„Die Bevölkerung hat erhebliche Zweifel an der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Mit Blick auf technische Innovationen ist es um Deutschland offensichtlich schlecht bestellt“, sagt VDI-Direktor Adrian Willig zum Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Bevölkerungsbefragung des VDI. Willig hält es für äußerst bedenklich, dass nur neun Prozent der Meinung sind, Deutschland sei aktuell bei der Entwicklung neuer Technologien sehr wettbewerbsfähig. Insgesamt hält nur eine knappe Mehrheit (54,2 Prozent) Deutschland zumindest für eher wettbewerbsfähig. „Das heißt, die deutsche Bevölkerung hat geringes Vertrauen in die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.“
Alarmierend ist die Perspektive der Befragten auf den Automobilsektor als wesentliche Schlüsselindustrie des Landes. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) glaubt nicht daran, dass auch in zehn oder 15 Jahren noch die besten Autos der Welt aus Deutschland kommen. Willig führt aus: „Vor dem Hintergrund der strukturellen Bedeutung der Automobilindustrie für das deutsche Innovationssystem ist das ein alarmierendes Signal.“
Bevölkerung zeigt sich verunsichert
Auf die Frage, ob Deutschland auch 2035 noch zu den führenden Innovationsstandorten der Welt gehört, antworten nur 13 Prozent der Befragten mit „Ja“. Hinsichtlich der Zukunftsaussichten bestehen offensichtlich erhebliche Unsicherheiten bei den Deutschen. Nur gut jeder Zehnte ist sich sicher, dass Deutschland 2035 eine führende Rolle in der Welt spielen wird.
Willig betont dabei, dass die Umfrage nicht nur negative Zukunftsbilder ergeben habe. „Die Bevölkerung sieht die Stärken Deutschlands vor allem bei traditionellen Werten einer Industrie ,made in Germany‘“, sagt der Direktor. Zwei von drei Deutschen halten hier entwickelte Technologien außerdem für besonders nachhaltig. „Aber Deutschland ist zu langsam“, ordnet Willig ein ein. Nur 23 Prozent meinen, Deutschland entwickle Technologien besonders schnell und bringe diese zügig auf den Markt. Hierzulande entwickelte Technologien hält die Hälfte (54 Prozent) für besonders innovativ und neuartig.
Dr. Robert Peters, Zukunftsforscher und Politikberater beim VDI/VDE Innovation + Technik und verantwortlich für die Erstellung der Befragung, ergänzt: „Die schlechte Nachricht für die Bundesregierung ist: In den Augen der Bevölkerung tut sie bislang nicht genug zur Stärkung von Innovation und für die Sicherung von Wohlstand. Die gute Nachricht ist aber: Wenn der Staat dazu beiträgt, dass Wirtschaft und Gesellschaft auf einen technologieoffenen Transformationspfad einschwenken, haben Regierung und Parlament die Bevölkerung an ihrer Seite.“
Technologie generiert Wohlstand
VDI-Präsident Prof. Dr. Lutz Eckstein sagt zu den Ergebnissen der Umfrage: „Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Befragten der großen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht, durchaus bewusst sind. Die Investitionen großer deutscher Unternehmen in anderen Wirtschaftsräumen wie zum Beispiel die USA oder China und die Verlagerung von Technologieentwicklung und Produktion ins Ausland sind ein klares Signal dafür, dass gleich mehrere Standortfaktoren in Deutschland nicht mehr stimmen.“ So sei die Energieversorgung mit Unsicherheiten behaftet, die Energiekosten seien um den Faktor 5 höher im Vergleich zu konkurrierenden Wirtschaftsräumen, der Fachkräftemangel nehme zu und die Genehmigungsprozesse seien in vielen Bereichen zu langwierig.
„Die repräsentative Befragung zeigt erfreulicherweise, dass die Bevölkerung erkannt hat, wie wichtig technologische Innovationen für unseren Wohlstand, aber auch für unsere Gesellschaft in Summe sind“, ergänzt Eckstein. „Und hier kommen wir Ingenieure und Ingenieurinnen ins Spiel – denn wir entwickeln die dringend notwendigen technischen Innovationen, die in vielfältigen Produkten und effizienten Prozessen und Produktionsverfahren münden.“
Herausforderungen bergen auch Chancen
„Uns muss aber auch bewusst sein, dass die aktuellen Herausforderungen globaler Natur sind und nicht mittels eines Sprints in wenigen Jahren, sondern über einen Zeitraum von Jahrzehnten zu lösen sind – vergleichbar mit einem Marathon, bei dem man fit an den Start gehen und sich die Kräfte gut einteilen sollte“, erklärt Eckstein. „Die Chance für unseren Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort liegt darin, die global notwendigen Technologien zur Erzeugung nachhaltiger Energieträger, zur Speicherung sowie zum Transport und schließlich zur Wandlung in Kraft und Wärme nicht nur zu entwickeln und zu produzieren, sondern auch dorthin zu exportieren, wo sie mindestens so notwendig sind wie hier in Deutschland.“
Zudem lasse sich in unserer Gesellschaft zunehmend eine polarisierende und bisweilen zu wenig faktenbasierte Diskussion beobachten, wie Eckstein darlegt. „Davon wollen wir wegkommen, indem wir ein positives Zielbild unseres Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts entwickeln und hinsichtlich der Wege, wie wir dort hinkommen, offen sind. Wir arbeiten mit alternativen Szenarien und lassen alle Technologien und Perspektiven zu – aber jeder der Lösungswege ist technisch fundiert und tragfähig. In dieser Rolle des ,unabhängigen strategischen Zukunftsgestalters‘ machen wir auch junge Menschen auf die gestalterische Aufgabe der vielfältigen Ingenieursdisziplinen aufmerksam und laden dazu ein, diesen zukunftsprägenden Beruf zu ergreifen.“