Herr Heidenblut, können Sie Elma Electronic kurz vorstellen? In welchen Märkten ist das Unternehmen aktiv?
Elma Electronic ist ein international agierender Anbieter von modularer Systemtechnik mit klarer Ausrichtung auf anspruchsvolle Industrie- und Defense-Anwendungen. In den USA liegt der Fokus des Unternehmens traditionell auf dem Verteidigungssektor. In Europa hingegen, insbesondere am Standort Deutschland, adressiert wir eine breitere Branchenlandschaft. Neben Märkten wie der Verteidigungstechnik sind wir im Bereich Transport, insbesondere im Bahnsektor, sowie in der Automatisierungs- und Medizintechnik aktiv. Während Elma bislang überwiegend kundenspezifische Lösungen entwickelte, gehen wir mit dem JetSys-2010 nun den nächsten Schritt in Richtung standardisierter Edge-KI-Building-Blocks, die dennoch modular anpassbar bleiben.
Was war der Auslöser, ein System wie das JetSys-2010 zu entwickeln?
Der zentrale Beweggrund für die Entwicklung des JetSys-2010 lag in der zunehmenden Nachfrage nach edge-basierten KI-Systemen für den Bahnbereich. Hier rücken Anwendungen wie Fahrgastflussanalyse, Sicherheitsüberwachung, Vandalismusprävention und Maintenance-Prognostik in den Fokus. Die Systeme müssen in diesem Umfeld nicht nur leistungsfähig sein, sondern auch regulatorische Anforderungen erfüllen – insbesondere die Bahn-Norm EN 50155. Die Architektur des JetSys wurde daher konsequent auf diese semi-ruggedisierte Anforderungen hin entwickelt: robustes Design, passive Kühlung, konforme Schutzbeschichtung der Elektronik (Conformal Coating) sowie bahntypische Rundsteckverbinder gehören zur Standardausstattung.
Was zeichnet das JetSys-2010 technisch besonders aus?
Technisch basiert das System auf der Nvidia Jetson-Plattform, konkret auf dem Orin-NX-Modul, das für industrielle Einsatzbereiche qualifiziert ist. Dieses Modul bildet die zentrale Recheneinheit, die auf einem eigens entwickelten Carrierboard mit modularen Schnittstellen sitzt. Die Flexibilität der Hardware erlaubt unter anderem die optionale Integration von Kamera-Interfaces (zum Beispiel GMSL) oder seriellen Kommunikationsports (RS-232/485), sodass unterschiedlichste Sensorik oder Peripherie angebunden werden kann. Durch die modulare Auslegung ist die Rechenleistung skalierbar – alternativ zum Orin NX kann beispielsweise auch das Jetson Orin Nano verbaut werden, falls die Anwendung weniger Performance erfordert. Im Software-Stack setzt Elma auf das etablierte JetPack-System von Nvidia, eine auf Ubuntu/Linux basierende Entwicklungsumgebung inklusive KI-Toolkits wie CUDA und TensorRT. Zusätzlich stellen wir ein angepasstes Board Support Package (BSP) bereit, das die spezifischen Hardwareinterfaces adressiert und so eine schnelle Inbetriebnahme ermöglicht. Auf dieser Basis können Partnerlösungen wie die KI-Anwendungen von Isarsoft direkt installiert und betrieben werden. Letztere visualisieren zum Beispiel Personenflüsse in Bahnhöfen oder Waggons, erkennen Anomalien wie zurückgelassene Gepäckstücke oder verdächtige Bewegungsmuster – lokal, in Echtzeit und ohne Cloud-Anbindung.
Welche Rolle spielt hierbei das Cloud-Computing?
Der Verzicht auf die explizite Cloud-Integration ist bei JetSys-2010 nicht nur technisch motiviert, sondern zunehmend regulatorisch erforderlich. So macht der European AI Act klare Vorgaben, insbesondere für den Einsatz von KI im öffentlichen Raum: Bilddaten und Analysen dürfen nicht personenbezogen gespeichert oder weitergegeben werden. Unser System verarbeitet daher alle Daten lokal und gibt ausschließlich anonymisierte Metadaten aus – ein wichtiger Vorteil gegenüber rein cloudbasierten KI-Systemen. Hinzu kommt, dass bandbreitenintensive Bilddatenübertragung entfällt, was sowohl Infrastrukturkosten spart als auch die Latenzzeiten deutlich reduziert.
Welche Vorteile bietet das JetSys-2010 gegenüber herkömmlichen Edge-KI-Lösungen?
Gerade im Vergleich zu klassischen Edge-KI-Systemen hebt sich JetSys-2010 durch seine branchenspezifische Auslegung und Integrationsfähigkeit ab. Die Kombination aus standardisierter Hardware, vorkonfigurierter Softwareumgebung und regulatorischer Konformität macht das System besonders attraktiv für Unternehmen, die keine eigenen KI-Plattformen entwickeln wollen, sondern einsatzfertige, skalierbare Lösungen benötigen. Darüber hinaus ist das System durch zusätzliche Schnittstellen und Speicheroptionen zukunftssicher und upgradefähig – auch in Hinblick auf neue Nvidia-Plattformen wie Jetson Thor, deren Integration bereits geprüft wird.
Welche branchenspezifischen Anwendungsfälle lassen sich mit dem JetSys-2010 besonders gut umsetzen?
Besonders prädestiniert ist JetSys-2010 für bildbasierte KI-Modelle, etwa zur Objekterkennung, Bewegungsanalyse oder Anomaliedetektion. Gleichzeitig kann die Plattform auch Sensordaten aus Funk-, Radar- oder Umweltquellen verarbeiten, was sie für Anwendungen in der Agrar- oder Sicherheitsbranche interessant macht, wie beispielsweise die Fahrgastflussanalyse in Zügen oder die Detektion von Sicherheitsvorfällen im ÖPNV. Hier läuft bereits ein Pilotprojekt mit T-Systems. Weitere Anwendungen sehen wir in der Logistik – etwa bei autonom fahrenden Flurförderzeugen – oder in der Agrartechnik, etwa bei der Ernteüberwachung oder Bodenanalyse. Prinzipiell ist das System sehr vielseitig – Voraussetzung ist hier nur, dass es am Netzwerkrand, also ohne Cloud, funktionieren muss.
Wie unterscheidet sich das JetSys-2010 von anderen Lösungen auf dem Markt?
Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal von JetSys gegenüber vergleichbaren Systemen ist die enge Verzahnung mit Softwarepartnern. So bietet Elma gemeinsam mit Unternehmen wie Isarsoft, ein Spezialist im Bereich Video-Analytics-Software oder T-Systems auch vorkonfigurierte Softwarelösungen an – ein klarer Mehrwert für Kunden, die schnell mit Edge-KI in den produktiven Einsatz gehen möchten. Im Vertrieb ist sogar vorgesehen, erste Testlizenzen mit auszuliefern, um den Einstieg in KI-Projekte zu erleichtern.
Welche besonderen technischen Herausforderungen mussten Sie bei der Entwicklung des JetSys-Systems meistern?
Es waren einige – das passive Kühlkonzept in Kombination mit leistungsstarker Hardware und konformer Beschichtung stellte uns vor einige thermische und mechanische Herausforderungen. Zudem war die Balance zwischen Funktionsvielfalt und Kosten oft ein Thema: Schnittstellenvielfalt bringt Flexibilität, erhöht jedoch die Komplexität und Kostenstruktur. Wir entschieden uns hier für eine klare Priorisierung auf die branchenspezifischen Anforderungen.
Welche weiteren Entwicklungen plant Elma in diesem Bereich?
Wir werden die JetSys-Plattform weiterentwickeln – sowohl technisch als auch in Bezug auf neue Märkte. Dazu gehört eine E-Mark-Zulassung für den Einsatz in Agrar- und Sonderfahrzeugen. Auch eine stärkere Integration mit Softwarepartnern ist geplant – inklusive vorkonfigurierter Softwarebundles, die Kunden den Einstieg erleichtern. Ziel ist es, KI-basierte Edge-Lösungen breitenwirksam verfügbar zu machen, ohne dabei auf branchenspezifische Anforderungen zu verzichten.