Als erster Energieerzeuger in Deutschland nutzt das Bioenergiekraftwerk Emlichheim (BEKW) in großem Umfang Stroh als Brennstoff. Um beim Verbrennen des Strohs einen möglichst hohen Wirkungsgrad aus der eingesetzten Primärenergie zu erzielen, setzt das Bioenergiekraftwerk auf das Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung.
Die Wärmeenergie, die durch das Verbrennen von Stroh entsteht, verwendet die ortsansässige Emsland-Group zum einen als Prozessdampf für ihre Produktionsprozesse. Zum anderen wird die Energie als umweltfreundliche Heizwärme in das dreizehn Kilometer lange Nahwärmenetz der Samtgemeinde Emlichheim eingespeist. Ein Pufferspeicher, der 4000 Kubikmeter Wasser fasst, kompensiert Lastschwankungen bei der Prozessdampf- und Wärmeabnahme, um einen durchgängig wärmegeführten Betrieb sicherzustellen. Das BEKW macht auf diese Weise bis zu 90 Prozent der im Stroh enthaltenen Primärenergie nutzbar.
Vom Kessel in den Heizkörper
Die Energieproduktion funktioniert in einem Strohheizkraftwerk nach dem klassischen Rankine-Prinzip, das die Erzeugung von Dampf in einer Kesselanlage und dessen Entspannung in einer Turbine beschreibt. Über eine Brennstoffbrücke werden die Strohballen im ersten Schritt auf Förderbändern vom Lager zum Kesselhaus transportiert. Kurz vor dem Kessel zertrennen die rotierenden Schaufeln der Ballenauflöser die Strohballen und befördern das lose Stroh in den Feuerraum, wo es auf einem wassergekühlten Vibrationsrost verbrennt.
Die freigesetzten Gase werden gefiltert und über einen Kamin mit Emissionsmessanlage kontrolliert nach außen abgelassen. Durch 12.000 Öffnungen zirkuliert die Primär- und Sekundärluft und garantiert so den vollständigen Ausbrand des Strohs, geringe Emissionswerte und einen hohen Wirkungsgrad. Die Wärme, die bei der Verbrennung entsteht, wird zunächst zum Verdampfen des Wassers in den Kesseln genutzt.
Die nachgeschalteten Überhitzer steigern die Temperatur des Dampfes auf 522° C, bevor der angekoppelte Generator die Rotationsenergie der Turbine in elektrische Energie umwandelt. Über eine Dampfleitung wird der Prozessdampf dann zur Emsland-Group transportiert; über das Nahwärmenetz gelangt Heizwärme zu den angeschlossenen Privathaushalten und öffentlichen Einrichtungen.
Komplexe Prozesse einfach steuern
Die elektro- und automatisierungstechnische Ausrüstung liefterte das Mess- und Regeltechnik-Unternehmen Stadler+Schaaf. Das eingesetzte Leitsystem basiert auf dem System 800xA von ABB. Den Kern bilden zwei redundante AC-800M-Controller. Das System ist skalierbar und bietet durch die Integration von Applikationen und Geräten eine leistungsstarke Informationsstruktur.
Für das Bedienpersonal ist eine einheitliche Visualisierung mit schnellem Zugriff auf alle Prozessinformationen von der zentralen Warte aus vorgesehen. Eine vollständig integrierte Engineering-Umgebung erlaubt einen durchgängigen Informationsfluss über alle Engineering-Phasen bis hin zur Inbetriebnahme und über den gesamten Lebenszyklus des Systems. Das BEKW-Kraftwerk ist so ausgelegt, dass es aus genehmigungsrechtlichen Gründen 72 Stunden ohne Beaufsichtigung gefahren werden kann.
Das Leitsystem gehört zu den ersten in Deutschland installierten virtualisierten Systemen, das heißt einige der notwendigen Server für die verschiedenen Dienste des Leitsystems werden mit dem Software-Paket VMware virtualisiert. Das verringert die Kosten der eingesetzten Hardware. Die Verbindung zu den Feldgeräten wird über 27 Remote I/Os vom Typ S800 gewährleistet.
Redundant ist neben der Controller-Architektur auch die komplette Kommunikation über Lichtwellenleiter zu den Remote-I/Os. Die drei Bedienstationen sowie die Engineering-Station kommunizieren ebenfalls über eine redundante Netzwerkstruktur. Sie verfügen über insgesamt zehn Monitore und zwei Großbildschirme. Eine ebenfalls redundante Profibus-Verbindung koppelt die sicherheitsgerichtete Hima-Steuerung für den Kesselschutz an das Leitsystem an.
Das Leistungsspektrum von Stadler+Schaaf umfasste neben der Erstellung des Pflichtenheftes das Detailengineering sowie die Installation und Verkabelung der gesamten Elektro- und Automatisierungstechnik. Dazu gehört neben dem Leitsystem die komplette Instrumentierung und die Einbindung der zahlreichen unterlagerten SPS-Steuerungen über OPC. Auch die Nieder- und Mittelspannungsanlagen wurden von Stadler+Schaaf errichtet. Allein 130 Schaltschränke fertigten und lieferte das Unternehmen. Nach erfolgtem Loopcheck und Inbetriebnahme erfolgte im Juli 2013 die erste Dampfeinspeisung im Kraftwerk.
Herausforderung Minutenreserve
Zu den besonderen Herausforderungen zählte unter anderem die Blockregelung, die komplex ist, weil sie eine Minutenreserve umfasst und gleichzeitig die Lieferung von Prozessdampf und Nahwärme regelt. Auch die Koordination und systemneutrale Integration der Fremdgewerke und Black-Boxen in das Prozessleitsystem war technisch und organisatorisch anspruchsvoll. Eine systemneutrale Integration bedeutet, dass unabhängig von der unterlagerten Hard- und Software die Fremdgewerke und Black-Boxen in das System eingebunden wurden. Alles läuft unter einer identischen Bedienoberfläche. Für den Bediener ist nicht erkennbar, ob systemeigene Aktoren/Sensoren oder Fremdgewerke bedient werden. Bei den Fremdgewerken handelt es sich unter anderem um Rauchgasreinigung, Turbinen, Wasseraufbereitung oder Nahwärmehauptstationen.
Im Mittelspannungsbereich verbaute Stadler+Schaaf drei ACS800 Frequenzumrichter von ABB für den Frischlüfter, den Saugzug und die Speisewasserpumpe. Weitere 42 ABB-Frequenzumrichter der Typen ACS 850 und ACS 350 sind im Niederspannungsbereich installiert. Rund 2700 MSR-Signale, hauptsächlich aus ABB-Temperatur- und Druckmessgeräten, und weitere 650 Signale aus der elektrotechnischen Ausrüstung des Kraftwerkes laufen im Leitsystem zusammen. Dazu kommen dann noch über 14.000 Signale aus SPS-Steuerungen, die über OPC übertragen werden. Damit werden weitere Anlagenteile des Kraftwerkes kontrolliert und koordiniert, wie die Schneckensynchronisation, die Turbine, die Prozessdampf- und Wärmeauskopplung oder die Rauchgasreinigung.