Energy 2.0: Frau Müller, Sie haben den Umbau des Energieversorgungssystems mal als „Operation am offenen Herzen“ bezeichnet. Was sind die entscheidenden Parameter, dass dies erfolgreich geschehen kann?
Hildegard Müller: Wir müssen das energiewirtschaftliche Zieldreieck im Auge behalten: Dazu zählt zum einen die Versorgungssicherheit - sie ist zu jeder Zeit an jedem Ort zu gewährleisten, damit die Menschen mit Strom versorgt werden. Dann das Thema Klimaschutz, was uns ein wichtiges Anliegen ist. Wir haben uns als Energiewirtschaft schon 2009 verpflichtet, 2050 CO 2-neutral zu produzieren. Und das Ganze vor dem Hintergrund der Bezahlbarkeit. Diese drei Ziele müssen immer in Balance gehalten werden. Die „Operation am offenen Herzen“ bedeutet, dass wir in Deutschland als eine der erfolgreichsten Industrienationen der Welt den Umbau des Energieversorgungssystems bei laufendem Betrieb umsetzen, um die ambitionierten Ziele der Energiewende zu erreichen.
Nun leben wir in einer demokratischen Welt mit sehr vielen Gruppen, die die Entscheidung beeinflussen. Wo sehen Sie da die besonderen Herausforderungen?
Zum Glück leben wir in einer Demokratie! Wir sollten das als sehr hohes Gut einschätzen. Das bedeutet aber auch, dass wir eine ganz bestimmte Anforderung an den gesellschaftlichen Dialog haben. Beispiel Bund-Länder-Fragen: Hiermit sollten wir sehr offen umgehen. Wir verfolgen zurzeit mit Sorge, dass die Bundesländer alle ihre eigenen Energiekonzepte planen, die jedoch nicht mit den Bundesideen vernetzt sind. Und die Bundesideen sind wiederum nicht vernetzt mit Europa. Das kann zum Effizienz- und Konkurrenzproblem werden. Hier setzen wir uns seit letztem Herbst zunächst für eine verbesserte Bund-Länder-Koordination ein.
Und die Bürger?
Insgesamt werden wir mehr über die Energieversorgung diskutieren müssen. Die Menschen müssen beim Ausbau erneuerbarer Energien beteiligt werden, gerade, wenn die Anlagen sichtbar werden und die Netze ausgebaut werden. Das geht nur im gesellschaftlichen Miteinander und das ist als Aufgabe weder auf die Politik noch auf die Energieversorger abzuschieben.
Städte sollen künftig viel weniger Energie verbrauchen als bisher. Das größte Einsparpotenzial liegt dabei in der Realisierung energieeffizienter Gebäude. Einfacher gesagt als getan?
Um Neubauten müssen wir uns wenig Gedanken machen. Das Null-Energie-Haus und hohe Effizienzstandards sind längst etabliert in Deutschland. Die entscheidende Frage ist: Wie gehen wir mit unserem Bestand um? Beruflich bin ich in Berlin, dort gibt es einen wunderbaren Altbauten, jeder liebt die Wohnungen mit den hohen Decken und den Fenstern, durch die es ein bisschen zieht, aber energetisch ist das natürlich unverantwortlich! Gleichzeitig müssen die energetischen Maßnahmen bei der Sanierung alter Gebäude auch bezahlbar sein. Ich denke dabei zum Beispiel an das Mieter-Vermieter-Dilemma. Es nützt ja nichts, wenn der Vermieter die Kosten nicht an den Mieter weitergeben kann.
Der Mieter hat aber auch nur begrenzt Geld zur Verfügung, um diese Veränderung zu bezahlen.
Deshalb wünsche ich mir Vernunft und Augenmaß. Manchmal kämpfen wir um die letzten fünf Prozent. Dabei könnte man schon eine sehr hohe CO 2-Reduktion erreichen, wenn in Deutschland moderne Heizkessel eingebaut würden, in Kombination mit Gas und Photovoltaik beispielsweise. Es sollte immer geprüft werden, mit wie viel Euro Einsatz man möglichst viel CO 2-Reduktion schafft. Es nützt nichts, einfach nur ideologisch zu sagen, wir wollen 100 Prozent erreichen. Das wird der Volkswirtschaft zu teuer kommen.
Wie beurteilen Sie die Rufe nach Förderungen zur Gebäudesanierung?
Ich kritisiere ausdrücklich, dass dieser Teilbereich in den Gesetzen der Energiewende seit Juli 2011 noch immer nicht zu einem politischen Abschluss gekommen ist. Das Gesetz, was Energieeffizienzmaßnahmen beim Verbraucher unterstützen soll, kommt im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag nicht weiter. Wir monieren das ausdrücklich, weil das unweigerlich Investitionszurückhaltung zur Folge hat. Die Bürger warten, ob es vielleicht doch noch eine Förderung gibt und wir vermerken sehr starke Einbrüche in den Renovierungszahlen. Deshalb fordern wir, dieses Gesetz endlich zu verabschieden.
Stichwort Energienetze: Wie können wir es organisieren, dass auch bei schlechtem Wetter oder Windstille genügend Kapazitäten vorhanden sind, um die Energie-Nachfrage zu decken?
Ich glaube, es gibt verschiedene Phasen in der Umstellung der Energieversorgung. Die eine war, zu sagen, wir brauchen so viel erneuerbare Energien wie möglich. Wir sind jetzt zunehmend bei der Frage: Wie bringen wir das, was wir erzeugen, auch zu den Menschen? Es sind also die Netze - sowohl Übertragungs- als auch Verteilnetze - die zunehmend zum Engpass- und Schlüsselfaktor werden. Am Netzausbau wird sich entscheiden, ob die Energiewende gelingen kann. Hier muss noch sehr viel passieren - einerseits was die Regulierung sowie die Planungs- und Genehmigungsverfahren angeht, andererseits aber auch hinsichtlich der Akzeptanz. Denn es ist das Eine, abstrakt die Energiewende zu unterstützen. Entscheidend ist, ob diese Begeisterung immer noch vorhanden ist, wenn plötzlich eine Leitung über das eigene Grundstück geht. Mit diesen Zielkonflikten müssen wir ehrlich umgehen.
Das Gespräch führte Energy 2.0-Herausgeber Kilian Müller