Katalogwissen alleine kann bei der Auslegung mechatronischer Antriebssysteme zu suboptimalen und damit zu subeffizienten Lösungen führen. Eine passende Auslegungs-Software ermöglicht es, Systemgenauigkeiten zu verbessern und vorhandene Überlastfaktoren zu nutzen. Das erweitert Auslegungs- und Anwendungsräume und erschließt Potenziale für Energieeffizienz und das Downsizing von Antriebssträngen.Berechnungsmethoden, Auslegungserfahrung und Wissen sind die Kernelemente des Software Tools Cymex 3 von Wittenstein. Applikation, Motor und Getriebe können mit der Software einfach dimensioniert werden. Die Effektivität lässt sich im Zusammenspiel simulieren und beurteilen. Die integrierte Datenbank zum Beispiel umfasst für eine herstellerübergreifende Auslegung von Antriebssträngen aktuell mehr als 10000 Motoren von über 40 Anbietern. Zudem verfügt das Tool über zahlreiche Schnittstellen für den Import von Bewegungsprofilen aus anderen Auslegungsprogrammen. Die von den Konstrukteuren und Entwicklern eines Kunden erarbeiteten Grundlagen können auf technische Plausibilität geprüft sowie für die Dimensionierung eines Antriebs in Cymex 3 übernommen und verbessert werden. Eine Antriebsaufgabe ganzheitlich zu betrachten, steht im Mittelpunkt des Auslegungsprozesses mit Cymex 3. Bevor Getriebe und Motor betrachtet werden, werden zunächst Lasten und Bewegungen analysiert und verbessert. Nach der Erfassung der grundlegenden Rahmenbedingungen einer Applikation, zum Beispiel Zyklus- oder Dauerbetrieb, Axial- und Radialkräfte, Bewegungsart, zulässiges Verdrehspiel oder Mindest- und Höchstdrehzahlen, erfolgt eine eingehende Betrachtung der Positionieraufgabe und der damit verbundenen Bewegungs- und Lastprofile. Die Funktionen, die Getriebe in mechatronischen Antriebssystemen übernehmen - wie Drehmomente und Drehzahlen wandeln oder Massenträgheitsmomente anpassen - sind in ihrer Genauigkeit und Effizienz wesentlich abhängig vom Ablauf der durchzuführenden Bewegungen. So zeigt der Vergleich verschiedener Bewegungsgesetze, dass je nach Bewegungsprofil bei dynamischen Anwendungen das tatsächlich auf das Getriebe wirkende Drehmoment bedeutend größer sein kann als das analytisch berechnete Drehmoment. Besonders in der Beschleunigung und beim Abbremsen besitzen unstetige Rechteck-Bewegungsprofile einen unendlich großen Ruck, was zu einer starken Anregung über alle Frequenzbereiche und so zu Überschwingern im Antriebssystem führt.
Überlasten nicht schwach dimensionieren
Typische Einstellvorgaben für Servoregler zielen darauf ab, bei Sprungantworten Überschwinger im Bereich von 30 bis 40 Prozent zu generieren. Bei einer hohen Dynamik des Servoreglers können diese Drehmomentspitzen bis zu 100 Prozent größer sein als die theoretisch berechneten Werte. Dies wiederum bedeutet, dass ein Getriebe so ausgelegt sein muss, dass es mit diesen Lastspitzen umgehen kann.Um diesen Effekt abschätzen zu können, gibt es den so genannten Stoßfaktor. Dieser Wert wird automatisch in den verfügbaren Auslegungs-Tools berücksichtigt. Durch die Überlasten müssen die Getriebe stärker ausgelegt werden, wodurch sie größer werden. Der Stoßfaktor trägt dem Rechnung und hilft den Kunden, nicht zu schwach zu dimensionieren. Kleiner werden die tatsächlichen Lasten nur durch eine verbesserte Bewegung. Durch stetige und harmonische Bewegungsprofile lässt sich der Stoßfaktor reduzieren und im Idealfall sogar eliminieren. Cymex 3 unterstützt den Anwender beim Bewegungsdesign. Die Software modelliert - unter Nutzung von Berechungsgesetzen für Polynome höherer Ordnung und trigonometrischen Gesetzen anwendungsspezifische Bewegungsideale. Sie generieren analytisch höhere Beschleunigungen - sprich Drehmomente - und zeichnen sich gleichzeitig durch ruckfreie oder zumindest ruckbegrenzte Beschleunigungs- und Bremsverläufe aus. So liegen die tatsächlichen Drehmomente und der tatsächliche Bewegungsverlauf näher am analytisch berechneten Drehmoment, das heißt, eine bessere Bahntreue ist gegeben und der Motor kann nahezu ideal beschleunigen und bremsen. Im Idealfall kann so gänzlich auf einen Stoßfaktor verzichtet werden, wodurch die mechanischen Elemente 30 bis 40 Prozent kleiner dimensioniert werden können. Aber nicht nur die Lasten werden verringert: Unerwünschte Schwingungsanregungen werden vermieden, wodurch eine wesentlich bessere Bewegungsqualität erreicht wird. Diese äußert sich auch in geringerer Geräuschentwicklung und einem für die ganze Maschine vibrationsarmen Lauf des Antriebes. Das Wegfallen erhöhter Lastannahmen und Sicherheiten in Form von Regelreserven oder Stoßfaktoren eröffnet die Möglichkeit, kleinere Baugrößen auszuwählen und so energieeffizientere Antriebssysteme zu entwerfen.
Grenzen austesten
Sind Lasten und Bewegungen bestmöglich eingestellt, erfolgt mit Hilfe von Cymex 3 die Identifikation geeigneter Getriebe und Motoren. Hierbei wird zunächst der Lambda-Wert betrachtet, das heißt das Verhältnis der Massenträgheiten von Motor und Last. Bei dynamischen Anwendungen ist ein Wert zwischen zwei und sieben anzustreben. Danach werden Getriebeeigenschaften definiert, zum Beispiel Getriebeart, Wellenausführung, Bauform oder die Form des Abtriebes. Im weiteren Verlauf der Getriebeauswahl geht es vor allem um die Betrachtung von Querkräften, Trägheiten, Drehzahlen, Drehmomenten und thermischen Aspekten. Getriebe mit geringen Querkräften und reibungsverbesserter Ausführung, wie das SP+ von Wittenstein, ermöglichen im Vergleich zum Industriestandard einen höheren Wirkungsgrad und eine geringere Temperaturentwicklung. Die Software integriert diese Eigenschaften in die Getriebeauslegung und zeigt auf, unter welchen Bedingungen mit einem bestimmten Getriebe höhere Drehzahlen respektive Radialkräfte oder höhere Abtriebsdrehmomente über die Katalogdaten hinaus realisiert werden können. Damit ergeben sich erweiterte Auslegungsräume und gleichzeitig sicher beherrschbare Einsatzpotenziale des Getriebes: mehr Drehmoment bei reduzierter Drehzahl oder mehr Drehzahl bei reduziertem Abtriebsmoment. Vergleicht man eine solche Getriebeauslegung mit der Auswahl eines Getriebes anhand statischer Katalogdaten, erkennt man über die erste Lastoptimierung hinaus weitere Downsizing-Möglichkeiten von installierter Leistung und Baugröße bei der mechatronischen Antriebsauslegung.
Tool für den Energieverbrauch
Untersuchungen zeigen, dass allein im mechanischen Teil des Antriebsstranges bis zu 30 Prozent Energie eingespart werden kann. Am Energieverbrauch der Industrie tragen Motoren und Antriebe den Löwenanteil: 66 Prozent des Gesamtverbrauchs - über 151 TWh in Deutschland oder mehr als 656 TWh für Europa. Auf 22 TWh - etwa 15 Prozent beziffert der ZVEI in entsprechenden Untersuchungen allein für Deutschland das Potenzial zur Verbrauchsreduzierung in der Antriebstechnik. Der Industrie würde dies mehr als 2,5 Milliarden Euro Energiekosten einsparen. Die Funktion Energieassistent berechnet den Energiebedarf eines Antriebsstranges, der so energieeffizient ausgelegt werden kann - bis hin zur Wirtschaftlichkeitskalkulation einer möglichen Netzrückspeisung durch den Antrieb. Beispielberechnungen zeigen: Ein Großteil der Energie, die zum Beschleunigen und Bremsen der Antriebsträgheit aufgewendet wird, muss nicht komplett als Abwärme-Energieverlust beim Bremsen verheizt werden. Sie kann zu einem großen Teil rückgespeist werden. Mit Cymex 3 lassen sich die Energiekosten mit und ohne Rückspeisung bewerten und so die jährliche Energieersparnis in Euro beziffern.