Da rieb sich der ein oder andere Kenner der Stromversorgungs-Szene auf der vergangenen Electronica in München verwundert die Augen: Das kleinste 225-W-AC/DC-Netzteil weltweit kommt aus Indien? Und es sind weitere hocheffiziente Kleinstgeräte angekündigt? Gründe genug, sich auf die Suche nach den Ursprüngen dieses Phänomens zu machen. Sie führte schließlich in eine Mumbaier Sonderwirtschaftszone – und zum R&D-Leiter des Unternehmens EOS Power, Sanjay Pusalkar.
2 mal 4 mal 1 Inch ist der besagte Powerzwerg (M)WLP225 klein und auch – daher das (M) – mit Zulassung für den Einsatz in medizintechnischen Geräten ausgestattet. Das macht 28 Watt Leistung auf den Kubikinch gerechnet.
Das nächste kompakte AC/DC-Netzteil des Teams soll das kleinste 100-W-Netzteil der Welt werden. Der Entwicklungsleiter Sanjay Pusalkar von EOS Power und sein deutscher Geschäftsführer Ralph Bischoff, sind sichtlich stolz auf die Schrittmacherfunktion, die das indische Unternehmen seit seiner Übernahme durch die deutsche Familie Bischoff 2011 genommen hat. Dabei hat das Unternehmen schwierige Zeiten hinter sich: Zum schlechtest denkbaren Zeitpunkt wechselten mehrfach die Inhaber, wegbrechende Großkunden und das Schrumpfen auf knapp ein Zehntel der heute wieder erreichten Größe von 450 Mitarbeitern. Auch der heutige Entwicklungsleiter, der 49-jährige Sanjay Pusalkar, hatte das Unternehmen vor vielen Jahren schon einmal verlassen. Nun ist er wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt.
Von EOS Power zum Mittelstand und zurück
Ist Indien also im Power-Bereich tatsächlich dabei seine Position als reine verlängerte Werkbank großer Unternehmen mit vorwiegend EMS-Geschäft hinter sich zu lassen? Ja und nein.
Sanjay Pusalkar kennt beide Seiten. Vor seiner Rückkehr hat der Elektrotechnik-Ingenieur mehr als ein Jahrzehnt lang einen typisch mittelständischen, indischen Powersupply-Hersteller aufgebaut. Viele Jahre lang leitete er dort eine Produktion mit zuletzt 80 Mitarbeitern. Der technische Standard der dort gebauten Geräte sei jedoch sehr einfach gewesen, die Einfuhr von Komponenten viel zu teuer, das Ziel „nur“ der indische Massenmarkt.
„Bei EOS Power dagegen machen wir Hightech-Entwicklung für den Weltmarkt. Hier in der Sonderwirtschaftszone können wir aus dem Vollen schöpfen und haben Zugriff auf den gesamten Hightech-Markt und alle Komponenten weltweit. Diese Herausforderung hat mich unglaublich gereizt“, erklärt der Entwicklungsleiter den für ihn sichtlich nicht einfachen Schritt des Wechsels zurück an seine alte Wirkungsstätte EOS Power. „Für mich gibt es nichts Bedrohlicheres als Stagnation, und ich hatte Bedenken, bei einem rein indischen Binnenplayer vom globalen technischen Fortschritt abgehängt zu werden. Ich war damals Mitte 40 und möchte jetzt mit Ende 40 unbedingt noch den weltweiten Powersupply-Markt mitgestalten.“ Bildhaft formuliert: Früher beim internationalen EOS-Power-Vorgänger sei er ein kleiner Fisch im großen Teich gewesen. Bei dem Mittelständler, wo er zwischenzeitlich tätig war, dann ein großer Fisch im kleinen Teich. Mit EOS wolle er nun „ein großer Fisch im großen Teich werden“.
Nur etwa ein Drittel der Produkte, die er zusammen mit seinen beiden Senioringenieuren Sarjerao Thube und Sanjay Sawant entwickelt, sind dabei Standardmodule. Etwa zwei Drittel des Umsatzes werden mit kundenspezifischen und modifizierten Lösungen erwirtschaftet. Dabei hilft das hausinterne UL- und Nemko-zertifizierte Safety Lab. Die mittleren Losgrößen liegen zwischen 500 und 5.000 Stück. Der Anteil der direkt vertriebenen Komponenten stieg in den vergangenen drei Jahren von 10 auf 40 Prozent.
Nach Stagnation und zu wenig interessanten Aufgaben klingt es ebenfalls nicht, dass EOS-Geschäftsführer Ralph Bischoff Investitionen im deutlich siebenstelligen US-Dollar-Bereich plant, um weitere SMD-Bestückungslinien und eine zweite Produktion außerhalb der „Electronic Export Processing Zone“ rein für den indischen Markt aufzubauen. An qualifizierten Technikern, Ingenieuren und Arbeitskräften für den Power-Bereich mangelt es dabei in Indien nicht. Auch gute Anlagen seien in Indien zu bekommen.
Das Arbeitsleben in Indien ist von Beständigkeit geprägt
Insgesamt, darauf legt Designteamleiter Pusalkar Wert, sei der Arbeitsmarkt dabei trotz des guten Arbeitskräfteangebots in der Regel nicht von einer „Hire and Fire“-Mentalität geprägt. „Die Mitarbeiter in Unternehmen wie unserem bleiben in der Regel lange Jahre im Unternehmen, überlegen sich Wechsel gut und finden auch gute Rahmenbedingungen vor.“ Bezeichnenderweise seien auch alle drei Senioringenieure in seinem R&D-Team seit mehr als zwanzig Jahren im Unternehmen – wobei die Konstanz natürlich auch durch Incentives wie einem Betriebsrentensystem belohnt werde.
„Die Löhne hier sind natürlich im weltweiten Vergleich sehr niedrig, selbst nur halb so hoch wie in China. Man kann in Indien jedoch gut davon leben. Es gibt einen Mindestlohn, gesetzlich garantierten Urlaub, Überstunden werden angekündigt und ausbezahlt. Es gibt eine einfache Firmenkantine, Feste werden gemeinsam gefeiert“, umschreibt Pusalkar die erwähnten Rahmenbedingungen. Selbst jede Arbeiterin in der Montagelinie ist für mindestens zwei, wenn nicht mehr Aufgaben ausgebildet. Wer lernen möchte, werde bei EOS unterstützt.
Dabei lernt man in Mumbai vor allem eines schnell: „Mumbai ist nicht Indien“, erklärt dem Fremden nicht nur Sanjay Pusalkar, sondern gefühlt jeder in der Stadt, der hier seit Längerem seinen Lebensmittelpunkt hat. Er selbst bekam dies unter anderem zu spüren, als Frau und Tochter, beide gebürtig aus Mumbai, nach einem Umzug nach Hyderabad nach kürzester Zeit wieder auf eine Rückkehr nach Mumbai bestanden. „Das Leben in Mumbai ist im Vergleich zum übrigen Indien extrem schnelllebig“, erklärt der Ingenieur, der vom Land nach Mumbai zog, als er 13 Jahre alt war. „Die Menschen sind ständig unter Strom, sie saugen Neues förmlich auf – und sind trotzdem viel hilfsbereiter als anderswo. Wir lieben Menschen, suchen das Moderne, sind neugierig. Wer so aufgewachsen ist, tut sich woanders in Indien schwer. Und da müsse man noch nicht einmal von einer Gegend im Norden, wo Hindidialekt gesprochen wird, in eine Tamil-sprachige Gegend im Süden ziehen. Das sei einfach eine Mentalitätsfrage. Die Klischeefrage nach Einfluss der sozialen Kasten auf die indische Gesellschaft getraut man sich da kaum noch zu stellen. Aber auch hier reagiert er offen: Natürlich machen bestimmte Menschen mit bestimmtem Hintergrund mit größerer Wahrscheinlichkeit bestimmte Jobs. Mit solchen Retro-Ansichten allerdings in einer Firma mit modernem Selbstverständnis anzukommen, sei gar nicht gerne gesehen.
Networking wird in Indien groß geschrieben
Eine wichtige Rolle spielt bei der Öffnung der Mumbaier Gesellschaft offenbar auch die Networking-Kultur. „Man könnte auf die Idee kommen, Networking wurde in Indien erfunden, wenn man das Leben hier beobachtet“, fasst es Sanjay Pusalkars deutscher Chef und Inhaber von EOS Power Ralph Bischoff zusammen, der seit 2011 viele Monate des Jahres in Mumbai lebt. Jeder kennt jeden, bleibt in Kontakt, ist unterwegs, trifft neue Leute – man hilft sich mit Informationen. Expatriots und Inder sind bestens in zahllosen gemeinsamen Wirtschaftsclubs vernetzt.
Und jeder gibt alles, um seinen Kindern den bestmöglichen Bildungsstart ins Berufsleben zu verschaffen. Wobei Ingenieur Sanjay, wäre es nach seinem Vater gegangen, eigentlich Arzt werden sollte: „Aber da war ich wirklich talentfrei, das musste er dann auch einsehen. Daher habe ich auch meiner Tochter freie Hand gelassen, was sie interessiert.“ Insgesamt beobachtet er jedoch bei den jungen Technikern ein ähnliches Phänomen wie in Europa: Auch die jungen indischen Fachkräfte seien theoretisch hervorragend ausgebildet. Nach Ansicht des langjährigen Praktikers könnten sie sich jedoch stärker an konkreten Jobskills und praktischen Bedürfnissen der Firmen
orientieren.
Und die Zukunft in Indien? Was bringt die neue hindu-nationalistische Regierung unter Premierminister Narendra Modi? Generell sicher ein wirtschaftsfreundliches Klima, da sind sich die diskutierenden Kollegen einig. Auch die Kampagne „Make in India“ mit durchaus marktprotektionistischen Elementen zur indischen Wirtschaftsförderung wird im Großen und Ganzen als Idee positiv bewertet. Ob wirklich bestimmten Korruptionsgewohnheiten ein Riegel vorgeschoben werden kann, bleibe abzuwarten, aber warum nicht? Andere Entwicklungen scheinen dagegen weniger Anlass zur Freude zu geben: So ist immer wieder durchzuhören, dass sich die Konflikte zwischen Hindus und Moslems wieder verschärfen könnten. Auch dass an den Schulen mancher Bundesstaaten die nationalen Sprachen immer mehr Vorrang vor Englisch bekommen, hält in einer sich globalisierenden Welt nicht jeder für eine gute Idee.
Alles in Allem sind sich Sanjay Pusalkar und seine Kollegen sicher: Sie sind sichtlich zufrieden mit ihrem Leben. Indien sei ein vielfältiges Land, das viele Chancen bietet – und wunderschöne Gegenden. Ein Manko gebe es allerdings, das damit zusammen hänge, dass der Subkontinent sehr stark föderal organisiert sei, hinzu kämen noch die unzähligen Dialekte, mehrere Sprachen und hunderte Volksgruppen. Da geschehe jeder Wandel, ob in politischer oder gesellschaftlicher Hinsicht, unglaublich langsam. Da scheint das Wachstum der Elektronik- und auch Powersupply-Industrie im Land deutlich geschlossener voraus zu eilen – wobei binnenmarkttaugliche und weltmarkttaugliche Produkte sich offenbar noch lange weiter in getrennten Ligen und Welten bewegen werden.