Das bevorzugte CISPR-Messverfahren, um leitungsgeführte Störgrößen zu messen, ist die Störspannungsmessung auf Leitungen. Auf Niederspannungsleitungen wird im Allgemeinen die unsymmetrische Störspannung gemessen. Um reproduzierbare Messungen zu ermöglichen, werden in den Messlabors vorwiegend Netznachbildungen verwendet. Dagegen ist an Verbraucher- und zusätzlichen Anschlüssen und bei Messungen vor Ort der Einsatz von Tastköpfen üblich. Das HF-Tastkopfmessverfahren ist in vielen relevanten EMV-Normen enthalten, wird von den Herstellern von EMV-Messgeräten und -Zubehör beschrieben und seit Jahrzehnten weltweit angewandt. In vielen Studien und Arbeiten aus dem Bereich der EMV ist das Tastkopfmessverfahren verwendet worden.
Der Einfluss der Netzimpedanz auf die Störspannung
In der DIN EN 55016-1-2 ist der Impedanzverlauf einer Netznachbildung (NNb) nach Betrag und Phase definiert. Abweichungen von den normierten Impedanzen führen zwangsläufig zu Messfehlern. Wird die Störspannung eines Gerätes oder einer Anlage (EUT, Equipment under Test) mit Hilfe eines Tastkopfes (TK) direkt am Niederspannungsnetz gemessen, so ist neben dem Störvermögen des EUT die Netzimpedanz am Messort - zum Zeitpunkt der Messung - das entscheidende Kriterium. Die Netzimpedanz (Energienetz || EUT) ist ein komplexer, frequenzabhängiger Wert, der weder örtlich noch zeitlich konstant ist. Im Frequenzbereich 9 kHz bis 30 MHz sind Impedanzwerte von wenigen Ohm bis zu mehreren k�?� realistisch.
Frequenzabhängige Impedanzwerte
Der Impedanzverlauf wird unmittelbar vom Aufbau der Niederspannungsverteilung am Messort geprägt. Die Licht- und Steckdosenstromkreise im Wohnungs- und Gewerbebau werden individuell errichtet. Meist führt ein NYM-Kabel von der Absicherung zu einem Verteiler. An diesem Verteiler werden mehrere Steckdosenstromkreise angeschlossen, über einen einpoligen Schalter wird die Raumbeleuchtung geschaltet. Es wirken somit verschiedene offene Leitungskreise unterschiedlicher Leitungslänge auf die Gesamtimpedanz am jeweiligen Messpunkt. Wie groß die Abweichungen von den normierten Impedanzen sein können und wie einfach die Netzimpedanz beeinflusst werden kann, soll das folgende Beispiel zeigen. Die Messungen wurden am Niederspannungsnetz im Messlabor Augsburg der Bundesnetzagentur durchgeführt. Als Bezugsmasse wurde der Schutzleiter verwendet (Abbildung 1). Die blaue Kurve stellt den Impedanzverlauf am Messpunkt (Dreifachsteckdose) dar, der sich aufgrund der Leitungsstruktur ergibt. Die Werte schwanken zwischen 8 und 340 �?�. Wird am Messpunkt ein Verlängerungskabel (13,5 m) angeschlossen, verändern sich die Impedanzwerte (rote Kurve) signifikant. Der Grund für die hohen Abweichungen zwischen den beiden Messungen soll exemplarisch für den Impedanzwert bei der Messfrequenz 2,9 MHz erläutert werden. Entspricht die Leitungslänge ~ λ/4 bzw. ungeradzahligen Vielfachen, so wird am Messort die Impedanz sehr klein (Serienresonanz); entspricht die Leitungslänge ~ λ/2 bzw. Vielfachen so wird am Messort die Impedanz sehr groß (Parallelresonanz). Bei einer Leitungslänge von 13,5 m (= λ/4, Verkürzungsfaktor 0,52) ergibt sich ein Impedanzwert von 8 �?� gegenüber 250 �?� bei einer Messung ohne Kabel. Der Störspannungspegel eines EUT wird sich bei beiden Messungen um 28,5 dB unterscheiden, das heißt im Endergebnis, unabhängig vom Störvermögen des EUT, wird eine Messung mit dem TK an jeder Steckdose ein anderes Ergebnis liefern.
Aktuelles Tastkopf-Messverfahren
Die Messung der Störspannung mit dem TK ist ein standardisiertes Verfahren. Die Störspannung wird mit einem Tastkopf (1.518 �?�) gemessen, anschließend erfolgt eine zweite Messung mit Vorsteckteiler (1.470 �?�), um über den Anzeigerückgang (Abbildung 2 links) die Netzimpedanz und daraus den Messfehler zu bestimmen. Ist der Betrag der Netzimpedanz |Z| klein gegenüber den beiden etwa gleich großen Belastungswiderständen, so ergibt sich ein Anzeigerückgang von annähernd 6 dB. Ist die Netzimpedanz größer, so ist der Anzeigerückgang <6 dB. Beim aktuellen Verfahren wird für die Netzimpedanz eine Spannungsquelle mit Serienwiderstand als Ersatzschaltbild verwendet. Um in diesem Fall den korrekten Wert zu erhalten, wird der Messfehler aus dem Spannungsteilerverhältnis (|Z| +1.518 �?�)/1.518 �?�) berechnet und dem Messwert ohne Vorsteckteiler hinzugefügt.
Mängel beim aktuellen Verfahren
Das derzeitige Verfahren hat jedoch zwei grundlegende Mängel. Die Berechnung des Korrekturwerts erfolgt unter der Annahme einer Serienschaltung von Netzimpedanz zum TK-Ersatzwiderstand (1.518 �?�). Richtigerweise muss die Netzimpedanz parallel zum Ersatzwiderstand gesehen werden (Abbildung 2 rechts). Damit ist der aktuelle Korrekturwert fehlerhaft und die Ursache der großen Differenzen geklärt. Zudem kann man mit der Vorsteckteilermessung niedrige Impedanzen <100 �?� nicht ausreichend genau bestimmen. Da aber bei Impedanzen <50 �?� zu geringe Störspannungen gemessen werden, können auch im niederohmigen Bereich große negative Abweichungen zur NNb-Messung auftreten.
Abgeänderter Korrekturwert
Die Überarbeitung des Verfahrens beinhaltet zwei Punkte. Ausgehend vom Ersatzschaltbild (Abbildung 2 rechts) muss ein neuer Korrekturfaktor bestimmt werden. Unter der Annahme, dass INetz= INNbist, lässt sich aus der Beziehung UNetz/|Z|Netz = UNNb/|Z|NNbder Korrekturfaktor UNetz/UNNbbestimmen. UNNb= |Z|NNb/ |Z|Netz*UNetz; (|Z|NNb = 50 �?� (>=1 MHz)) Wird die Störspannung mit dem frequenzabhängigen Korrekturfaktor beaufschlagt, so entsprechen die Messwerte annähernd den Ergebnissen einer Messung mit NNb. Der neue Korrekturwert zeigt jedoch auch, wie wichtig es ist, die Impedanzen im niedrigen Wertebereich detailliert bestimmen zu können. Mit einer Netzimpedanzmessung lässt sich auch der Messfehler, der bisher mit unterschiedlichen Bezugsmassen entsteht, berücksichtigen und korrigieren. Um eine bessere Genauigkeit zu erreichen, werden derzeit zwei Impedanzmessverfahren näher untersucht.
Neue Verfahren zur Impedanzmessung
Bei dem S-11-Verfahren wird die Netzimpedanz über eine Messung des Streuparameters S 11 bestimmt. Ein Vektor-Netzwerkanalysator wertet dabei jeweils Betrag und Phase des eingekoppelten bzw. reflektierten Signals aus und kann damit unter anderem auch den Betrag der Impedanz |Z| zur Anzeige bringen. Das Verfahren ist aufwändig, da zusätzlich ein Vektor-analyzer benötigt wird.
Bei dem relativ einfach durchzuführenden U/I-Verfahren wird ebenfalls ein unmoduliertes Signal am Messort eingekoppelt, nun aber die Effektivwerte von Spannung und Strom zeitnah zur Tastkopfmessung erfasst, um daraus die Impedanz zu berechnen.
Über einen, in vielen Messempfängern bereits eingebauten, Trackinggenerator und einen 30-dB-Tastkopf wird das Signal in das Niederspannungsnetz eingekoppelt. Aus der Differenz des jeweiligen Spannungs- und Strompegels kann man bei jeder Frequenz die Impedanz bestimmten. Während der Impedanz-Messung muss das EUT angeschaltet und in Betrieb sein. Eine TK-Messung mit Impedanzbestimmung über U/I ist bis ~15 MHz mit gutem Erfolg anwendbar und wird im oberen Frequenzbereich, bedingt durch den geringeren S/N, ungenauer. Ein Vergleich zwischen einer Störspannungsmessung mit NNb und einer TK-Messung mit und ohne Korrektur ist in Abbildung 3 zu sehen. Verwendetes EUT: Kalibrierpulsgenerator Schwarzbeck IGLK 2914, mit einer Pulsfolge von 100 Hz. Das Störsignal wurde über einen 30-dB-Tastkopf in die NNb bzw. ins Niederspannungsnetz eingekoppelt. Die rote Kurve unten zeigt die gemessene Netzimpedanz über U/I, darüber sind die gemessenen Störspannungen zu sehen: bei einer Messung des EUT an einer NNb (blau), bei einer TK-Messung ohne EUT (schwarz), bei einer TK-Messung mit EUT (rot), bei einer TK-Messung mit EUT und Korrekturwert (grün).
Zusammenfassung
Das HF-Tastkopfmessverfahren muss überarbeitet werden. Unterschiedliche Impedanzen am Messort beeinflussen unmittelbar die zu messende Störspannung. Um diesen Einfluss zu berücksichtigen, muss neben der Störspannungsmessung auch der Betrag der Netzimpedanz gemessen und über einen Korrekturwert in die Auswertung mit einbezogen werden. Die beiden aufgezeigten Messverfahren zur Impedanzbestimmung sind vergleichbar, haben jedoch in der Anwendung Vor- und Nachteile. In weiteren Untersuchungen muss man feststellen, welches Verfahren, unter den Gesichtspunkten wie Anwendbarkeit, Genauigkeit, Bezugsmasse usw., geeigneter erscheint.