Prozessautomation & Messtechnik „Technologie ist nur sinnvoll, wenn sie auf gesellschaftliche Herausforderungen reagiert“

Bild: Dr. Siegfried Behrendt
15.07.2015

Recycling – ein Zukunftsmarkt für Automatisierungstechnik? Zu diesem Ergebnis kommt zumindest die Integrierte Roadmap III „Recycling als Rohstoffquelle“ des ZVEI. P&A hat sich mit deren Autor Dr. Siegfried Behrendt, IZT-Forschungsleiter Technologie und Innovation, über Trends und Hintergründe unterhalten.

P&A:

Die Roadmap zum Recycling ist nicht die erste, die der ZVEI erstellt hat. Was ist deren Hintergrund?

Dr. Siegfried Behrendt:

Die Automation steht in einem dynamischen Wettbewerbsfeld und bedient ihre angestammten Bereiche erfolgreich. Zugleich entwickeln sich neue Märkte. Die Roadmap soll diese besser verständlich machen. 2005 haben wir, das IZT, mit dem ZVEI begonnen, integrierte Roadmaps nach eigener Methodik zu erstellen. Wir wollten uns abheben von klassischen, technikorientierten Roadmaps. Uns erschien Technologie nur sinnvoll, wenn sie auf gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. So haben wir gezielt nach entsprechenden Bedarfen gefragt. Außerdem wollten wir schon in frühen Phasen der Innovationsprozesse Akteure integrieren: Nutzer, Anwender, Visionäre, leitende Kunden. Unsere Roadmap basiert darauf, dass wir Dialog organisieren zwischen Automatisierungsunternehmen und Anwendern. Dabei nutzen wir einen Mix aus qualitativen und quantitativen Methoden: Trendanalysen, Interviews, Online-Interviews, Workshops.

Warum sieht die Roadmap beim Recycling einen Zukunftsmarkt? Das ist zumindest für Deutsche kein neues Thema.

In Deutschland besteht – vor dem Hintergrund rechtlicher Rahmenbedingungen, die in den letzten 30, 40 Jahren in Deutschland und Europa entstanden sind – eine ausgeprägte Entsorgungs- und Verwertungswirtschaft. Dort existiert bereits ein Markt für Automationstechnik. Angesichts veränderter Rohstoffpreise hat sich die Situation verändert. Dabei werden große Rohstoffmengen auch in den nächsten Jahrzehnten nachgefragt. Rechtliche Rahmenbedingungen verschärfen sich. Außerdem verschiebt sich die Nachfrage in Richtung Industriemetalle. So entstehen neue Märkte, die über bisher eingesetzte Techniken hinausgehen. In der Roadmap haben wir Treiber, aber auch Hemmnisse herausgearbeitet und vier Zukunftsmärkte untersucht. Das betrifft zum Beispiel das Recycling von Siedlungsabfällen mit seinen großen Massenströmen. Im Recycling von Technologiemetallen entsteht ein neues Feld. Im Mikrochip von Intel sind allein 60 Elemente verarbeitet. Nur etwa 20 davon können von den großen Firmen wieder zurückgeholt werden, die anderen 40 nicht. Für viele Metalle, wie die Seltenen Erden, existiert noch kein entsprechendes Verfahren. Wir beobachten, dass Politik und Wirtschaft versuchen, neue Verfahren zu entwickeln. Die auf diese Weise entstandene Verfahrenslandschaft ist nicht uninteressant für Automatisierer.

Welche Funktionalitäten sind besonders gefragt in diesen Zukunftsmärkten?

Grundsätzlich haben wir einen zunehmenden Bedarf an Sensorik und Messtechnik festgestellt. Sowohl in der Sortierung als auch in der Trennung, Aufarbeitung und Verwertung. Der Trend geht zur sensorischen Sortierung. Etablierte Technologien wie Infrarot-Spektrographien oder elektromagnetische Sensorik werden eingesetzt, auf Basis der Röntgentransmission wird die Sortiertechnik entsprechend weiterentwickelt. Das ist vor allem gefragt, wenn es um die Trennung von Kunststoffgemischen geht oder die Trennung von anorganischen und organischen Stoffen. Neue Sensoren werden auch benötigt, um Abfallstoffe in der Tiefe zu messen. Die meisten heute verwendeten Verfahren messen nur auf der Mate­rialoberfläche. Das erschwert vor allem das Erkennen beschichteter Produkte und Stoffe. Beispielsweise ist die Erkennung mit 3D eine Möglichkeit zur Identifikation von Textilien und Holz. Auch die Sortierung dunkler Kunststoffe ist nach wie vor schwierig, deshalb ist hier eine entsprechende Sensorik gefordert. Themen sind zudem die Trennung von Nicht-Eisenmetall mithilfe von Spektrografie und das Identifizieren von verunreinigten Stoffen über Funkwellen.

Lässt sich einiges davon nicht mit bestehender Technik bewerkstelligen?

Mit dem bestehenden technologischen Stand kommt man schon weit. Aber in bestimmten Bereichen besteht Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Zum Beispiel ist Energierückgewinnung in der Metallurgie sehr interessant, weil dort der Energiebedarf riesig ist. Im Prozess entsteht viel Wärme, die nicht genutzt wird – das ist ein enormes Potenzial. Allerdings fehlen für zentrales Energiemanagement und Energierückgewinnung derzeit noch ausfallsichere Messverfahren. Auch was werthaltige Einschlüsse in Rückständen wie Schlacken, Stäuben und Schlämmen betrifft, ist die Entsorgungswirtschaft heute noch nicht stark entwickelt.

Das Recycling von Technologiemetallen haben Sie als Zukunftsmarkt definiert. Diese sind in Smartphones in sehr geringen Mengen zu finden. Warum lohnt es sich, darin zu investieren?

Das Goldvorkommen bewegt sich im Handy in einer Größenordnung von 25 mg. Das ist erst einmal wenig, aber mit 40 Handys sind Sie bereits bei einem Gramm. Und das entspricht einer Tonne Erz. Geht man nicht vom einzelnen Handy, sondern von Elektronikschrott, also konzentrierten Leiterplatten aus, bewegen wir uns in Dimensionen hinein, die durchaus denen der Rohstoffexploration der Erze entsprechen können. Stoffe in geringen Mengen wirtschaftlich zu recyceln, ist bislang problematisch. Hier kann Automationstechnik einen erheblichen Beitrag leisten, Prozesse effizienter, kostengünstiger und wirtschaftlicher zu machen. Beim Sammeln betrifft das vor allem vorgelagerte Bereiche wie Zerlegen, Demontieren und Aufbereiten. In der Vorkonditionierung und Separierung einzelner Produkte ist der Automatisierungsbedarf recht groß.

Zum Teil stößt der Zukunftsmarkt Recycling an Grenzen. Im Landfill Mining sieht die Roadmap erst langfristig Potenzial.

Unter Landfill Mining versteht man die Wiedernutzung von Altdeponien, also Chemie-, Schlackenhalden, ehemaligem Bergbau etc. Hier hat sich ein neues Feld gebildet. Weltweit wurden in ca. 60 Fällen Deponien wieder erschlossen. Die Motivation dafür war bisher nicht Rohstoffrückgewinnung, sondern Flächengewinnung oder Umweltschutz. Seit einigen Jahren tritt als zusätzliches Motiv Rohstoffgewinnung auf. Es liegen nun erste, grobe Abschätzungen vor, wie viele Rohstoffe jeweils abgelagert sind. Das betrifft zum Beispiel den Eisenschrott, das Nichteisenmetall, Phosphor- und Aluminiumschrotte. Auf Basis der Entwicklung der letzten Jahre lässt sich erforschen, unter welchen Bedingungen Rückbaumaßnahmen wirtschaftlich werden. Momentan lohnt sich ein Deponierückbau rein aus Rohstoffgründen nicht. Steigen die Rohstoffpreise weiter, stellt sich nach der Meinung der teilnehmenden Experten auf unseren Veranstaltungen in zehn bis 15 Jahren die Wirtschaftlichkeit entsprechend dar.

Interessierte können die Roadmap online beim ZVEI bestellen: zvei-shop.de/automation/124

Bildergalerie

  • Das Recycling von Schlacken, Aschen und Stäuben gehört zu den Zukunftsmärkten für Automatisierungstechnik.

    Das Recycling von Schlacken, Aschen und Stäuben gehört zu den Zukunftsmärkten für Automatisierungstechnik.

    Bild: ZVEI

  • Auch Siedlungsabfälle bergen einiges an Marktpotenzial für Automatisierer.

    Auch Siedlungsabfälle bergen einiges an Marktpotenzial für Automatisierer.

    Bild: ZVEI

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