Siemens treibt die Entwicklung des Web of Things (WoT) voran „WoT bringt Plug&Play in die Industrie“

Dr. Sebastian Käbisch, Principal Key Expert für IoT Interoperabilität bei Siemens und Co-Chair der W3C WoT Arbeitsgruppe: „WoT will die vielen verschiedenen und etablierten Technologien im IoT nicht ersetzen, sondern zusätzlich eine Technologie bereitstellen, die dafür sorgt, dass diese unterschiedlichen Systeme gut zusammenarbeiten können.“

Bild: Siemens
25.04.2025

Der neue Standard Web of Things (WoT) zielt darauf ab, die Interoperabilität und Benutzerfreundlichkeit im Internet of Things zu verbessern, indem es Webtechnologien nutzt. Dr. Sebastian Käbisch, Principal Key Expert für IoT Interoperabilität bei Siemens und Co-Chair der W3C WoT Arbeitsgruppe, erklärt im Interview mit A&D, wie das WoT endlich für Plug&Play in der Industrie sorgen kann.

Was bedeutet eigentlich der Begriff „Web of Things“ (WoT) im Vergleich zum traditionellen „Internet of Things“ (IoT)?

Diese Frage bekomme ich oft und erkläre sie gerne mit einer Analogie. Das Web of Things verhält sich zum Internet of Things ähnlich wie das Web zum Internet. Das Internet ist ein Netzwerk, über das man E-Mails austauschen, telefonieren und vieles mehr kann. Das Web hingegen ist eine Anwendung, die das Internet nutzt, um bestimmte Web-Applikationen zu ermöglichen. Wir kennen es unter anderem durch die Verwendung eines Webbrowsers, um beispielsweise nach Informationen zu suchen – vom morgigen Wetter bis hin zur Durchführung unserer Bankgeschäfte im Onlinebanking. Im IoT geht es um vernetzte Geräte, die oft mit Internetprotokollen wie IP kommunizieren. Das WoT bietet eine Möglichkeit, Anwendungen relativ einfach mit diesen IoT-Systemen zu bauen und zu nutzen. Das Web ist bekannt für seine Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit, und wir möchten ähnliche Vorteile im industriellen IoT-Umfeld ermöglichen. Deshalb haben wir uns von Anfang an bei Siemens stark für die Entwicklung des WoT-Standards eingesetzt, der von der bekannten Web-Standardisierungsorganisation W3C entwickelt wird. Das WoT hebt sich durch die Nutzung von Webtechnologien ab, die bereits im Alltag weit verbreitet und gut etabliert sind. Diese Technologien ermöglichen es, IoT-Anwendungen zu entwickeln, die benutzerfreundlich, sicher und skalierbar sind. Ein weiterer Vorteil des WoT ist die Interoperabilität, die durch die Verwendung von Webstandards erreicht wird. Dies bedeutet, dass Geräte und Anwendungen, die auf unterschiedlichen Protokollen und Plattformen basieren, nahtlos miteinander kommunizieren können. Dies ist besonders wichtig in industriellen Umgebungen, wo eine Vielzahl von Geräten und Systemen koordiniert werden muss.

Ist demnach der konkrete Vorteil von WoT gegenüber klassischen IoT-Ansätzen, dass es auf Webstandards setzt und proprietäre IoT-Standards eliminiert?

Ich wäre vorsichtig mit dem Begriff „eliminieren“. WoT will die vielen verschiedenen und etablierten Technologien im IoT nicht ersetzen, sondern zusätzlich eine Technologie bereitstellen, die dafür sorgt, dass diese unterschiedlichen Systeme gut zusammenarbeiten können. Es schafft eine einheitliche Abstraktionsebene, auf der Anwendungen geschrieben und Kundenwünsche erfüllt werden können, ohne dass bestehende Systeme ersetzt werden müssen. Ein weiterer Vorteil des WoT ist die Nutzung von Webtechnologien bzw. -standards wie zum Beispiel JSON, REST und RDF-Semantik, die bereits weit verbreitet und gut verstanden sind. Dies erleichtert die Integration von IoT-Geräten in bestehende IT-Infrastrukturen und ermöglicht es Entwicklerinnen und Entwicklern, ihre vorhandenen Kenntnisse und Werkzeuge zu nutzen. Darüber hinaus bietet das WoT eine höhere Flexibilität und Skalierbarkeit, da es auf offenen Standards basiert, die kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert werden.

Können Sie die grundlegende Architektur des WoT erläutern?

Die Grundarchitektur des WoT lässt sich mit drei Begriffen zusammenfassen: Properties, Actions und Events. Properties sind Datenpunkte wie Temperaturwerte, Actions sind Methodenaufrufe oder Remote Procedure Calls (RPCs) und Events sind Alarme oder Datenströme. Diese Abstraktionen ermöglichen es, jegliche IoT-Dateninteraktionen zu standardisieren. Die WoT Thing Description orientiert sich an diesen Abstraktionen und beschreibt die Schnittstellen der Geräte. Dadurch wird die Interaktion mit verschiedenen Protokollen wie Modbus oder OPC UA erleichtert. Die Thing Description ist ein zentrales Element der WoT-Architektur. Sie beschreibt die Eigenschaften, Aktionen und/oder Ereignisse eines Geräts in einem standardisierten Format, das leicht verständlich und maschinenlesbar ist. Dies ermöglicht es Entwicklerinnen und Entwicklern, Geräte schnell und einfach in ihre Anwendungen zu integrieren, ohne sich mit den spezifischen Details der einzelnen Protokolle auseinandersetzen zu müssen, wie zum Beispiel mit den Details von Modbus-Registern. Darüber hinaus bietet die Thing Description eine einheitliche Schnittstelle für die Interaktion mit Geräten, unabhängig von deren Hersteller oder Kommunikationsprotokoll.

Verhält sich also die Thing Descriptions wie eine Art standardisierte Visitenkarte, vergleichbar mit einer index.html bei Websites?

Genau, dieser Vergleich ist sehr gut. Eine Thing Description ist wie eine index.html, die standardisiert einen Einstiegspunkt für die Schnittstellenbeschreibung eines Gerätes bietet und Informationen über die verfügbaren Datenpunkte und deren Nutzung enthält. Diese Informationen sind maschinenlesbar und können in Engineering-Tools integriert werden, was den Aufwand für die manuelle Konfiguration erheblich reduziert. Die Thing Description bietet eine strukturierte und leicht verständliche Darstellung der Fähigkeiten eines Geräts. Sie enthält Informationen über die verfügbaren Datenpunkte, deren Typen, Einheiten und die erforderlichen Schritte, um auf diese Daten zuzugreifen. Dies erleichtert die Integration von Geräten in verschiedene Anwendungen und ermöglicht eine nahtlose Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Systemen. Darüber hinaus kann die Thing Description auch semantische Informationen wie aus ECLASS oder OPC UA enthalten, die es ermöglichen, die Bedeutung der Datenpunkte besser zu verstehen und sie in einen größeren Kontext zu stellen.

Können beim WoT Webentwickler ihre bekannten Werkzeuge und Frameworks verwenden, um IoT-Dienste/Geräte sehr einfach auf Websites/Apps einzubinden?

Genau, das ist einer der großen Vorteile. WoT ermöglicht es, bestehende Web-Tools und -Frameworks zu nutzen, um IoT-Dienste zu integrieren. Das spart Zeit und Ressourcen, da man auf bestehende Bibliotheken und Validierungstools zurückgreifen kann. Dies reduziert die Lernkurve und ermöglicht eine schnellere Entwicklung und Implementierung von Lösungen. Darüber hinaus bietet das WoT eine hohe Flexibilität, da es auf offenen Standards basiert, die kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert werden. Dies bedeutet, dass Entwicklerinnen und Entwickler auf eine breite Palette von Tools und Ressourcen zugreifen können, um ihre Anwendungen zu optimieren und zu erweitern.

Haben Sie ein Beispielszenario, bei dem das WoT für eine deutliche Aufwandsreduzierung sorgt?

Ein klassisches Beispiel ist das Onboarding von Geräten. Nehmen wir ein Energiemessgerät wie das SENTRON PAC von Siemens in der Modbus Protokoll Variante. Vor der Thing Description musste man die Informationen wie Modbus-Register, Endianess und Datentyp aus dem Handbuch manuell in das Zielsystem übertragen. Mit der Thing Description kann man diese Informationen automatisch importieren und die Konnektivität konfigurieren. Nun stellen Sie sich vor, Sie haben mehrere Geräte von verschiedenen Herstellern, die unterschiedliche Protokolle verwenden. Ohne WoT müssten Sie für jedes Gerät die spezifischen Details und Konfigurationsschritte herausfinden und manuell implementieren. Mit WoT und den Thing Descriptions können Sie diese Informationen automatisch importieren und die Geräte nahtlos in das System integrieren. Dies reduziert den Aufwand und die Komplexität erheblich und ermöglicht eine schnellere und effizientere Implementierung.

Das heißt, die Thing Description ermöglicht eine automatische Gerätekonfiguration oder Plug-and-Play-Mechanismen?

Genau, Plug-and-Play ist das Stichwort. Mit einer Thing Description kann man Geräte schnell und einfach integrieren, ohne sich mit den spezifischen Protokollen und Schnittstellen auseinandersetzen zu müssen. Die Thing Description bietet eine standardisierte und maschinenlesbare Beschreibung der Fähigkeiten eines Geräts. Dies ermöglicht es, Geräte automatisch zu erkennen und zu konfigurieren, ohne dass manuelle Eingriffe erforderlich sind. Dies ist besonders nützlich in Szenarien, in denen viele Geräte schnell und effizient integriert werden müssen, wie zum Beispiel in Smart Homes oder industriellen IoT-Anwendungen. Darüber hinaus bietet die Thing Description eine einheitliche Schnittstelle für die Interaktion mit Geräten, unabhängig von deren Hersteller oder Kommunikationsprotokoll.

Muss ein Hersteller für das WoT-Enabling seiner Lösungen die bisherigen Datenmodelle nicht über Bord werfen oder an der Hardware etwas ändern, er braucht nur eine Thing Description?

Genau, das ist das Schöne an WoT. Man muss das bestehende System nicht ändern, sondern ergänzt es nur um eine Thing Description, die die verfügbaren Datenpunkte und deren Semantik beschreibt. Dies hilft auf Anwendungsseite erheblich, da man einen besseren Kontext und ein besseres Verständnis der Daten hat, was die Implementierung der Geschäftslogik erleichtert. Ein Beispiel: Wenn man in der Cloud ein Dashboard erstellen möchte, um Energieverbrauchsdaten anzuzeigen, kann man dank der Thing Description die relevanten Datenpunkte und deren Bedeutung leicht identifizieren und nutzen.

Unterstützen Sie Kunden schon mit fertigen Thing Descriptions aus Ihrem Portfolio?

Ja, wir haben eine umfangreiche Bibliothek von Thing Descriptions für eine Vielzahl von Geräten und Anwendungen entwickelt. Diese Thing Descriptions sind sofort einsatzbereit und können problemlos in Systeme integriert werden, die WoT unterstützen, wie beispielsweise unser Siemens-Gebäudemanagementsystem Desigo CC. Darüber hinaus bieten wir unseren Kunden Unterstützung bei der Erstellung und Anpassung von Thing Descriptions für ihre spezifischen Anforderungen. KI-gestützte Funktionen wie unser Siemens Industrial Copilot sind leistungsstarke Tools, die bei der Erstellung von Thing Descriptions wie für Legacy-Geräte helfen können.

Welche Chancen über welchen Zeithorizont sehen Sie, bis ein flächendeckendes Web of Things Szenario real wird?

Standards brauchen Zeit, bis sie in der Masse ankommen. WoT ist eine noch relativ junge Technologie, aber die Akzeptanz wächst schnell. Wie man auf der „WoT@Industry“- Konferenz im November 2024 sehen konnte, setzen neben Siemens auch viele andere große Unternehmen bereits auf WoT. Es ist beeindruckend zu sehen, wie weit die Technologie bereits verbreitet ist, und ich bin zuversichtlich, dass sie in den nächsten Jahren noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Besonders spannend ist, dass WoT ein internationaler Standard ist, der nicht ausschließlich aus dem Silicon Valley kommt, sondern maßgeblich aus Deutschland vorangetrieben wurde, was zeigt, dass auch hier innovative Lösungen entwickelt werden können.

Warum sollten sich Kunden an Siemens wenden, wenn sie über WoT-Szenarien und -Umsetzungen nachdenken?

Siemens ist von Anfang an dabei und kennt WoT in- und auswendig. Wir haben viel Erfahrung und bieten Lösungen, die auf unserem Domänenwissen und den mitentwickelten Standards basieren. Das macht uns zum idealen Partner für WoT-Projekte. Unsere Expertise in der OT-Welt und unser Engagement in der Standardisierung ermöglichen es uns, maßgeschneiderte und zukunftssichere Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Darüber hinaus bieten wir umfassende Unterstützung bei der Implementierung und Integration von WoT-Technologien, um sicherzustellen, dass unsere Kunden den maximalen Nutzen aus ihren IoT-Investitionen ziehen können.

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