Dieser Artikel ist Teil unserer Titelreportage der Hier geht es zum zugehörigen Titelinterview mit Nico Mäding von Hilscher.
Mit dem Multiprotokoll-Chip netX 90 stellt Hilscher eine Mikrocontroller-Lösung vor, die auf einzigartige Art und Weise die Echtzeitanforderung der industriellen Kommunikation für das Real-Time-Ethernet mit Motorkontrollfunktionen kombiniert. Damit wird Hilschers langjährige netX-Strategie, alle marktüblichen Kommunikationsprotokolle der Automatisierungstechnik mit firmwarebasierten Softwarelösungen zu unterstützen, um den Bereich der Bewegungssteuerung applikativ erweitert.
Ferner präsentiert Hilscher unter dem Namen netMotion eine Reihe von Lösungen, mit höherem Wirkungsgrad zu geringeren Materialkosten als bisher möglich, um die Ansteuerung von Elektromotoren und Drehgebern direkt mit einer integrierten Kommunikationsschnittstelle auszustatten. Der Multiprotokoll-Chip netX 90 als Kern der Plattform ist die Antwort auf diese Herausforderungen und die passende Wahl für den Einsatz in rauen Industrieumgebungen mit erhöhtem Temperaturbereich.
Zwei sind besser als einer
Die Chiparchitektur vereint zwei perfekt aufeinander abgestimmte Cortex-M4-basierte Mikrocontroller-Systeme, untergliedert in kommunikations- und applikationsspezifische Aufgaben, die intern bussynchron mit 100 MHz laufen. Dank des hohen Integrationsgrades lassen sich die Anschaltkosten aus Netzwerksicht auf lediglich passive Komponenten reduzieren.
Die zwei freiprogrammierbaren Kommunikationskanäle (xC), mit IEEE 1588 und Switch-Funktionalität, für die globale Vielfalt der Industrieprotokolle ermöglichen eine flexible Anpassung auch an zukünftige Netzwerkanforderungen. Im Mikrocontroller sind Funktionen für die feldorientierte Regelung (FOC) verschiedener Arten von Elektromotoren integriert, darunter permanenterregte Synchronmotoren (PMSM) und bürstenlose Gleichstrommotoren (BLDC). Sie sorgen auch dafür, dass im Falle einer sensorbasierten Regelung die genaue Rotorwinkelposition über verschiedene Arten von dedizierten Gebersignalen und Hallsensoren erfasst werden kann.
In einer vernetzten Welt, im Zeichen der Industrie 4.0, wo Daten die Währung der Zukunft sind, spielen Cybersecurity und Cloud-Konnektivität eine entscheidende Rolle. Aus diesem Grund wurden dem netX 90 integrierte Security- und Diagnosefunktionen mitgegeben. Damit lassen sich Anforderungen gemäß der Norm IEC 62443 ohne zusätzlichen Security-Chip umsetzen. Ein Hardwarebeschleuniger für (D)TLS-basierte Kommunikationsprotokolle sorgt für einen reibungslosen Verbindungsaufbau auch bei höheren Verschlüsselungsstärken.
Was die Architektur des netX 90 besonders auszeichnet, ist die über eine Software-API definierte (cifX) Interaktion beider Mikrocontrollersysteme, womit eine Trennung der Netzwerkschnittstelle von der Nutzerapplikation erreicht wird, was mehrere Vorteile für den Anwender hat.
Erstens, eine Nutzung der Softwareprotokolle für die verschiedenen Kommunikationsstandards als vorzertifizierte Firmware.
Zweitens, eine erhöhte Netzwerklast beeinflusst nicht die Applikation selbst und schirmt sie automatisch vom Netzwerk ab.
Drittens, eine deterministische netzwerkgestützte Synchronisation der feldorientierten Regelung in Hardware mit äußert geringem Jitter im Nanosekundenbereich.
Viertens, eine interne Dual-Port-Memory(iDPM)-Schnittstelle für die cifX-API mit latenzfreien Schreibe- und Lesezugriffen für zyklische Datenaustausche.
Präzise Bewegung steuern
Die Vorteile der netX-90-Lösung kommen besonders in Anlagen oder Maschinen mit zentralisierter Steuerung zum Tragen. Die Rechenintelligenz der Steuerung bestimmt unter anderem die Bewegungsführung und überträgt die antriebsspezifischen Daten und Parameter direkt über das Netzwerk zur integrierten Kommunikationseinheit der Motorsteuerung, womit sich mithilfe des netX 90 Anwendungen mit höchster Effizienz auf kleinsten Raum realisieren lassen.
Die Methode, eine zentralisierte Steuerung auf eine leistungsstarke skalierbare Standardhardware abzubilden, wird von vielen Steuerungsherstellern aus wirtschaftlichen Gründen bevorzugt. Damit lässt sich die Steuerungssoftware weitestgehend hardwareunabhängig und modular ausgestalten. Die notwendigen Interaktionen mit dem Feldgeräteverbund werden direkt über echtzeitfähige Kommunikationsnetze koordiniert, die über geeignete Applikationsprofile abgebildet werden.
Über die Jahre hinweg haben sich verschiedene Applikationsprofile für die jeweiligen Standards der Automatisierungstechnik herausgebildet, wie zum Beispiel Profidrive für Profibus und Profinet, DS402 für CANopen und EtherCAT oder CIP Motion/Sync für EtherNet/IP. Im Wesentlichen geht es darum, Programmteile einer Steuerung im Feldgeräteverbund unverändert einzusetzen, um Synergieeffekte zu schaffen und Interoperabilität zwischen den Herstellern.
Zur Veranschaulichung der Thematik – ähnlich der anderen Standards – stellt Profidrive ein herstellerneutrales Applikationsprofil dar, welches sich auf Antriebe, Geber, Motoren und deren Anwendungen konzentriert. Bei Profinet wird zwischen nichttaktsynchronen Betrieb mit Zykluszeiten ≥ 1 ms und taktsynchronen Betrieb mit Zykluszeiten ≥ 250 µs unterschieden, woraus sich für Profidrive sehr unterschiedliche Applikationsklassen (AK) ableiten.
Am Markt verbreitet sind unter anderem die Profidrive AK 1 und AK 4, die sich auf dem netX 90 integrieren lassen. Die AK 1 im nichttaktsynchronen Betrieb findet zum Beispiel Anwendung in Wechselrichtern zur Drehzahlregelung von Motoren, die in Pumpen, Lüftern, Kompressoren et cetera eingesetzt werden. Die AK 4 umfasst die Ansteuerung von Servomotoren mit taktsynchroner Drehzahlregelung und eine Bewegungsführung durch die Steuerung, zum Beispiel in mehreren Achsen für Roboter oder Maschinen aller Art.
Mit Rückenwind zum Erfolg
Für den schnellen Einstieg in die Thematik bietet Hilscher ein Entwicklungskit für netMotion an, bestehend aus Hardwareboard mit Zubehör, Entwicklungsumgebung und Softwarebeispielen. Das NXHX-90-MC-Board, entworfen für Evaluierungs- und Entwicklungszwecke, dient zudem als Referenzdesign und zeigt, wie mithilfe des netX 90 ein generischer Aufbau der Netzwerkschnittstelle und Motortreiberstufe möglich ist. Damit entscheidet die aufgespielte Software, welche Art von Motor, Positionserfassung und Applikationsprofil zum Einsatz im System kommt, ähnlich der verschiedenen Real-Time-Ethernet-basierten Kommunikationsprotokolle.
Die Softwarebeispiele für die unterschiedlichen Protokolle, wie Profinet Device, EtherCAT Slave und EtherNet/IP-Adapter, beinhalten die Kommunikationsfirmware als ladbare Firmware (LFW), die vom Anwender lediglich konfiguriert und aufgespielt werden muss. Die beiliegenden Beispielprojekte mit cifX-API, für die Entwicklung von Applikationsprofilen, zeigen, wie in wenigen Schritten eine Verbindung mit einer Steuerung über das Netzwerk aufgebaut werden kann.
Eine externe Speichererweiterung, berücksichtigt als Bestückungsoption, bietet Kunden je nach Anwendung die Möglichkeit, die Standardfirmware im integrierten Flashspeicher des netX 90, bestehend aus Kommunikationsprotokoll und integrierten Webserver für Softwareupdates, zu ersetzen und auf eine erweiterte Kommunikationsfirmware, zusätzlich mit IoT-Konnektivität, (D)TLS-Unterstützung und dynamischen Webserver, aufzubauen. Aus Antriebssicht sind die Beispielquellen für die feldorientierte Regelung eines Servomotors enthalten – in diesem Fall ein PMSM mit integrierten Hallsensoren und optionalen Geber.
Dienstleistungsangebote rund um das Thema industrielle Kommunikation, von der Beratung bis zur Zertifizierung, runden das Angebot ab. Für den Entwurf feldorientierter Regelungen hat Hilscher einen Spezialisten als Partner an die Seite geholt, der das Dienstleistungsangebot für netMotion vervollständigt.