E&E:
Forscher wie Professor Frank Berger von der TU Ilmenau sprechen sich für eine Gleichstromversorgung in der Industrie und in Haushalten aus. Wie stehen Sie dazu?
Guido Ege:
Die Vorteile liegen auf der Hand. Dadurch lassen sich Umwandlungsverluste von AC zu DC einsparen, die wir heute in fast jeder Anwendung haben. Von daher wird sich diese Technologie mit der Zeit sicherlich stärker durchsetzen. Nicht überall, ganz klar. Denn wir haben ein sehr stabiles AC-Netz, das aus meiner Sicht bestehen bleibt. Aber es wird in bestimmten Bereichen DC-Inseln geben.
Wie kommt es zu diesen Umwandlungsverlusten?
Wir generieren zum Beispiel Gleichstrom über Solaranlagen. Dieser muss aber über unser Wechselstrom-Netz transportiert und damit zunächst in AC umgewandelt werden. Um dann etwa in Elektromotoren, die einen internen Gleichstromkreis haben, wieder in Gleichstrom umgewandelt zu werden. Das heißt, wir haben mehrfache Wandlungsverluste. Dadurch ergibt sich natürlich ein hohes Einsparpotenzial.
Von welcher Größenordnung sprechen wir hier?
Erste Analysen gehen von
10 bis 15 Prozent aus. Das bezieht sich auf eine einzelne Anwendung. Wenn Sie jetzt beispielsweise eine Fabrik oder einen Serverraum von Gleichstrom auf Wechselstrom umstellen, dann gewinnen Sie in der Anwendung
10 bis 15 Prozent. Würde man, ganz hypothetisch, unser gesamtes Stromnetz in Deutschland komplett auf Gleichstrom umstellen, könnten wir ungefähr 35 Prozent von unserem Gesamtenergiebedarf einsparen.
Welche Vorteile bringt der Einsatz von Gleichstrom noch mit sich?
Wenn Sie sich die Netzteile anschauen, die die elektronischen Geräte – etwa Handys, Notebooks oder Flachbildfernseher – heutzutage haben, dann werden neun Zehntel der Einzelteile und natürlich auch vom Bauraum für die Umwandlung von AC zu DC verwendet. Nur ein Zehntel des Netzgeräts brauchen Sie wirklich, um die Spannung herunterzuregeln.
Lässt sich das auch auf die Industrie übertragen?
Was für Elektromotoren gilt, ist natürlich auch bei Frequenzumrichter der Fall. Die Idee ist es, die Struktur so zu ändern, dass es einen großen zentralen Gleichrichter in einer Fabrikhalle gibt, der einmal AC in DC wandelt. Ab da wird mit DC verfahren und es sitzt nur noch ein kleiner Frequenzumrichter auf dem Motor. Das spart Ressourcen und die Komponenten können kleiner werden.
In einem Fachartikel Ihres Unternehmens heißt es, eine Gleichstrom- parallel zur Wechselspannungsinstallation wäre realistisch. Was ist damit gemeint?
Mit Blick auf den Haushalt: Ihren Staubsauger oder Kühlschrank werden Sie wahrscheinlich immer noch an der AC-Dose einstecken. Aber vielleicht gibt es eines Tages ein paralleles DC-Netz, mit dem Sie Ihre elektronischen Geräte betreiben und Ihr Smartphone oder andere akkubetriebene Geräte laden können. Das wäre zum Beispiel über ein 24-Volt-Netz möglich, das von Ihrer Solaranlage auf dem Dach gespeist wird, während eine Batterie im Keller den überschüssigen Strom speichert. Damit würden die mehrfachen Wechselverluste der Vergangenheit angehören.
Welche Herausforderungen birgt der Einsatz von Gleichstrom für die Kabel?
Die Isolationsmaterialien, die zum Beispiel für Kabel und Leitungen oder aber auch für Gehäuse oder Steckverbinder verwendet werden, sind anderen Belastungen ausgesetzt. Es wird also Materialien geben, die ungeeignet für Gleichstrom sind, und welche, die besser oder prädestiniert dafür sind. Wir sprechen hier über Alterung und die tritt nicht nach nur einer Woche oder zwei Monaten ein, sondern über die gesamte Lebensdauer einer Maschine oder einer Installation. Das gilt es jetzt eben heraus-
zufinden.
Inwiefern bewirkt Gleichstrom andere Belastungen?
Hintergrund der unterschiedlichen Eignung von Materialien ist der, dass es auch polare Kunststoffe gibt. Elektrische Felder können die Kunststoffmoleküle beeinflussen. Bei Wechselstrom müssen Sie sich darum nicht kümmern, weil er permanent seine Polarität ändert und sich das somit aufhebt. Bei Gleichstrom ist das aber nicht der Fall. Also wirkt ein Feld unter Umständen über Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte hinweg immer in die gleiche Richtung. Es könnte deshalb sein, dass solche polaren Kunststoffmoleküle innerhalb der Isolation beziehungsweise des Kabelmantels wandern und der Kunststoff dadurch seine Eigenschaften verändert. Nach einer gewissen Zeit erfüllt er dann vielleicht seine Aufgabe nicht mehr richtig. Das ist aber noch nicht endgültig erforscht. Wir untersuchen das gerade in Zusammenarbeit mit der TU Ilmenau.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit der TU Ilmenau aus?
Im Rahmen von Forschungsprojekten erarbeiten und definieren wir mit Prof. Berger Tests und Zielstellungen. Außerdem steht dort ein Prüfstand, den wir zur Verfügung gestellt haben, auf dem Herr Berger Kabel auf ihre dauerhafte Einsetzbarkeit unter Gleichstrom testet.
Um welche Tests handelt es sich hierbei?
Es sind Hochspannungstests, die mit Gleichstrom erfolgen und entsprechende Alterungsszenarien einbringen, zum Beispiel Temperatur als Einfluss. Es ist auch so, dass bei Kabeltests in der Vergangenheit zwar die Alterung überprüft wurde, aber nicht unter Strombelastung. Bei Gleichstrom muss hingegen der Einfluss des elektrischen Felds berücksichtigt werden. Deswegen ist ein wesentlicher Unterschied zu bisherigen Tests, dass die Kabel bei diesen Versuchen auch wirklich unter Spannung gesetzt werden.
Sie haben mit dem Ölflex Classic 130 H ein erstes Industriekabel für Gleichstrom im Programm. Wofür dient es?
Das war ein konkreter, erster Anwendungsfall, den wir für die Firma Bachmann entwickelt hatten. Hierbei ging es um Rechenzentren. Das Kabel basiert zudem auf einem ersten Normenentwurf. Es hat zum Beispiel einen anderen Farbcode, um die Unterscheidung als erstes wichtiges Merkmal sicherzustellen. Und es ist aus der ein oder anderen schon bekannten Materialart, die wir von anderen Gleichstromanwendungen kennen und dort haben einfließen lassen. Das Ölflex DC 130 H ist der erste Demonstrator, der von uns vorgestellt wurde.
Wofür braucht es einen anderen Farbcode?
Mit DC haben Sie ja einen entscheidenden Unterschied: Sie können nicht einfach den Stecker ziehen oder die Verbindung trennen. Es fließt ja immer Strom im Gegensatz zu AC. Dort haben wir 50-mal in der Sekunde einen Nulldurchgang. Das heißt, wenn Sie den Stecker ziehen, reißt der Lichtbogen nach spätestens 20 Millisekunden ab; das ist ungefährlich. Bei DC ist das aber eben nicht so. Es muss also für den Elektriker ersichtlich sein, dass es sich dort um Gleichstrom handelt und nicht um Wechselstrom.
Wie lässt sich eine stärkere Verbreitung von Gleichstrom in Deutschland erreichen?
Das Thema Normung ist sicherlich ein Punkt. Das würde helfen, Produkte auf der einen Seite für die Anwender zu entwickeln, die dann auf der anderen Seite wieder Nachfrage nach DC erzeugen. Ich denke, hier sind wir noch am Anfang. In Deutschland ist es nun mal so: Ohne Normen passiert relativ wenig.
Welche Normen werden benötigt?
Zum Beispiel für die entsprechende Spannungsklasse, die Farbcodes, die wir angesprochen haben, und auch die Installationsrichtlinien müssen genormt werden. Wie werden die entsprechenden Stromkreise, wenn ich AC und DC zusammen verlege, voneinander getrennt? Darf ich sie zusammen verlegen? Auch Standards für Schutzeinrichtungen sind entsprechend zu definieren. Es stehen einige Themen in solch einer Norm und die gilt es jetzt natürlich alle zu erarbeiten und zu verabschieden.
Kommen wir zum Abschluss noch mal auf den Wechselstrom zurück. Wieso ist, angesichts der Vorteile von Gleichstrom, noch keine weitgehendere Umstellung geschehen?
Ein sehr gut funktionierendes, etabliertes AC-Netz ist natürlich eine große Hemmschwelle für eine Umsetzung. Stattdessen wird man über Insellösungen versuchen, schnell Effizienzen zu heben, um diese Inseln dann an der ein oder anderen Stelle zu vernetzen oder dort, wo neu investiert wird, gleich in DC zu gehen. Das wird ein Prozess sein, der langsam in Gang kommt.
Provokant gefragt: Hat die Wechselstromtechnik noch eine Zukunft?
Eine Zukunft hat Wechselstrom auf jeden Fall. Es wird eine Koexistenz der beiden Netze geben. In welcher Ausprägung und in welcher Tiefe? Ich denke, das wird die Zukunft zeigen.