Destillerien stellen Desinfektionsmittel her, Autobauer produzieren Beatmungsgeräte, Textilfirmen fertigen Atemschutzmasken: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie schnell sich kreative und unkonventionelle Lösungen umsetzen lassen. Um die Betriebsprozesse so flexibel umstellen zu können, braucht es allerdings eine funktionierende Infrastruktur.
In Zeiten, in denen eine vollständige Anwesenheit der Mitarbeiter im Unternehmen nicht gewährleistet ist, können virtuelle Kollaborationstools, digitale Vertriebswege und neue Technologien wie Cloud Computing als wirksame Hebel dienen, um die Handlungsfähigkeit von Unternehmen aufrechtzuerhalten.
Der deutsche Mittelstand ist hier schon auf einem guten Weg: Laut dem Digitalisierungsindex 2019/20, den Techconsult im Auftrag der Deutschen Telekom erstellt hat, kamen mittelständische Firmen auf 56 von 100 möglichen Punkten und damit auf einen Indexpunkt mehr als im Vorjahr. Die aktuelle Situation hat den Druck, den digitalen Wandel im Eiltempo voranzutreiben, jedoch weiter erhöht.
Erfolgsmodell Homeoffice
Wegen der Kontaktbeschränkungen der letzten Monate konnten sich viele Unternehmen größtenteils nur virtuell mit Kunden, Zulieferern und ihren Mitarbeitern austauschen. Einer Umfrage von Gartner zufolge haben 88 Prozent der Unternehmen weltweit ihre Mitarbeiter ermutigt oder aufgefordert, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten.
Ähnlich in Deutschland: Laut einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren im April und Mai mehr als die Hälfte der Büroangestellten zumindest zeitweise im Homeoffice tätig, fast jeder zweite von ihnen ausschließlich. Für zahlreiche Firmen bedeutete diese Umstellung eine enorme Herausforderung: Oft musste die IT-Infrastruktur für das mobile Arbeiten auf breiter Basis erst implementiert werden.
Unternehmen können mithilfe von modernen Tools aber auch ihre Prozesse aufrechterhalten und so ihre Handlungsfähigkeit sicherstellen. Zudem sind unkonventionelle Ideen und neue digitale Geschäftsmodelle leichter und schneller umsetzbar.
Insgesamt ist das Verständnis für neue Technologien in den letzten Monaten enorm gestiegen. Millionen von Beschäftigten haben erlebt, wie leicht der Sprung in die digitale Zukunft ist – auch ohne aufwendige Schulungen und Change-Programme. Der Homeoffice-Trend beweist, wie leicht Veränderungen umzusetzen sind, wenn kein Weg daran vorbeiführt. Wenn die Krise überstanden ist, wird der digitale Fortschritt deshalb die neue Normalität sein.
Schub für New Work
Große Konzerne – Twitter ist hierfür nur ein Beispiel – haben bereits angekündigt, dass sie ihren Mitarbeitern die Option auf Homeoffice dauerhaft anbieten werden. Generell haben die meisten Unternehmen erkannt, dass ein großer Teil der Büroarbeit genauso gut zu Hause erledigt werden kann.
Der Einsatz von Videokonferenz- und anderen Kollaborationslösungen wird daher in Zukunft selbstverständlich sein. Unternehmen haben damit nicht nur die Möglichkeit, die Zahl der Geschäftsreisen zu reduzieren. Sie können ihre Arbeitsabläufe auch insgesamt effizienter gestalten.
So belegt eine vor zwei Jahren veröffentlichte Studie der Stanford University, dass Homeoffice sogar produktiver ist als das Arbeiten im Büro. Und schließlich können Betriebe bei ihren Mitarbeitern punkten. Denn die Mehrheit der Homeoffice-Worker begrüßt die neue Freiheit und Flexibilität, wie eine Umfrage der TH Köln von Anfang April belegt.
Aber ist das jetzt schon „New Work“ – die neue Arbeitswelt, die speziell von den Generationen Y und Z seit Jahren eingefordert wird? Nicht ganz. Mit der selbstverständlichen Nutzung von Collaboration-Technologien werden die Grundlagen jedoch gerade geschaffen – und zwar nicht nur in technischer Hinsicht.
Auch andere Merkmale von New Work, die den Beschäftigten mehr Eigenverantwortung und Gestaltungsspielraum einräumen, dürften durch den Erfolg des Homeoffice einen Schub erfahren. Ob Work-Life-Balance, Co-Working-Spaces, agiles Projektmanagement, Transparenz, Feedback-Kultur oder flache Hierarchien: Die lange diskutierte Vision einer Arbeitswelt, die von Flexibilität, Freiraum und Selbstverwirklichung geprägt ist, nimmt, beschleunigt durch die Pandemie, langsam Gestalt an.
Nicht nur Unternehmen beginnen zunehmend, ihre Strukturen dahingehend anzupassen. New Work als Idee von stärkerer Individualisierung und Flexibilisierung von Arbeitsprozessen beginnt auch, das traditionelle Modell des festen Angestelltenverhältnisses sukzessive zu verändern.
„Gigs“ statt Festanstellungen
Der Wunsch vieler Arbeitnehmer, selbstbestimmter zu arbeiten, wird auch an der steigenden Zahl von Freelancern deutlich. Vor allem die Vertreter der jüngeren Generationen wollen sich nicht mehr langfristig an ein Unternehmen binden, wie es über Jahrzehnte hinweg üblich war.
In den USA könnten bereits 2027 mehr als die Hälfte aller Arbeitskräfte freiberuflich tätig sein. Auch der deutsche Markt verzeichnet einen Anstieg der so genannten Gig Economy: Laut dem Institut für freie Berufe der Universität Erlangen waren im vergangenen Jahr 1,4 Millionen Menschen freiberuflich tätig. Das sind 36 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
Kleinere und mittlere Unternehmen können von diesem Trend durchaus profitieren – indem sie die Energie und Kreativität der Freelancer fokussiert lenken und an ihren Zielen ausrichten. Vor allem aber können sie flexibel auf Arbeitskräfte wie Softwareentwickler zugreifen, die für das Angestelltenverhältnis zunehmend schwer zu gewinnen sind. Diese kommenden dann bei ihren Auftraggebern projektbezogen zum Einsatz, werden für Meetings per Chat oder Videokonferenz zugeschaltet und nach Tagessätzen bezahlt.
Veränderung in der Firmenkultur
Wenn nun immer mehr Unternehmen und deren Mitarbeiter Homeoffice als Selbstverständlichkeit und zeitgemäße Gestaltungsmöglichkeit von Arbeit betrachten und gleichzeitig auch eine zunehmende Zahl an Menschen freiberuflich tätig sein möchte, so zeigt sich darin sehr deutlich, dass es sich bei den Kernaspekten von New Work – Vertrauen und Eigenverantwortung – nicht um weltfremde Idealvorstellungen der jüngeren Generationen handelt. Es sind vielmehr realistische Werte, die zu mehr Motivation und Zufriedenheit führen – und am Ende letztlich zu besseren Ergebnissen.
Allerdings setzt die neue Arbeitswelt auch eine entsprechende Unternehmenskultur voraus. Führungskräfte, die bislang nie über Homeoffice oder den Einsatz freier Mitarbeiter nachgedacht hatten oder solchen Themen sogar ablehnend gegenüberstanden, beginnen vor diesem Hintergrund allmählich, traditionelle Arbeitsmodelle zu überdenken. Sie nähern sich New Work sukzessive an, werden offener für flexible Arbeitsmodelle – und letzten Endes auch bereit für den damit einhergehenden Wertewandel.
Das ist vor allem im Hinblick auf die fundamentalen Veränderungen in der Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung: Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel sowie der Übergang zur Wissensgesellschaft und die Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit erfordern neue Ansätze und Möglichkeiten.
Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen die Verlagerung von Tätigkeiten ins Homeoffice nicht als zeitlich befristeten Notfallplan für Krisenzeiten verstehen. Sondern als den Beginn einer neuen Arbeitskultur, die sie in Zeiten disruptiver Veränderungen zukunfts- und wettbewerbsfähig macht und mit der sie sich entsprechend ihren jeweiligen Bedürfnissen auch qualifizierte Fachkräfte sichern können.
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