„Nunataryuk“. Viele der mehr als 150 beteiligten Wissenschaftler dürften im Rahmen des nun beendeten Forschungsprojekts ein neues Wort gelernt haben. Der Name des Vorhabens stammt aus der im Nordwesten Kanadas gesprochenen Inuit-Sprache Inuvialuktun und bedeutet so viel wie „zwischen Land und Meer“.
Er bezieht sich auf die Küsten des Nordpolarmeers – und damit genau auf die Regionen der Arktis, in denen sich die meisten menschlichen Aktivitäten konzentrieren. Wer dort lebt und arbeitet, ist mit Permafrost in all seinen Erscheinungsformen konfrontiert: Der gefrorene Boden prägt sowohl das Land als auch die Küste und den Meeresgrund. Und überall hat der Klimawandel schon seine Spuren hinterlassen.
„Der einst zuverlässig gefrorene Untergrund taut jetzt rund um die Welt auf“, berichtet Projekt-Koordinator Prof. Dr. Hugues Lantuit, Leiter der Arbeitsgruppe Permafrost-Küsten am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Durch diese Prozesse aber wird das Erdreich weniger stabil.
Oft sackt es zusammen, ganze Küstenabschnitte werden vom Meer davongerissen. „Das verändert die Ökosysteme, beschädigt die Infrastruktur und beeinflusst das Leben und die Arbeit der Menschen in der Arktis“, erklärt der Forscher. Doch auch global gesehen kann der Wandel im hohen Norden zu gefährlichen Entwicklungen führen.
Freisetzung von Treibhausgasen
Denn der gefrorene Untergrund gilt als eines der größten Kohlenstoff-Lager der Erde. Wenn er auftaut, könnte er Treibhausgase freisetzen, die so wirksam sind wie 50 bis 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. „Diese atemberaubende Menge könnte einen gewaltigen Effekt auf unser Klima haben“, betont Hugues Lantuit.
Es gibt also Gründe genug, die Vorgänge im Untergrund der Arktis genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn nur so lässt sich einschätzen, welche Risiken die Veränderungen mit sich bringen und wie man diese minimieren kann. Seit dem Start des Projekts im November 2017 sind Fachleute von 26 Partner-Institutionen aus 13 Ländern diesen Fragen nachgegangen.
Sie haben Permafrost-Forschung vor Ort mit Simulationen im Computer und mit sozio-ökonomischen Analysen kombiniert und dabei auch die Stimmen von Interessensgruppen aus der gesamten Arktis mit einbezogen. Die EU hat im Rahmen ihres Rahmenprogramms Horizon 2020 11,5 Millionen Euro in das Vorhaben investiert.
Ergebnisse beleuchten verschiedene Perspektiven
Die Ergebnisse beleuchten den gefrorenen Boden aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Wer die künftigen Veränderungen beobachten will, braucht zum Beispiel erst einmal einen Überblick über den heute noch vorhandenen Permafrost an Land und im Meer. Den liefert eine neue Karte, die das Zentrum für Umweltkommunikation GRID-Arendal in Norwegen aus Projekt-Daten erstellt hat.
Zum ersten Mal lässt sich nun auch einschätzen, wie viele Menschen in den Eisschränken der Erde leben. „Es handelt sich dabei um rund fünf Millionen Leute“, sagt Co-Koordinator Dr. Paul Overduin vom AWI. Computermodelle zeigen allerdings, dass viele von ihnen im Jahr 2050 wohl keinen gefrorenen Boden mehr unter den Füßen haben werden: In fast der Hälfte der 1162 heutigen Siedlungen dürfte der Permafrost erst degenerieren und dann ganz verschwinden.
Das würde das Leben von mehr als drei Millionen Menschen drastisch verändern. Ähnlich beunruhigende Nachrichten gibt es auch für die Wirtschaft. So droht bis 2050 mehr als die Hälfte der Flächen aufzutauen, auf denen Öl- und Gasförderung, Bergbau und ähnliche Aktivitäten stattfinden.
Doch nicht nur der instabiler werdende Untergrund und die damit verbundenen Schäden an Gebäuden und Straßen, Pipelines und anderer Infrastruktur sind ein Problem. „Im Permafrost sind auch Schadstoffe und Krankheitserreger eingefroren, die bei steigenden Temperaturen freigesetzt werden können“, erklärt Paul Overduin.
Milzbrand-Bakterium kann Jahrzehnte im Boden überleben
Ein Beispiel ist das Milzbrand-Bakterium, das vor allem Huftiere befällt, aber auch Menschen infizieren kann. Seine äußerst robusten Sporen können im Boden Jahrzehnte lang überleben, bis das große Tauen sie wieder aktiv werden lässt. Möglicherweise erklärt das, warum sich in Sibirien in letzter Zeit so viele Rentiere mit Milzbrand infiziert haben.
Im Rahmen des Projekts haben Fachleute ein neues und speziell auf die Verhältnisse in der Arktis abgestimmtes Modell zur Übertragung der Krankheit entwickelt. Es soll helfen zu verstehen, ob und wie man künftige Ausbrüche eindämmen kann.