Interview „Wir plädieren für ein neues Marktdesign“

Energiewende-Beauftragter: Dr. Udo Niehage, Senior Vice President und Leiter Government Affairs Berlin von Siemens.

Bild: Siemens
31.01.2013

Einen „Beauftragten für die Energiewende“ leistet sich nicht jedes Unternehmen. Dr. Udo Niehage arbeitet bei Siemens an dieser Herkulesaufgabe. Im Gespräch mit Energy 2.0 stellt er eine grundlegende �?nderung des Marktes zur Diskussion.

Energy 2.0: Herr Dr. Niehage, Sie sind bei Siemens Beauftragter für die Energiewende. Wie geht es damit Ihrer Meinung nach voran?

Dr. Udo Niehage: Am Anfang stand der Klimaschutz. Die Endlichkeit der weltweiten Primärenergievorräte hat die Energiewende getrieben und wurde dann sicherlich verstärkt durch das Nuklearthema. Jetzt erkennen wir in Deutschland, dass der Ausbau der Erneuerbaren unkoordiniert verläuft, zumindest nicht abgestimmt ist auf den Netzausbau. Und wir sehen zunehmend eine soziale Schieflage, weil Hauseigentümer, die finanzielle Mittel für eine Solaranlage haben, dafür unterstützt werden, eine eigene Stromerzeugung zu betreiben. Damit beteiligen sie sich immer weniger an der Finanzierung der Netzinfrastruktur, während bei Mietern der gesamte Stromverbrauch über den Zähler läuft und sie somit überproportional die gesamten Umbaukosten für unser Versorgungssystem tragen müssen.

Das Phänomen, dass nicht alle gleichermaßen bezahlen, gibt es ja nicht nur bei Privatkunden.

Auch kleinere Unternehmen überlegen zunehmend, ob sie sich zur Energieerzeugung eine kleine Turbine leisten können und vielleicht mit einer Wärmekopplung selbst ihren Energiebedarf decken. Immer mehr Unternehmen gehen sukzessive aus dem Netz und es bleiben immer weniger übrig, die am Ende des Tages die Umbaukosten der Energieversorgung zu bezahlen haben

Explodieren also die Infrastrukturkosten pro Kilowattstunde, die noch aus dem Netz bezogen wird?

Ja, und deshalb plädieren wir für ein neues Marktdesign. Wir müssen weg von der bedingungslosen Einspeisung der Erneuerbaren. Wer keine Brennstoffkosten hat und damit im Vorteil ist, weil Sonne und Wind umsonst sind, muss als Anbieter von Strom auch dafür sorgen, dass er ihn auf jeden Fall liefern kann. Er muss also eine Reserveleistung bereithalten und sich mit Betreibern fossiler Kraftwerke zusammentun, um seinen Lieferverpflichtungen nachzukommen.

Ein zweiter Punkt ist, Erneuerbare nur unter bestimmten Bedingungen auf dem Weg zur Marktreife zu fördern. Einspeisetarife sollten nach technologischen Kriterien und regional differenziert über Versteigerungen vergeben werden, wobei aber auch für den Auktionsgewinner der Einspeisevorrang entfällt. Grundlage ist ferner ein energiewirtschaftlich sinnvoller Ausbaupfad für die Erneuerbaren, der auf der statistischen Wetterkarte für Wind und Sonne und einer Raumordnungsplanung basiert sowie auf der Abstimmung zwischen den Ländern und dem Bund. Bund und Länder hätten den Vorteil, dass sie die dann die Erneuerbaren gezielt ausbauen könnten und mit der Versteigerung gleichzeitig Kostenreduzierung durch Wettbewerb erreicht wird

Was gehört noch zu Ihrem Marktdesign?

Der dritte Baustein ist, die Klimaschutzziele wieder in den Vordergrund zu rücken. 40 Prozent Erneuerbare ist sicherlich gut, weil sie CO2-frei sind, aber die anderen 60 Prozent sind konventionelle Stromerzeugung. Aber wer schafft Anreize dafür, dass diese konventionelle Stromerzeugung auch hocheffizient ist? Beim World Energy Outlooks 2012 der IEA war zu erkennen, dass man die Klimaziele wieder nach vorne bringt. Man wird aber erkennen, dass das Emission Trading System für CO2heute keine Anreize mehr bietet, in Richtung Low-Carbon-Technologies zu investieren.

Weil der CO2-Preis verfallen ist ...

... und die Laufzeiten der konventionellen Kraftwerke so stark zurückgegangen sind, dass sich der Neubau von Kraftwerken heute überhaupt nicht mehr rechnet. Für die Stromerzeugung brauchen wir aber gewisse Lenkungsinstrumente und zwar europaweit, um in eine effiziente fossile Erzeugung zu investieren. Dafür wäre zum Beispiel eine sektorspezifische Lösung mit Performance-Standards nicht verkehrt. Gemessen am Stand der Technik könnte man dann für Länder, die schon ein bisschen weiter sind, den Level der zugelassenen CO2-Emissionen etwas niedriger ansetzen als zum Beispiel in Polen, die heute sehr stark von Fossilen abhängig sind.

Sehen Sie außer bei der Stromerzeugung noch weitere Baustellen?

Wir haben auf der einen Seite den Erzeugungspark, also erneuerbare und konventionelle Energie, die in einen Strommarkt eingebettet ist. Auf der anderen Seite steht die Infrastruktur, die wir ausbauen und erneuern wollen. Die Stromtarife müssten klar differenzieren: zum einen nach Infrastrukturkosten fürs Netz, und zwar sowohl für die physische Übertragungsfähigkeit des Netzes als auch die informationstechnische Vernetzung, und auf der anderen Seite nach dem Arbeitspreis für Energie. Eine gleichmäßige, verursachungsgerechte Allokation der erforderlichen Kosten für die Erneuerung oder den Ausbau unserer Infrastruktur ist nötig.

Dann bräuchte man also zwei Netzentgelte: Eines wie bisher und ein zusätzlicher IKT-Anteil für das Smart Grid, den man separat ausweisen müsste.

Ja, ich glaube schon, dass es erforderlich ist, sukzessive die Zähler oder das Terminal beim Verbraucher in die Lage zu versetzen, in beide Richtungen zu kommunizieren. Mit der Rundsteuertechnik hatten wir in den 60er Jahren eine ähnliche Infrastruktur.

Das funktionierte damals aber nicht bidirektional, sondern wurde durch ein Signal eingeschaltet.

Weil man genau wusste, welche Last auf der anderen Seite ist, und der Energieversorger konnte die Last zuschalten, wenn es günstiger für ihn war als das Kraftwerk herunter zu fahren. In einem Markt, wie ich ihn beschrieben habe, würde das nicht gehen. Da müsste man dann dem Stromversorger erlauben, zu- und abzuschalten. Aber um zwischen verschiedenen Lieferanten zu variieren, muss er dann gezielt auf das Terminal im Haushalt zugreifen können. Genau dafür braucht es eine etwas aufwendigere Infrastruktur als damals.

Wo sehen Sie da noch Probleme?

Es muss klar sein, dass es ein politischer Wille ist, diese Infrastruktur auszubauen. Dabei müsste es aber alle gleich treffen und nicht überproportional die, die ihren kompletten Strom über den eigenen Stromzähler holen.

Sieht dieses Marktdesign auch eine Lösung für die Sicherstellung der Versorgung vor?

Ja, der fünfte und letzte Punkt in unserem Stromdesign ist die strategische Reserve. Mit einem liberalisierten Markt mit Angebot und Nachfrage, bei dem auch die Erneuerbaren in den Markt integriert und vermarktet werden, kann es trotzdem Tage im Jahr geben, an denen wir die Versorgung nicht sicherstellen können. Dann ist eine solche strategische Reserve nötig, die der Netzbetreiber anfordert. Das sind unsere fünf Eckpunkte, die wir zurzeit auch mit verschiedenen Interessensgruppen diskutieren, also Fachleuten, Politikern, Kunden und auch mit den Verbänden.

Stoßen Sie mit diesem Konzept auf offene Ohren oder verspüren Sie eher Gegenwind?

Wir sehen das wirklich nur als Diskussionsbeitrag. Wir gehen bei diesem Diskussionsvorschlag voran und hören auch Widerspruch. Bei vier der genannten Punkte bekommen wir durchaus Zustimmung, bei dem Thema CO2haben wir aber auch heftigen Gegenwind. Im Übrigen orientiert sich Siemens bei grundlegenden Entwicklungen am Bedarf des Weltmarktes, nicht nur an dem von Deutschland. Siemens steht für die Förderung von neuen Technologien, aber Subventionen halten wir für keine nachhaltige Industrieentwicklung. Wir plädieren deshalb für eine Marktintegration, die in Europa einen gemeinsamen Nenner hat.

Wir sind in Deutschland aber besonders stolz auf unseren "Exportschlager" EEG ...

Wenn wir den Umbau unseres Energieversorgungssystems nur mit einer garantierten Einspeisevergütung über 20 Jahre ermöglichen, dann ist das aus unserer Sicht zu kurz gegriffen, weil es nicht die Realität des Weltmarktes ist. Es hilft zwar kurzfristig, um neue Technologien auszuprobieren und eine Lernkurve zu durchlaufen, aber neue Technologien müssen sich in absehbarer Zeit auch im Markt ohne Subventionen durchsetzen. Schauen wir uns die Photovoltaikindustrie in Deutschland an: Trotz - oder vielleicht wegen der Förderung ? - haben sich viele dieser Unternehmen nicht so entwickelt, dass sie sich heute im globalen Wettbewerb behaupten können.

Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0.

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