Am 2. Juli 2009 vermeldete die KT Automotive GmbH aus Bremen den Auftrag, alle Crash-Test-Dummies des Automobilherstellers Audi mit so genannter „In-Dummy“-Messtechnik ausrüsten zu dürfen. Sämtliche Messgeräte liegen seither in der Puppe, ein einziges Datenkabel führt zum Auslesen nach außen. Audi liegt damit voll im Trend. Auch beim ADAC und bei anderen OEMs ist zunehmend Messtechnik im Einsatz, die vollständig in der Puppe untergebracht ist.
„Die Herausforderung dabei liegt darin, trotzdem die �??menschlichen‘ Gewichtsverteilungen und Proportionen der Crash-Puppen oder -Teile beizubehalten“, erklärt Dierk Arp, CEO der Messring GmbH aus Krailling, einem der größten Crashanlagen-Bauer und -Ausrüster Europas. „Hätte der Dummy plötzlich einen dicken, schweren Kloß aus Sensoren und Messchips im Bauch oder an einer anderen Stelle, würde der Dummy beim Crash falsch fliegen und damit die Testwerte völlig unbrauchbar machen.“ Eine besondere Herausforderung sei dies, so Arp, bei den einzelnen Puppenteilen gewesen, die bei den Fußgänger-Verletzungstests verwendet werden. Diese müssen leicht verkabelt sein, außerdem muss auch noch eine Lithium-Polymerbatterie mit schneller Spitzenentladung in jedem Teil untergebracht werden.
Arp sieht dies entspannt. „Sämtliche leichte, kleine Komponenten mit niedrigem Energieverbrauch, die wir benötigen, gibt es heute als Standardkomponenten.“ Egal ob S-RAM oder Flash-Speicher, auch die Speicher seien heute robust und vor allem klein und leicht genug, um schnelle Beschleunigungen und vor allem die Belastungen nach den Crashs „zu überleben“, spielt Arp elegant auf die vielleicht einmal lebensrettende Funktion der Tests und ihrer Teile an.
Batterien Marke Eigenbau
Lediglich die Batterien hätten nach eigenen Spezifikationen entwickelt werden müssen, da es vor vier bis fünf Jahren noch schwierig gewesen sei, Batterien mit schneller Hochentladung zu bekommen. Alles sei auf lange Laufzeiten ausgelegt gewesen. Auch dies sei heute jedoch kein Problem mehr. Zudem sei die Spritzguss-, wie er es nennt, „-verpackung“ der Teile, die ja leicht und gleichzeitig schützend sein müsse, von Messring selbst entwickelt worden. Zwar läge die biomechanische Belastungsgrenze eines menschlichen Kopfs bei etwa 80 g, aber bei einem solchen Test könnten schon auch einmal 300 oder 400 g auftreten, wenn etwas schief geht. „Dann“, so Arp realistisch, „nützen zwar die Testergebnisse nichts mehr.“ Wie stark die tödliche Belastung genau ist, spielt dann auch keine Rolle mehr. „Aber wohl dem, dessen Teile dann nicht komplett aufgeben und wieder verwendbar sind.“ Darüber hinaus sei niedriger Energieverbrauch aller Teile wichtig, da die Temperatur der Vergleichbarkeit wegen die 20-°C-Grenze nicht deutlich überschreiten dürfe.Traditionell wurden die Kraft-, Moment- und Beschleunigungsdaten der Dummies mit einer Messtechnik aufgezeichnet, die sich im Kofferraum des Versuchsfahrzeuges befand. Durch die ständig steigende Zahl der Messkanäle - heute können es mehr als 100 je Dummy sein - habe in vielen Fällen der Platz für die Messtechnik nicht mehr ausgereicht, gibt Gerd Haas, Geschäftsführer der Crash-Messtechnikexperten von KT zu bedenken. Darüber hinaus seien die Rüstzeiten in den letzten Jahren immer länger geworden, da jeder dieser hundert Messkanäle einzeln und manuell an die On-Board-Messgeräte angeschlossen werden musste.
Klassische Schnittstelle vs. Eigenentwicklung
Im KT-System, das nach eigenen Angaben in der Crash-Messtechnik einen Marktanteil von etwa zwei Dritteln hat, wird die Elektronik zur Digitalisierung und Speicherung der Messdaten im Dummy nahe der Sensoren eingebaut. Die einzelnen Kanäle werden über USB miteinander vernetzt. Jeder Dummy ist nur über ein einziges Datenkabel mit Ethernet-Standard mit dem Gesamtsystem verbunden. Um noch mehr Strom zu sparen und konsequenter jede Wärmeentwicklung zu vermeiden, setzt Messring dagegen auf ein selbstentwickeltes, energiesparendes Bussystem innerhalb des Dummys, und für den Anschluss nach außen: den M-Bus.
Neben der Einpflanzung immer mehr autarker messtechnischer Organe in die Menschennachbildungen in Originalgröße sei auch ein Trend von der Erforschung passiver Sicherheitsvorkehrungen hin zu den aktiven Sicherheitsvorkehrungen zu beobachten, betonen sowohl Dierk Arp als auch der Leiter des Crash-Technik-Zentrums des ADAC, Volker Sandner. Unter anderem werden hier im Rahmen der so genannten Pre-Crash-Sensorik Maßnahmen erprobt, die die Autoinsassen vor einem Crash schon einmal in die richtige Sitzposition schieben.Apropos Crash, Simulation, teure Autos, Prototypen: Warum heute überhaupt noch alles zerstören? Schließlich gibt es leistungsfähige Simulationssysteme. Und Crashs lassen sich natürlich perfekt mit den Schlitten statt echten Autos nachstellen. Dank eines speziellen hydraulischen Antriebssystems, das im Fall des ADAC von Messring entwickelt wurde, wird der simulierte Aufprall dabei genau so verzögert wie bei einem echten Crash. Nachteil: Die speziellen Eigenschaften einzelner Autotypen werden dabei nicht getestet.
Nicht alles ist messbar
Und dann gibt es Daten, die mit simulierten Crashs gar nicht zu bekommen sind. Hierzu gehört beispielsweise die Auswirkungen von Alter und Gebrechlichkeit der Fahrer auf die Unfallfolgen. Für diese Daten aus dem Realunfallgeschehen wird in speziell auch ethisch dafür ausgelegten Unfallzentren an echten Unfallopfern geforscht, bestätigen die Experten des ADAC. Auch beim ADAC gehen aus den Notfallhubschraubern immer auch die Unfalldaten samt der Verletzungen zum Abgleich in die Auswertungszentrale im Crash-Zentrum. Dies schadet niemandem, bringt aber hervorragende Erkenntnisse, ob beispielsweise die am Standard-Dummy erprobten Rückhaltesysteme auch bei deutlich kleineren oder leichteren Erwachsenen auf dem Fahrersitz funktionieren.
Neben den Dummies, die Erwachsene simulieren, stehen den Experten auch drei Kinder-Dummies zur Verfügung. Und im Unterschied zu früher, als die Kinder gerade einmal drei Messpunkte hatten, werden auch hier inzwischen die Belastungen einer Vielzahl von Sensoren im Kopf-, Nacken-, Brust-, Wirbelsäulen-, Becken- und Beinbereich gemessen. Besonders stolz im Kinderbereich ist das Crash-Test-Team des ADAC dabei auf seine Verdienste bei Seitencrashs, in die Kinder verwickelt sind. Auf Initiative des ADAC-Teams hin werden seit einigen Jahren auch Seitencrashs veranstaltet, bei denen große Gefahren für die empfindlichen Wirbelsäulen ausgemacht wurden. Heute hat daher fast jeder Kindersitz Seitenstützen für den Kopf - auch ohne dass dies bereits gesetzlicher Standard ist. Das aber könne sich bald ändern, hofft Sandner.
Und dann war da noch das Auto mit Elektroantrieb. Die Frage, ob diese Fahrzeuge klassischen Crashtests unterzogen werden können, beantwortet Sandner klar mit ja. Und der Brand bei DSM nach dem Crash? Völlig normal, die Batterien werden jetzt nach unten mit einer Wanne versehen, damit keine leitende Flüssigkeit in den Motorraum laufen könne und damit sei das Problem wohl aus der Welt, so Sandner. Auch beim ADAC seien auf dem Hof schon Verbrennungsmotor-Fahrzeuge einige Stunden nach den Crashs abgefackelt. Etwas ausgelaufener Sprit, ein verspäteter Kurzschluss, weil sich ein Kabel bewegt hat - und peng. „Kein vernünftiger Mensch lässt bei einem Crash-Test Sprit im Tank und baut hinterher die Batterie nicht aus“, so Sandner.
Cool bleiben
Wichtig bei allen Tests: Die Standardversuchstemperatur von 20 °C plus maximal 2 °C muss der Vergleichbarkeit wegen eingehalten werden. So mancher Crash-Beobachter wirft einen erstaunten Blick auf die zwei riesigen Ständer voller Lampen in der ADAC-Crash-Halle. Sie ist zwar nicht ganz Michael-Jackson-Bühnen würdig, aber für ein richtig edles Fotoshooting für den neuesten Audi, um zum Eingangsbild zurück zu kommen, würde sie definitiv genügen. Denn schließlich werden auch die Crashs ja mit mindestens einem Dutzend Kameras gefilmt. Werden die ursprünglichen 20°C in der Halle da nicht schnell zur Bühnentemperatur? Dazu Arp: „Wir arbeiten gerade an diesem Thema und konstruieren zum Beispiel neue Anlagen mit LED-Lampen. Bisher war die Lösung ganz einfach: Anschalten/Ausschalten. Nicht wirklich komfortabel - aber immerhin kühl.“