Kunststoffe basierend auf Biomasse etablieren sich zunehmend am Markt, denn sie sind eine Alternative zu den etablierten Produkten aus fossilen Rohstoffen. Das große Potenzial, das Biokunststoffe bieten, birgt Chancen für neue Produktions- und Verarbeitungsverfahren. Das erfordert jedoch Anstrengungen hinsichtlich der Verfahrensentwicklung. Intelligente digitale Sensoren, Online-Analytik und eine zugeschnittene Prozessleittechnik zusammen mit der Anwendung von PAT–Lösungen (Process Analytical Technology) können dabei helfen. Integrierte leittechnische Lösungen verringern das Risiko eines unbrauchbaren Versuchsansatzes; die Regelung des Leitsystems sorgt dafür, Qualitätsparameter innerhalb eines vorgegebenen Qualitätsbandes einzuhalten – selbst im kleinen Maßstab.
Prozessparameter ermitteln
Ein viel genutzter Prozess in der Biotechnik ist die Fermentation. Hierbei werden biologische Materialien durch Bakterien, Pilz- oder Zellkulturen oder durch Zusatz von Enzymen in Säure, Gase oder Alkohol umgewandelt. Eingesetzt wird die Fermentation zum Beispiel zum Herstellen von Milchsäure, einem Ausgangsstoff für die Produktion von Polymilchsäure (PolyLactidAcid, PLA).
Diese synthetischen Polymere kommen zunehmend als biobasierte und bioabbaubare/kompostierbare Polyester zum Einsatz – etwa als Mulchfolie in der Landwirtschaft, als Einwegartikel fürs Catering aber auch als Fasern für den Textilbereich oder als Fäden in der Medizintechnik.
Milchsäure, gemäß IUPAC-Nomenklatur 2-Hydroxypropansäure genannt, kann sowohl synthetisch, auf Basis petrochemischer Rohstoffe, als auch durch Fermentation von Kohlenhydraten gewonnen werden. Bei Letzterem wandeln wie oben schon angedeutet Milchsäurebakterien oder andere Mikroorganismen Glukose in einem Bioreaktor in den Ausgangsstoff für Bioplastik um. Entwickelt oder verbessert der Ingenieur ein Verfahren dafür, sollte er darauf achten, hohe Produktausbeuten mit hoher Qualität zu erzielen. Das heißt, er muss zu einer geeigneten Produktionsfahrweise wie kontinuierlich, Batch oder Fed-Batch-Betrieb auch optimale Umgebungsbedingungen ermitteln. Dazu gehören unter anderem die Temperatur, der Gehalt an gelöstem Sauerstoff sowie der pH-Wert. „Wir nutzen eine moderne, integrierte leittechnische Installation, um fortlaufend relevante Prozessparameter zu erfassen, zu interpretieren und bei Abweichungen entsprechende korrigierende Eingriffe vornehmen zu können“, erläutert Martin Joksch, Wissenschaftler bei Siemens Corporate Technology in Wien. „Dazu messen wir die relevanten Werte inline, das heißt direkt am Ort des Geschehens, und werten diese in Echtzeit aus.“
Mit diesem Wissen können bei Bedarf umgehend regelungstechnische Eingriffe erfolgen, um den Fortlauf des Fermentationsprozesses sicherzustellen. Wie wichtig Inline-Messungen sind, wird an der Bedeutung des pH-Wertes für den Prozess der Fermentation deutlich: Organismen oder Bakterien arbeiten oft nur in einem eingeschränkten Toleranzbereich, in dem es zudem einen bestmöglichen Arbeitspunkt gibt. Da aber auch der Stoffwechsel der Organismen den pH-Wert beeinflusst, muss dafür gesorgt werden, dass dieser innerhalb des Toleranzbandes bleibt, was durch Zugabe von Säuren beziehungsweise Basen geschieht. Damit wird das Wachstum der Zellkultur ermöglicht und letztendlich der Umwandlungsprozess zu Milchsäure gesichert.
Zum Bestimmen des pH-Werts und auch der Sauerstoffkonzentration bietet sich der Einsatz der Online-Analytik an. Die Messgeräte dafür sind im Prozess eingebunden und liefern kontinuierlich Mess- und Analysedaten. Aus der intelligenten Kombination der Daten, zum Beispiel mit Hilfe chemometrischer Methoden, ergeben sich Aussagen über den Verlauf der Fermentation. Lässt das Laborleitsystem zudem Rückschlüsse und Berechnungen zu, die auf veränderte Parameter hinweisen, so ist das eine verlässliche Grundlage für einen stabilen Versuchsablauf. Fortschrittliche Strategien zur Prozesskontrolle helfen dabei mit, den Prozess innerhalb definierter Grenzen, dem „Design Space“, zu halten. So verringert sich das Risiko eines unbrauchbaren Versuchsansatzes. Automatische Korrekturen sorgen dafür, dass kritische Qualitätsparameter (cQA, critical Quality) innerhalb des vorgegebenen Qualitätsbandes eingehalten werden.
Die Datenkommunikation der Sensoren zum Laborleitsystem sollte dabei über Profibus oder Profinet geschehen. Damit ist der Installations- und Konfigurationsaufwand einfacher als über eine Kommunikation mit einer seriellen Schnittstelle, die eine umfangreiche Projektierung der Kommunikationsparameter sowie der Implementierung spezifischer Kommandos pro Gerät erfordert. Außerdem reduziert sich bei der Kommunikation über einen der Busse die Anzahl der benötigten Schnittstellenmodule, was den Aufbau hinsichtlich der Kosten günstig beeinflusst. Neben dem Messwert liefern die Sensoren in den Messgeräten auch Statusinformationen, zum Beispiel bezüglich der Kalibrierung oder der Betriebszeiten.
Prozess in situ analysieren
Der nächste Schritt hin zu einem effizienten Entwicklungsprozess ist, die Produktqualität während der laufenden Produktion zu überwachen und eventuell notwendige Parameteränderungen in Echtzeit zu implementieren. Anstatt Tests und Messungen hinsichtlich von Qualitätsparametern am Ende eines Versuches durchzuführen, erfassen Prozessanalysatoren in situ, das heißt in Echtzeit direkt am Ort des Geschehens, den Fortgang. Basierend auf Online-Messungen werden mit Hilfe von modellbasierten Berechnungen Rückschlüsse auf die Qualität des Endproduktes gezogen. So können durch korrigierende Maßnahmen im laufenden Prozess fehlerhafte Versuchsdurchläufe vermieden werden. Das ist der Vorteil dieses QdB-Ansatzes (Quality by design) gegenüber etablierten Offline-Analysemethoden, deren Ergebnisse erst zeitversetzt nach oftmals aufwändigen Prozeduren zur Verfügung stehen.
Weiterhin lassen sich durch Freigabeprüfungen in Echtzeit Endkontrollen reduzieren oder ganz vermeiden. Sipat, die PAT-Lösung von Siemens, integriert die Echtzeitdaten verschiedenster Analysegeräte und speichert diese in einer Datenplattform. Aus den gewonnenen Daten können Modelle erstellt werden, um beispielsweise bestimmte Produktparameter für eine multivariate Datenanalyse vorherzusagen. Die Modelle können auf verschiedenen Ebenen erstellt und angewandt werden – auf Ebene des Analysegeräts, eines Einzelvorgangs, einer Produktlinie oder, in Verbindung mit externen Chemometrie-Anwendungen, zur multivariaten Datenanalyse.
Mit nur einer Automatisierungsplattform
Inline-Messungen prozessrelevanter Stoffgrößen und das Auswerten der Daten in Echtzeit ermöglichen eine schnelle Reaktion auf Prozessänderungen. Was aber nur mit einer übergeordneten Leittechnik möglich ist. So kann der Prozess bereits während der Entwicklungsphase, beginnend beim kleinen Maßstab, verbessert und die Produktqualität sichergestellt werden. Das führt zum einen zu einer höheren Effizienz im gesamten Entwicklungsprozess und zum anderen zu niedrigeren Entwicklungskosten.
Für produzierende Unternehmen ergeben sich darüber hinaus Vorteile, wenn bereits in der Phase der Prozessentwicklung das gleiche (Leit-)System zur Lösung der automatisierungstechnischen Aufgaben zur Anwendung kommt. Die erarbeiteten Lösungen lassen sich dann von der Prozessentwicklung in den Betrieb der Pilotanlage bis hin zum großtechnischen Maßstab übertragen. Hier bietet sich die Implementierung der Grundfunktionen an, die dann durch ein Batchsystem abgearbeitet werden. Das Engineering wird dadurch vereinfacht, was letztendlich in niedrigen Kosten mündet, da kein Wechsel der Automatisierungsplattform mehr notwendig ist.