Energieautarkes Fassadensystem Wetterabhängige Verschattung: Gebäude zu Kiefernzapfen machen

Das selbstanpassende Verschattungssystem „Solar Gate“ unterstützt die Klimaregulierung von Gebäuden.

16.01.2025

Forscher haben eine Gebäudefassade entwickelt, die sich selbstständig an das Wetter anpasst. Das „Solar Gate“ kommt ohne elektrische Energie aus und ist in seiner Funktionsweise Kiefernzapfen nachempfunden. Für den Betrieb braucht es weder elektrischen Strom noch mechanische Elemente.

Wissenschaftler der Universitäten Stuttgart und Freiburg haben eine wetterabhängige, selbstanpassende Gebäudeverschattung entwickelt, die energieautark arbeitet. „Wetterreaktive, architektonische Fassadensysteme sind meist auf aufwendige technische Vorrichtungen angewiesen“, sagt Prof. Achim Menges, Leiter des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und Sprecher des Exzellenzclusters Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC) der Universität Stuttgart. „Unsere Forschung untersucht, wie wir die Reaktionsfähigkeit des Materials selbst durch computerbasierte Planungsmethoden und additive Fertigung nutzbar machen können.“

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Mithilfe von bioinspirierten Designs, natürlichen Materialien und allgemein zugänglichen Technologien haben die Forscher so das „Solar Gate“ entwickelt – das erste wetterabhängige, adaptive Verschattungssystem, das nicht auf Betriebsenergie oder mechatronische Elemente angewiesen ist. Als Vorbild dienten Kiefernzapfen, die sich bei Veränderungen von Luftfeuchtigkeit und Temperatur öffnen und schließen, ohne dabei Stoffwechselenergie zu verbrauchen.

Bioinspirierter 4D-Druck

Zellulose ist ein reichlich vorhandenes und erneuerbares Material, das bei Feuchtigkeitsschwankungen quillt und schrumpft. Diese Eigenschaft, die als Hygromorphie bezeichnet wird, ist in der Natur häufig zu beobachten, beispielsweise beim Öffnen und Schließen der Schuppen von Kiefernzapfen oder bei den Blütenständen der Silberdistel.

Das Forschungsteam machte sich diese hygromorphe Eigenschaft zunutze, indem es biobasierte Zellulosefasern maßgefertigt und im 4D-Druckverfahren in eine zweischichtige Struktur gebracht hat, die von den Schuppen des Kiefernzapfens inspiriert ist. Materialsysteme, die per 4D-Druck hergestellt werden, können ihre Form als Reaktion auf äußere Einflüsse selbstständig verändern.

Für das „Solar Gate“ wurde eine computergestützte Herstellungsmethode zur Steuerung der Extrusion von Zellulosematerialien mit einem Standard-3D-Drucker entwickelt, die das selbstformende und reversible Verhalten von 4D-gedruckten Materialsystemen nutzt. Bei hoher Luftfeuchtigkeit nehmen die Zellulosematerialien Feuchtigkeit auf und dehnen sich aus; die bioinspirierten, gedruckten Elemente rollen sich ein und öffnen sich. Umgekehrt geben die Zellulosematerialien bei niedriger Luftfeuchtigkeit ihre Feuchtigkeit ab und ziehen sich zusammen, wodurch sich die gedruckten Elemente abflachen und schließen.

„Inspiriert von den hygroskopischen Bewegungen von Kiefernzapfenschuppen und den Hochblättern der Silberdistel ist es beim ‚Solar Gate‘ gelungen, nicht nur die hohe Funktionalität und Robustheit der biologischen Vorbilder in ein bioinspiriertes Verschattungssystem zu übertragen, sondern auch die Ästhetik der pflanzlichen Bewegungen“, sagt Prof. Thomas Speck, Leiter der Plant Biomechanics Group und Sprecher des Exzellenzclusters Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) der Universität Freiburg. „Dies kann als ‚Königsweg der Bionik‘ betrachtet werden, da alles, was uns am biologischen Ideengeber fasziniert, auch im bioinspirierten architektonischen Produkt realisiert wurde.“

Architektonische Integration

Das Forschungsteam testete die Funktionalität und Haltbarkeit des adaptiven Verschattungssystems über ein Jahr lang unter realen Wetterbedingungen. Dann wurde das „Solar Gate“ an der livMatS Biomimetic Shell angebracht, einem Baudemonstrator, der als Forschungsgebäude der Universität Freiburg dient.

Das Verschattungssystem, das an einem nach Süden ausgerichteten Dachfenster installiert ist, unterstützt die Klimaregulierung des Gebäudes. Im Winter öffnen sich die Verschattungselemente und lassen Sonnenlicht herein, sodass sich der Innenraum auf natürliche Weise erwärmt. Im Sommer schließen sie und minimieren die Sonneneinstrahlung. Angetrieben werden diese Prozesse ohne elektrische Energiezufuhr, allein durch tägliche und saisonale Wetterveränderungen.

Da für den Komfort in Innenräumen typischerweise viel Energie benötigt wird und Gebäude einen erheblichen Anteil an den weltweiten Kohlenstoffemissionen haben, sind Lösungen zur Verringerung des Energiebedarfs für Heizung, Kühlung und Lüftung von großer Bedeutung. Mit dem „Solar Gate“ wird aufgezeigt, wie Zellulose als reichlich vorhandenes, erneuerbares Material zu nachhaltigen architektonischen Lösungen beitragen kann.

Bildergalerie

  • Die zweischichtige Struktur der Fasse wird mithilfe eines 4D-Druckverfahrens aus zellulosehaltigen Materialien hergestellt.

    Die zweischichtige Struktur der Fasse wird mithilfe eines 4D-Druckverfahrens aus zellulosehaltigen Materialien hergestellt.

    Bild: Universität Stuttgart

  • Das Verschattungssystem reagiert auf tägliche und saisonale Wetterveränderungen, ohne Betriebsenergie zu verbrauchen.

    Das Verschattungssystem reagiert auf tägliche und saisonale Wetterveränderungen, ohne Betriebsenergie zu verbrauchen.

    Bild: Universität Stuttgart

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