Seit einem Jahr bietet das Deutschlandticket die Möglichkeit, bundesweit den gesamten Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu nutzen. Ein Ziel: möglichst viele Autofahrten durch Bus- und Bahnfahrten ersetzen. Wie gut das funktioniert, hat ein Forschungsteam des Fraunhofer ISI als Teil einer regelmäßigen Befragung untersucht.
Das Projekt MobilKULT startete im Winter 2022/2023. Die Wissenschaftler befragen seitdem alle sechs Monate rund 2.500 repräsentativ ausgewählte Personen aus Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Damit deckt die Studie sowohl Städte als auch Stadtrandgebiete und ländliche Regionen mit sehr unterschiedlichen Infrastrukturen und damit Mobilitätsmöglichkeiten ab.
Die Teilnehmenden beantworten online Fragen zu ihren Mobilitätsgewohnheiten sowie nach ihrer Meinung zu Infrastrukturen, Verkehrsmitteln und politischen Maßnahmen. Bis Anfang 2024 wurden drei Befragungen durchgeführt, die sowohl Kontinuitäten als auch Veränderungen zeigen.
Zunächst haben die Wissenschaftler die Befragten anhand deren Autonutzung in drei Gruppen eingeteilt: Wenigfahrende, die 10 Prozent oder weniger ihrer Wege mit dem Auto fahren, Vielfahrende, bei denen es 90 oder mehr sind, und die mittleren Nutzer, die zwischen 10 und 90 Prozent ihrer Wege mit dem Auto zurücklegen. Wenig überraschend ist die Gruppe der Vielfahrenden auf dem Land am höchsten und in der Stadt am niedrigsten, bei den Wenigfahrenden ist es umgekehrt.
Über die drei Wellen hinweg gab es zwar Wanderungsbewegungen zwischen den Gruppen, vor allem zwischen den Personen mit geringer und mittlerer Autonutzung – insgesamt gleichen sich die Wechselbewegungen aber weitgehend aus, die Gruppengrößen bleiben stabil.
Projektleiterin Dr. Josephine Tröger vom Fraunhofer ISI sagt dazu: „Hier zeigt sich deutlich der erhebliche Einfluss der Infrastrukturen: Das Auto dominiert zwar überall, aber je mehr Möglichkeiten es beispielsweise für die Nutzung des ÖPNV oder eine aktive Mobilität – also Rad- und Fußverkehr – gibt, umso mehr Menschen wählen diese in ihrem Alltag.“
Gewohnheiten passen sich nur langsam an
Befragt nach ihren Gewohnheiten gaben die Teilnehmer kleine, aber wichtige Veränderungen zu Protokoll: Außerhalb der Städte sank die Nutzung von Autos mit Verbrennungsmotor leicht, zudem wurden etwas mehr Elektroautos gefahren.
Gleichzeitig sind ländliche Regionen besonders anfällig für Jahreszeiteneffekte – hier legen die Menschen im Sommer deutlich mehr Wege mit dem Fahrrad zurück als im Winter (10 Prozent der Wege vs. 6 Prozent der Wege), auch in den Vorstädten ist der Unterschied größer als in der Stadt.
Im Hinblick auf die zukünftigen Pläne gab etwa ein Viertel derjenigen, die viele Wege mit dem Auto zurücklegen, an, in Zukunft mehr zu Fuß oder mit dem Rad mobil sein zu wollen. Marvin Helferich aus dem Projektteam hat beobachtet: „Zwar hat die Wechselbereitschaft über die drei Befragungswellen hinweg etwas abgenommen, aber der Wechselwille ist in allen Regionen da – nicht nur in den Städten, sondern auch und gerade in Vorstädten und auf dem Land.“
Unzufriedenheit mit Verkehrspolitik, aber positive Sicht aufs Deutschlandticket
Ein dritter Schwerpunkt von MobilKULT sind die Meinungen zu politischen Maßnahmen. Die Befragten vermissten in der aktuellen Befragung eindeutige Signale, einen stabilen Willen und eine klare Vision zur Reduzierung der verkehrsbedingten Emissionen seitens der Bundesregierung.
Positiv und stabil über die bisherigen Wellen bewerteten die Befragungsteilnehmenden vier verkehrspolitische Maßnahmen: Das Deutschlandticket, kostenloses Parken für Elektroautos während des Ladevorgangs, Vorrangschaltungen an Ampeln für den Fuß- und Radverkehr sowie eine Kaufprämie für Elektroautos. Letztere wurde jedoch während des vergangenen Erhebungszeitrums von der Bundesregierung gestrichen.
Das Deutschlandticket ist die mit Abstand beliebteste Maßnahme, was sich auch an der Zunahme der Besitzrate zeigt: Aktuell haben 21 Prozent der Befragten eins, wobei sich die Quote zwischen Stadt (32 Prozent), Vorstadt (18 Prozent) und Land (11 Prozent) stark unterscheidet. Luft nach oben ist nicht mehr viel, wie Dr. Elisabeth Dütschke aus dem MobilKULT-Projektteam betont: „Lediglich drei Prozent derjenigen, die aktuell kein Deutschlandticket besitzen, planen den Kauf. Dies zeigt, dass das Marktpotenzial zu den aktuellen Bedingungen bei 20 bis 25 Prozent der Menschen in Deutschland vermutlich erschöpft ist.“
Entscheidend ist ein zuverlässiger und verfügbarer ÖPNV – überall
Bei denjenigen, die das Ticket besitzen, hat es laut den MobilKULT-Ergebnissen seinen Zweck erfüllt: Der Vergleich der Verkehrsmittelnutzung vor und nach dem Kauf des Deutschlandtickets zeigt eine Zunahme des Anteils der Wege mit dem ÖPNV um neun Prozentpunkte (von 29 Prozent auf 38 Prozent). Die Autonutzung geht parallel dazu um 5 Prozentpunkte zurück. Darüber hinaus planen die Nutzer des Deutschlandtickets für die Zukunft eine noch häufigere ÖPNV-Nutzung.
Die MobilKULT-Ergebnisse zeigen auch Möglichkeiten auf, um weitere Menschen für den ÖPNV zu gewinnen. Unter anderem finden die meisten Befragten, dass sich der ÖPNV für besondere Unternehmungen eignet. Die Forscher schlagen deshalb vor, die Einstiegshürden für den ÖPNV durch besondere Aktionen zu senken – beispielsweise Urlaubsangebote mit Deutschlandticket im Inklusiv-Paket.
Entscheidend für eine langfristig nachhaltigere Mobilität, die den Bedürfnissen und Anforderungen der Menschen gerecht wird, sei jedoch, die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit des ÖPNV sowohl in der Stadt als auch in der Vorstadt und auf dem Land zu erhöhen.