologie mit gezielten Vor-Ort-Audits. Abhängig vom ermittelten Risikoprofil kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz: Niedrigrisiko-Lieferanten können durch Selbstauskünfte oder Zertifikatsnachweise bewertet werden, während kritische Partner umfassende Vor-Ort-Prüfungen durchlaufen.
Durch die Kombination aus digitaler Überwachung und gezielten Audits werden sowohl die Effizienz als auch die Aussagekraft der Bewertungsverfahren optimiert. Die kontinuierliche Aktualisierung der Risikoprofile ermöglicht eine dynamische Anpassung der Überwachungsintensität.
Drei-Stufen zur Transparenz
In der ersten Stufe eines Audits wird überprüft, ob der Zulieferer die Vorschriften zur Steuerung von Umwelt- und Sozialrisiken in seinen Prozessen und Strukturen abbildet. In der zweiten Phase kommt der tatsächliche Standort durch Begehungen in den Blick. Die dritte Stufe umfasst Mitarbeitergespräche, Belegprüfungen wie Lohnabrechnungen und Zeiterfassungen, um die Wirksamkeit der Regelungen zu beurteilen.
Die Praxis zeigt regelmäßig erhebliche Diskrepanzen zwischen dokumentierten Standards und der Realität am Produktionsstandort. Typische Befunde umfassen unzureichende Maßnahmen beim Arbeits- oder beim Brandschutz oder fehlerhafte Arbeitszeitnachweise. Ohne ein systematisches Vorgehen und eine Überwachung bleiben solche Defizite meist verborgen.
Entscheidend für den nachhaltigen Erfolg von Lieferantenaudits ist ein kooperativer Ansatz. Anstatt Zulieferer bei festgestellten Mängeln umgehend zu sanktionieren, konzentrieren sich erfolgreiche Programme auf gemeinsame Verbesserungsmaßnahmen. Konkrete Aktionspläne mit definierten Zeitvorgaben und wiederholten Audits gewährleisten die Umsetzung erforderlicher Korrekturen.
Standardisierung reduziert Aufwand
Unternehmen erzielen eine wesentlich höhere Effizienz, wenn sie branchenweite Standards nutzen. Viele Zulieferer erhalten von verschiedenen Abnehmern unterschiedliche Prüfanforderungen, die im Kern ähnliche Informationen abfragen. Diese Mehrfachleistung ist für alle Akteure ineffizient.
Mit Branchenstandards wie dem Sedex Members Ethical Trade Audit (SMETA) oder dem Responsible Business Alliance Validated Audit Program (RBA VAP) lassen sich Mehrfachauditierungen vermeiden. Sie kommen aus dem Textil- und Einzelhandel, beziehungsweise der Elektronikbranche und sind mittlerweile sektorunabhängig einsetzbar.
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Auch die Responsible Supply Chain Initiative (RSCI) der Automobilindustrie bietet ein einheitliches Bewertungsprogramm, deren Ergebnisse von allen Teilnehmern der Initiative anerkannt werden. Das RSCI-Assessment bewertet 106 Anforderungen in elf Kategorien und der Lieferant erstellt bei identifizierten Abweichungen Korrekturmaßnahmenpläne. Bei erfolgreichem Abschluss eines Audits erhält der Lieferant ein bis zu 3 Jahre gültiges Label, das als Nachweis von allen RSCI-Mitgliedern akzeptiert wird.
Impuls für Weiterentwicklung
Die Implementierung strukturierter Bewertungsverfahren erfordert von der Einkäuferorganisation zunächst Investitionen in Ressourcen und Prozesse. Nach der Einführungsphase zeigen sich jedoch deutliche Vorteile: Unternehmen erhalten präzise Einblicke in ihre Wertschöpfungsketten und können gezielte Verbesserungsmaßnahmen initiieren.
Viele Betriebe beobachten einen positiven Nebeneffekt: Die Beschaffungsabteilungen werden sensibler. Neben traditionellen Kriterien wie Preis, Qualität und Lieferzuverlässigkeit fließen auch Umwelt- und Sozialaspekte in die Bewertung ein. Die bewerteten Zulieferer selbst reagieren oft positiv. Viele nutzen die Audit-Programme gezielt als Impuls für die eigene Organisationsentwicklung. Die implementierten Verbesserungen bei Arbeitsschutz, Umweltmanagement oder Sozialstandards kommen anschließend aktiv in der Kommunikation mit weiteren Geschäftspartnern zum Einsatz.
Liefermanagement als Wettbewerbsvorteil
Die Abhängigkeit von komplexen globalen Zulieferernetzwerken mit ihren Schwachstellen wird oft erst bei akuten Krisen sichtbar. Professionelle Bewertungsverfahren entwickeln sich daher von regulatorischen Pflichtübungen zu strategischen Instrumenten für resiliente Lieferketten. Richtig implementiert, schaffen sie eine nachhaltige und zukunftssichere Basis für die gesamte Wertschöpfung.
Das Team von TÜV Süd begreift regulatorische Anforderungen darüber hinaus als Ausgangspunkt, um operative Geschäftsrisiken systematisch zu minimieren. Durch die Verknüpfung automatisierter Risikoanalysen mit Audits vor Ort entsteht jene Klarheit, die Führungskräften belastbare Entscheidungen ermöglicht – auch bei künftigen Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen.