Ein Blick auf die deutsche CO2-Bilanz erweckt den Eindruck, als hätte man das Hauptziel der Energiewende aus den Augen verloren: die Reduktion der anthropogenen Treibhausgasemissionen. Das Umweltbundesamt berichtete im März, dass 2013 die CO2-Emissionen um ein Prozent (12 Millionen Tonnen) gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind. Zugleich wurde so viel Braunkohlestrom produziert wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Um das Emissionsziel für 2020 zu erfüllen, müsste Deutschland laut Umweltbundesamt jährlich aber 2,8 Prozent weniger CO2 ausstoßen.
Forscher der Fraunhofer ISE haben nun ein Energiesystem für 2050 berechnet, das die Klimaschutzziele der Bundesregierung mit möglichst niedrigen Gesamtkosten erfüllt. Für die Berechnung haben sie das „Regenerative Energienmodell Deutschland“ (Remod-D) entwickelt. Es erlaubt die stundengenaue Modellierung der gesamten Energieversorgung unter Einbeziehung aller Verbrauchssektoren, der Stromerzeugung und der Speicherung [1].
Das Modell bildet das komplette Energiesystem mit seinen Abhängigkeiten, Energieflüssen und den zeitlichen Schwankungen von Energieangebot und -nachfrage ab. Zur Energiebereitstellung dienen neben konventionellen Kraftwerken auch erneuerbare Energiewandler für Strom und Wärme. Die Speicherung erfolgt über Pumpspeicherkraftwerke, Batterien, Wärmespeicher auf Basis von Wasser und über die Elektrolyse von Wasserstoff mit der Option synthetisches Methan zu erzeugen. Große zentrale Wärmespeicher, wie sie in Dänemark seit vielen Jahren in der Fernwärmeversorgung im Einsatz sind, können Überschusswärme speichern und auch mit Überschussstrom beladen werden. Die Stromerzeugung mit Brennstoffen besorgen Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke (GuD) und Anlagen der Kraftwärmekopplung (KWK). Wärme liefern unter anderem elektrische Wärmepumpen, Wärmenetze, Gas-Wärmepumpen, Brennwertkessel, solarthermische Kollektoren und KWK-Anlagen.
Für die Biomasse wurde ein nachhaltiges Potenzial von 335 TWh angenommen, das sind etwa zehn Prozent mehr als heute. Biomasse ist einfach speicherbar und damit besonders wertvoll für die Stromerzeugung in der Kombination mit fluktuierenden Energien. Zugleich ist Biomasse aber auch für viele andere Anwendungen wie Prozesswärme in Gewerbe und Industrie nutzbar.
Rolle der Energieeffizienz
2010 betrug der Primärenergiebedarf für die Energieversorgung 3950 TWh, seine Zusammensetzung nach Energieträgern zeigt die zweite Grafik. Die Klimaschutzziele der Bundesregierung sehen bis 2050 unter anderem vor, dass der Primärenergiebedarf um 50 Prozent und der Strombedarf um 25 Prozent gegenüber 2008 reduziert werden. Seit einigen Jahren ist der Primärenergiebedarf relativ konstant. Wir haben in dem simulierten Zielsystem einen Primärenergiebedarf von 1728 TWh erreicht, also eine Absenkung um 52 Prozent. Davon werden 59 Prozent durch erneuerbare Energien gedeckt. Die Zusammensetzung des Primärenergiebedarfs nach Energieträgern zeigt die linke Säule in der Grafik. Die für die Erreichung der Klimaschutzziele notwendige Energieeffizienz spielt dabei in zwei grundlegenden Formen eine Rolle:
Verbrauchsreduktion: Im oben beschriebenen Zielsystem ist der Heizwärmeverbrauch durch Maßnahmen der energetischen Sanierung auf 40 Prozent des heutigen Wertes abgesenkt und die korrespondierenden Kosten sind in der Optimierung des Gesamtsystems enthalten. Auch die Reduktion des Stromverbrauchs in klassischen Bereichen der Stromnutzung gehört in diese Kategorie. Ein Beispiel sind Leuchtmittel, die den Strombedarf um 80 Prozent und mehr gegenüber Glühlampen absenken. Hinsichtlich des Brennstoffverbrauchs in der Industrie geht die Studie davon aus, dass ähnlich wie in den vergangenen Jahrzehnten Effizienzgewinne durch wirtschaftliches Wachstum kompensiert werden, also keine Netto-Verbrauchsreduktion erfolgt.
Erhöhte Wandlungseffizienz: Einen zentralen Beitrag leistet die effizientere Stromerzeugung. Während in fossilen und nuklearen Kraftwerken ein Großteil der Primärenergie als Abwärme verloren geht, nutzen KWK-Anlagen sie wesentlich besser aus. Bei Sonne und Wind wird der erzeugte Strom direkt als Primärenergie bezeichnet. Elektrische Wärmepumpen oder Elektromotoren sind hocheffiziente Wandler von Strom in Heizwärme oder Fortbewegung, insbesondere bei einer verlustarmen Stromerzeugung. Wird zum Beispiel eine elektrische Wärmepumpe mit Strom aus einem Kohlekraftwerk betrieben, so wird die Effizienz der Wärmepumpe durch die verlustreiche Stromerzeugung weitgehend kompensiert. Bei Betrieb mit Strom aus erneuerbaren Energien und KWK-Anlagen, stellt die Gesamtkette eine hocheffiziente Bereitstellung von Heizwärme dar.
Erzeugung von Strom und Wärme
Ein kostenoptimiertes, konsistentes Zielsystem könnte folgendermaßen aussehen:
Der Gebäudebestand wird auf 40 Prozent des heutigen Heizwärmebedarfs saniert. Dies entspricht einer ambitionierten, jedoch nicht maximalen energetischen Sanierung. Ein Viertel der Gebäude ist an ein Wärmenetz angeschlossen. Dies bedeutet einen moderaten Ausbau von Wärmenetzen und ermöglicht eine effiziente Wärmeversorgung auch in verdichteten innerstädtischen Gebieten. Zugleich kann durch wärmenetzgebundene KWK-Anlagen die komplementäre Stromerzeugung weitgehend gedeckt werden.
Die installierten Leistungen fluktuierender Stromerzeuger in diesem Zielsystem sind 136 GWel Photovoltaik, 124 GWel Wind onshore, 39 GWel Wind offshore. Dazu kämen 50 GWel installierte Leistung von KWK-Anlagen. Die Wärmeversorgung erfolgt über je 50 GWth zentrale und dezentrale Solarthermie, 108 GWth dezentrale und 15 GWth zentrale Wärmepumpen, Brennwertkessel mit 32 GWth und neben den großen KWK-Anlagen kleine BHKW mit 6 GWel.
Die jährlichen Kosten für Erhalt und Betrieb des Gesamtsystems betragen rund 173 Milliarden Euro pro Jahr (nach heutigem Wert, keine Einbeziehung von Inflation) und liegen damit in der Größenordnung der Kosten unserer heutigen Energieversorgung.
Die Studie zeigt, dass es möglich ist, die Klimaschutzziele der Bundesregierung für 2050 zu erreichen. Die Kosten liegen dabei in der gleichen Größenordnung wie bisher. Bei dem Zielsystem sind die Treibhausgase um 81 Prozent reduziert, der Primärenergiebedarf ist um mehr als 50 Prozent gegenüber heutigen Werten abgesenkt und erneuerbare Energien haben knapp 60 Prozent Anteil am Primärenergiebedarf.
Voraussetzung dafür ist eine Steigerung der Energieeffizienz sowohl bei der Verbrauchsreduktion als auch der Nutzung effizienter Wandlungsketten. Ein Schlüssel für die Erreichung der Ziele ist der Einsatz hocheffizienter elektrischer Wandler (Wärmepumpe, Elektromotor) in Verbindung mit hocheffizienter und weitgehend erneuerbarer Stromerzeugung. Berechnungen mit Remod-D zeigen auch, dass 100 Prozent erneuerbare Energien möglich sind. Dafür müsste allerdings die Herstellung chemischer Energieträger wie Wasserstoff ausgebaut werden. Letztlich ist für heute notwendige Maßnahmen jedoch nicht entscheidend, wie die letzten 15 bis 20 Prozent an Treibhausgasemissionen eingespart werden, zumal hier sicher auch wesentlich nichttechnische Kriterien wie die gesellschaftliche Akzeptanz eine zentrale Rolle spielen werden.
Weitere Informationen
[1] Remod-D-Studie: www.ise.fraunhofer.de/de/daten-zu-erneuerbaren-energien