Robotergestützte Chirurgie Medizinische Roboter am Skalpell

TÜV SÜD

Chirurgische Roboter halten auch über lange Zeiträume eine stabile Position und arbeiten hochpräzise.

Bild: iStock, gorodenkoff
14.06.2024

Künstliche Intelligenz ist ein präzises Werkzeug im Operationssaal, ihre technischen Möglichkeiten sind vielfältig. Zugleich erwachsen aus ihrem Einsatz neue Aufgabenfelder für das medizinische Personal. Damit der Kollege Roboter seine Vorteile im Operationssaal richtig ausspielen kann, müssen Hersteller und Betreiber einiges beachten. TÜV Süd prüft und zertifiziert medizinische Roboter und informiert über den rechtlichen Rahmen

Sponsored Content

Chirurgen sind Menschen und Menschen ermüden. Ihre Konzentration ist beschränkt und die Präzision ihrer Bewegungen schwankt. Roboter hingegen atmen nicht, sie halten dieselbe Position theoretisch unbegrenzt und führen Aufgaben mit höchster Wiederholgenauigkeit aus, ohne sich ablenken zu lassen. Dadurch sind sie längst zu unverzichtbaren Assistenten in Operationssälen geworden. Ihre Rolle geht inzwischen weit darüber hinaus, menschliche Handlungen 1:1 nachzuahmen. So führen sie Bewegungen aus, die für Menschen gar nicht möglich sind, etwa millimetergenaue Schnitte in der Neurochirurgie. Weitere Einsatzfelder sind orthopädische Eingriffe an der Wirbelsäule oder Tumorbehandlungen an inneren Organen.

Roboter erleichtern auch minimalinvasive Eingriffe: Sie verkürzen die Operationszeit und den gesamten Klinikaufenthalt, weil kleinere Wunden weniger bluten und die Heilung schneller und weniger schmerzhaft erfolgt. Hochauflösende Kameras, die das Bild des Operationsfeldes beliebig vergrößern, erlauben dem Operateur, die Werkzeuge am Roboter ergonomisch über eine Konsole zu steuern. So ist es möglich, den Bewegungsradius umzurechnen, also einen Zentimeter der Joystickbewegung in Millimeter des tatsächlichen Schnittes umzusetzen.

Technische Voraussetzungen

Die Präzision derartiger Anwendungen ist eng verknüpft mit der Rechenleistung aller Systeme und der zugehörigen Vernetzung. Interoperable Systeme steigern die Effizienz und unterstützen die Entscheidungsfindung im OP, aber auch im gesamten Klinikalltag. Diagnosedaten können während des Eingriffs in Echtzeit aktualisiert werden und so die Behandlung, aber auch die Nachsorge verbessern. Gleichzeitig muss mechanisch sichergestellt sein, dass die Befehle der Steuerung wie gewünscht umgesetzt werden. So erlauben etwa niedrige Motordrehzahlen kontrollierte Bewegungen auch mit kleinen Radien.

Besonders wichtig ist hierbei, dass die Informationen zwischen Mensch und Maschine reibungslos fließen. Die Schnittstellen müssen nicht nur genau definiert und sauber programmiert sein, sondern auch extrem benutzerfreundlich gestaltet.

Assistenz auch aus der Ferne

Das Szenario, bei dem der Chirurg nicht mehr direkt am Patienten steht, sondern mittelbar über den Roboter operiert, lässt sich noch weiterdenken. Die Telechirurgie ermöglicht es prinzipiell, von überall den Roboter anzusteuern. Während der Arzt an einem simulierten System operiert – ähnlich dem Digitalen Zwilling des Maschinenbaus – und die Daten an den Roboter im OP überträgt, führt dieser die Bewegungen identisch aus.

Dabei findet eine echte Interaktion statt: Der Roboter übermittelt Informationen wie Hautwiderstände oder Gewebebeschaffenheit. Hat der menschliche Operateur ein haptisches Interface, passt er darüber die Kraft an, mit der der Roboter das Skalpell führt. Sensoren erfassen die Situation, und menschliche Erfahrung und Intuition entscheiden über die Handlungen. Voraussetzung für diese Operationsweise ist, dass die Datenübertragung in Echtzeit und so sicher wie möglich erfolgt. Der Ausbau der 5G-Funknetze wird hier eine wichtige Rolle spielen. Vorteile bringt die Telechirurgie etwa in entlegenen Regionen oder für die Zusammenarbeit internationaler Expertenteams.

Vor unvertretbaren Risiken schützen

Derzeit müssen sich Hersteller und Nutzer medizinischer Roboter mit zwei Regelwerken befassen. Übergeordnet gilt die Europäische Medizinprodukteverordnung (MDR), die die Marktzulassung regelt und Anforderungen an die Sicherheit enthält. Dazu befasst sich die internationale Norm für Geräte und Systeme zur roboterunterstützten Chirurgie IEC 80601-2-77 explizit mit Robotern für invasive Eingriffe. Sie beschreibt unvertretbare Risiken aus dem Zusammenspiel von Mensch und Roboter in der Chirurgie. Wird die Kamera des Roboters zum Beispiel verdeckt, ist er dadurch nicht arbeitsfähig, und es muss ein sofortiger sogenannter „Protective Stop“ erfolgen: Alle Instrumente verharren in der momentanen Position. Im Unterschied dazu bedeutet der Not-Stopp bei medizinischen oder technischen Komplikationen ein Abschalten des Systems.

Wenn der Roboter die Befehle des Menschen nicht korrekt ausführt, also eine Bewegung in die falsche Richtung oder mit einer unangemessenen Geschwindigkeit umsetzt, entsteht ebenfalls ein unvertretbares Risiko. Noch weitreichender sind die Auswirkungen, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen. Sind mehrere Bewegungsbahnen möglich, um eine bestimmte Achsenstellung zu erreichen, droht ein Stillstand des Systems. Das kann passieren, wenn zwei Achsen fluchten und der Roboterarm deshalb blockiert. Die Steuerung ist außerstande zu entscheiden, welche Bewegung umgesetzt werden muss. Dieser Zustand wird als technologische Singularität bezeichnet und im Zusammenhang mit der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz häufig diskutiert.
Um das Wohl des Patienten nicht zu gefährden, ist die Kompetenz des Bedieners gefragt, eine falsche Bewegung zu erkennen und sofort zu reagieren. Deshalb muss das gesamte Personal über die medizinischen Kompetenzen hinaus umfassend im Umgang mit der Technologie geschult werden. Nur so kann sie sicher betrieben und ihre Vorteile können ausgeschöpft werden. Je nach Hersteller muss ein Chirurg bis zu 250 Schulungen absolvieren, bevor er den Roboter im OP einsetzen darf.

Künstliche Assistenz sicher nutzen

TÜV Süd testet Medizinprodukte nicht nur hinsichtlich ihrer sicheren Funktion von Mechanik und Software, sondern auch in Bezug auf ihre Ergonomie. Umfangreiche Schulungen zu den geltenden Normen und den daraus entstehenden Pflichten für Hersteller und Betreiber von Chirurgierobotern schaffen Sicherheit. In Prüflaboren hilft ein Early Bird Assessment schon während der Entwicklung, Fehler zu erkennen und zu analysieren. Simulationen von schwierigen Umweltbedingungen fließen bereits im Labor in die Programmierung der Roboter ein. Damit werden die Einsatzmöglichkeiten nicht nur ständig größer, sondern auch immer sicherer.

Fazit

Ob Roboter bei chirurgischen Eingriffen eingesetzt werden oder nicht, entscheidet der Operateur von Fall zu Fall. Die intelligenten OP-Helfer erleichtern viele Abläufe und haben der menschlichen Hand einiges voraus. Sie brauchen jedoch kompetente Bediener, damit ihr Betrieb sicher ist und die Behandlung bestmöglich unterstützt. Die fortschreitende Entwicklung der Künstlichen Intelligenz fordert alle Marktteilnehmer heraus und wird insbesondere die Erwartungen an das Risikomanagement und die Cybersicherheit weiter erhöhen.

Bildergalerie

  • Über die Schnittstelle steuert der Chirurg die Roboterarme. Er profitiert von der ergonomischen Freiheit und kann länger konzentriert arbeiten.

    Über die Schnittstelle steuert der Chirurg die Roboterarme. Er profitiert von der ergonomischen Freiheit und kann länger konzentriert arbeiten.

    Bild: iStock, Georgiy Datsenko

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel