Der Startschuss, ein geeignetes Manufacturing Execution System (MES) zu finden, fiel bereits in 2016, zu der Zeit war das Unternehmen eine Produktdivision und Marke von Abb. Dies fügte sich in das weitaus größere Vorhaben ein, die Digitalisierung voranzutreiben, die vorhandene IT-Landschaft zu harmonisieren und die Prozesse zu standardisieren.
„Es gab viele Systeme, die über die Fertigung verteilt waren. Unser Ziel war es, alles möglichst kompakt unter einen Schirm zu bringen. Außerdem haben wir ein System gesucht, mit dem wir Papier abschaffen können, das viele Aspekte des Daily Business im Rahmen des Fertigungsauftrags abdeckt und mit dem wir die Fertigung standardisieren können“, fasst der verantwortliche MES-Projektleiter Francesco Silani die Motive zusammen.
Prozesse vergleichbar und transparent darstellen
David Andreatta, der die MES-Einführung von Beginn an als Mitglied des Steering Committee begleitet hat, ergänzt einen weiteren wichtigen Punkt: „Unser bisheriges Fertigungsplanungstool war End-of-Life, der Support war abgekündigt und das System musste ersetzt werden.“
Hinzu kam die Forderung des Managements, die Grundlagen zu schaffen, um wichtige Fertigungskennzahlen wie die Overall Equipment Effectiveness (OEE) über unterschiedliche Prozesse vergleichbar und transparent darstellen zu können. 2018 nahm das Projekt Fahrt auf und nach einer Auswahlphase, in der etwa 30 Mitbewerber nach einem detaillierten Kriterienkatalog bewertet wurden, folgte die Entscheidung.
MES Hydra landete auf der Shortlist und machte schließlich das Rennen. „Hydra konnte unsere Kriterien als Unternehmen in der diskreten Fertigung mit Stückzahl 1 genauso wie in einer Produktion mit Losgrößen von mehreren hundert Stück optimal abdecken - und alle Annahmen, die wir vorab getroffen haben, haben sich in der Umsetzung bestätigt“, so Andreatta weiter
Das ist MES Hydra konkret
Besonders die Modularität des Systems hebt er hervor: „Das hat uns einerseits geholfen, das Projekt sehr agil abzuwickeln, andererseits ermöglicht es uns, nur das zu nutzen, was wir wirklich brauchen.“ Auf die Entscheidung folgte eine Designphase und schließlich der etwa zweijährige Roll-out. Seit Herbst 2023 läuft Hydra nun in allen Divisionen im Produktivbetrieb.
Doch die ersten Erfolge zeigten sich schon früher. „Die millimeterdicken Papierheftchen, die noch vor einem Jahr über die ganze Fertigung verteilt waren, sind jetzt weg. Diese Heftchen wurden am Anfang eines Auftrags vom Teamleiter gedruckt, manuell ausgefüllt, gestempelt, eingescannt und schließlich archiviert“, fasst Silani zusammen.
Das alles sei weggefallen. Heute sei der Prozess digital, der Teamleiter initiiert einen Fertigungsauftrag, der Bediener sieht ihn am Terminal und am Ende gibt es eine PDF-Laufkarte. „Ein Knopfdruck und alles ist erledigt. Pro Teamleiter sparen wir so je nach Fall bis zu geschätzt einer halben Stunde am Tag.“
Deutlich weniger Fehler bei den Seriennummern
Auch ein weiteres Beispiel verdeutlicht den Nutzen von MES Hydra: Seitdem die Software im Einsatz ist, macht Accelleron bedeutend weniger Seriennummernfehler, die potenziell Kundenbeschwerden nach sich ziehen. Laut Andreatta ist es bis dahin immer wieder vorgekommen, dass beim Kunden etwas falsch angeliefert wurde, was gravierende Auswirkungen haben kann.
Silani ergänzt: „Durch Hydra merken wir sofort in der Fertigung, dass etwas nicht stimmt, weil der Bediener etwas nicht scannen kann. In den ersten sechs Monaten nach Einführung der MPL konnten wir allein in einer Abteilung zehn solcher Fehler verhindern.“
Auch die Werkerführung ist ein großer Gewinn für Accelleron. „Das System kann so begleitend gestaltet werden, dass man Mitarbeiter flexibel in den unterschiedlichen Abteilungen einsetzen kann, ohne dass sie langwierig eingelernt werden müssen“, freut sich Silani.
Alles in allem habe die Produktion dank Hydra enorm an Transparenz gewonnen und man habe dadurch Ineffizienzen erkannt, die sich nun im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung schnell beseitigen lassen können. Doch der faszinierendste Aspekt ist für Silani, dass das Unternehmen einen übergreifenden Standard eingeführt und mit MES Hydra die Möglichkeit geschaffen hat, Optimierungen sofort auf 17 Bereiche zu skalieren und in dem Umfang auch sofort auf Probleme reagieren kann.
Ohne Herausforderungen gibt es kein Projekt
Kein Projekt ohne Unwägbarkeiten: Kurz nach dem offiziellen Startschuss kam der Corona-Lockdown. Anstatt sich in regelmäßigen Terminen vor Ort abzustimmen, musste das Projekt von heute auf morgen remote weitergeführt werden. Doch da bereits zu Beginn des Projekts ein intensiver und fruchtbarer Teambildungsprozess stattgefunden hatte, war ein reibungsloser Übergang möglich.
Zu den weiteren Herausforderungen zählte eine große Systemmigration, die zeitgleich zum MES-Projekt lief. Diese verhinderte bisweilen, dass manche Themen wie ursprünglich geplant vorangetrieben werden konnten. Für Accelleron war immer von oberster Priorität, dass insbesondere die sensiblen Bereiche wie die Montagelinien perfekt funktionierten.
Laut Silani hat sich das Team im Rahmen des Projekts außerdem die Stammdaten sehr genau angeschaut und eine gewaltige Aufräumaktion gestartet. „Wir haben aus all den unterschiedlichen Excels mit all den unterschiedlichen Prüfmerkmalen, die über mehr als 20 Jahre gewachsen waren, Standards geschaffen, ins SAP gebracht und eine Schnittstelle eingeführt“, erinnert er sich.
Das perfekte Zusammenspiel
Das kostete Zeit und verlangsamte das Projekt ebenso wie die Tatsache, dass IT und Projektteam mehrere Divisionen bedienen, die ihre Prozesse unterschiedlich leben. Andreatta konkretisiert: „Wir mussten intern mit diversen Stakeholdern diskutieren und Überzeugungsarbeit leisten, dass erst die Daten glattgezogen werden müssen, bevor wir die MES-Module aktivieren können.“
Ein weiteres großes Thema war, dass Accelleron beträchtliche Komplexitätssprünge im MES-Standard schaffen wollte. Denn von einfachen Rückmeldungen an Maschinen bis zu Montagelinien, an denen alles perfekt zusammenspielt, sollte alles darin abgebildet werden.
Wie wichtig auch hier der Blick fürs Detail ist, weiß Silani: „Es muss alles optimal abgebildet sein, da schon ein kleiner Fehler im digitalen Zwilling große Mehraufwände bedeuten kann. Eine einzige Einstellungsänderung wirkt sich schnell auf 50 Maschinen aus - deshalb muss wirklich alles passen und jeder Schritt gut durchdacht sein.“
Der Weg zum Erfolg
Accelleron hat durchweg hohe Ansprüche - nicht nur bei der Produktqualität, sondern über alle Unternehmensbereiche hinweg. Um den kundenindividuellen Nachfragen gerecht zu werden, produziert das Unternehmen auf vielerlei Maschinen und hat zahlreiche Prozesse definiert.
„Wir verwenden in der Fertigung nicht nur Drehmaschinen, wir haben eine enorm differenzierte Palette und dementsprechend viele Arbeitsweisen. Daher haben wir MES Hydra in einer Eins-zu-eins-Betreuung eingeführt. Wir haben die Bildschirme hingestellt, das AIP hochgefahren und sind gemeinsam mit den Bedienern jeden Schritt durchgegangen“, erklärt Silani.
Das MES-Team habe sich agil angepasst und versucht, schnell zu erkennen, was den Bediener bei seiner Arbeit stört. Schließlich sei er der Kunde Nummer eins des MES-Projekts und „nur wenn der Bediener happy ist, benutzt er das System auch“.
Manuelle Tätigkeiten werden abgeschafft
Zu den weiteren Erfolgsfaktoren zählte laut Andreatta eine Kommunikation auf Augenhöhe mit allen Projektbeteiligten: „Es gibt große Unterschiede zwischen Shopfloor und IT, also brauchte es jemanden, der die Anforderungen aus dem Shopfloor in IT-Sprache formuliert. Wir haben dafür ein Team geformt, das die Brücke zwischen den beiden Bereichen schlägt.“
Das Team Value Chain Digitalization habe diese Translator-Rolle so gut ausgefüllt, dass eine hohe Akzeptanz bei den Kollegen auf dem Shopfloor erreicht wurde. „Wir haben eine große Umfrage zum MES gestartet, die zeigt, dass die Bediener das System gerne nutzen und sich freuen, dass manuelle Tätigkeiten wie das Ausfüllen von Papier abgeschafft wurden. In fast allen Abteilungen hat das MES gut oder sehr gut abgeschnitten“, legt Silani dar.
Dort, wo er und sein Team Optimierungspotenziale erkannt haben, ist man mit den Beteiligten ins Gespräch gegangen und hat erörtert, wie es besser geht. Es zeigt sich, wie eng der Erfolg des Projekts an das gute Changemanagement geknüpft ist.
Dafür habe man täglich mit den Teamleitern zusammengearbeitet. „Es ist wahnsinnig wichtig, neben dem Management auch die Teamleiter und Key Player in der Fertigung hinter sich zu haben. Wenn es an einem Tag mal hakt, erinnern diese ihr Team an die langfristigen Verbesserungen und motivieren sie, weiterzumachen“, so Silani.
Ein Ausblick für die Zukunft
Schon jetzt seien sich die Abteilungen der vielen Möglichkeiten bewusst und hätten erkannt, welchen großen Nutzen und welche Einsparpotenziale MES Hydra mit sich bringt. Vor allem die beiden Continuous Improvement Divisionen tragen ihre Ideen an das Team Value Chain Digitalization heran, mit denen sich laut Silani von kleinen bis großen schnell skalierbare Quick wins erzielen lassen.
2024 wolle man sich diesen und weiteren Systemoptimierungen widmen. Viele der Anpassungen übernimmt Accelleron selbst. Das Wissen dazu hat das Unternehmen während der vergangenen Jahre intern aufgebaut. Eigene Mitarbeitende haben dafür das Zertifizierungsprogramm von MPDV durchlaufen.
Für Andreatta ist Hydra MES auch aus IT-Sicht ein großer Gewinn - und wird es langfristig bleiben. „Wir haben eine Plattform eingeführt, die es uns ermöglicht, den Enterprise-Layer mit dem ERP vom Manufacturing-Bereich zu entkoppeln. Mit dem MES-Layer, in dem wir die transaktionalen Themen abbilden, werden wir der immer höheren Verfügbarkeit der Fabrik gerecht. Wir können so Downtimes verringern, in denen SAP aufgrund von Wartungszyklen nicht zur Verfügung steht“, erläutert er den Vorteil. Smart Factory live erleben kann man auch live erleben, in den Best Practice Workshops.