Erneuerbare Energien, grüner Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft, CO2-Abscheidung und Speicherung (CCUS), Emissionszertifikate: Die Möglichkeiten eines Industrieunternehmens, seine Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren, sind vielfältig. Viele dieser Möglichkeiten sind aber mit großen Unsicherheiten und zum Teil hohen Investitionen verbunden. Aus dem Blickfeld gerät dabei die naheliegendste, einfachste und in aller Regel auch kostengünstigste Alternative: Industrieanlagen energieeffizienter zu machen. Denn Energie, die nicht zum Einsatz kommt, lässt weder Emissionen noch Kosten entstehen. Und Maßnahmen zur Energieeffizienz sind in aller Regel schneller und mit geringeren Auswirkungen auf die bestehende Infrastruktur der Prozessindustrie umzusetzen als etwa eine Umstellung ganzer Produktionsstränge auf umweltfreundlichere zirkulare Herstellungsverfahren.
Warum aber ist das Thema Energieeffizienz in der öffentlichen Aufmerksamkeit noch nicht so präsent? Warum wird es in der Prozessindustrie beim Ziel, klimaneutral zu werden, noch selten diskutiert? Und wieso zögern viele Anlagenbetreiber, noch stärker in die Energieeffizienz ihrer Anlagen zu investieren?
Mehr Energieeffizienz wagen
Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen gibt es nicht, aber mehrere plausible Gründe. So beobachten wir bei Bilfinger als Energieeffizienz-Berater und -Ingenieure häufig, dass Anlagenbetreiber das Thema Energieeffizienz schlichtweg aus den Augen verloren haben. Sie fokussieren sich auf ihr Kerngeschäft, die Herstellung und Produktentwicklung, und widmen den Möglichkeiten der Energieeffizienz zu wenig Aufmerksamkeit und Zeit. Darüber hinaus richten sie ihr Augenmerk für Nachhaltigkeit weiter in die Zukunft und auf in Medien intensiv diskutierte Technologien – wie Wind- und Solarenergie, Wasserstofftechnologie, CCUS und vieles mehr.
Viele Anlagenbetreiber sind außerdem davon überzeugt, dass ihre Anlagen schon sehr energieeffizient seien und sie die Potenziale der Energieeffizienz auf dem Weg zur Klimaneutralität bereits ausgeschöpft hätten. In unserer Erfahrung besteht jedoch häufig noch Optimierungspotenzial, das sich mit relativ einfachen Mitteln in kurzer Zeit heben lässt. Hierzu gehören unter anderem Quick-Wins wie Wärmedämmung, Kondensatverluste und Sollwertoptimierung, Effiziente elektrische Motorantriebe für Pumpen, Lüfter und Kompressoren, Abwärmenutzung entweder direkt oder mittels Wärmepumpen, Rauchgaswärmerückgewinnung, mechanische Dampfverdichtung, Wärmetransformation und Wärmespeicherung, IT: erweiterte Prozesssteuerung und Energiemanagement-Analyse und Leistungsflexibilität bei Hybridkesseln und Energie-zu-X-Lösungen.
Maßgeschneiderte Lösungen
Als Argument wird häufig auch vorgebracht, dass die Anlagen so individuell und besonders seien, dass gängige Maßnahmen zur Energieeffizienz nicht den gewünschten Erfolg erzielen könnten. Darüber hinaus heißt es: Investitionen in die Energieeffizienz – so die landläufige Meinung – rechnen sich häufig erst nach fünf bis zehn Jahren. Dabei sind die Potenziale der Energieeffizienz für die meisten Industrieunternehmen nach wie vor hoch. Jedes Jahr ergeben sich durch innovative beziehungsweise weiterentwickelte Produkte, Prozesse und Technologien neue Möglichkeiten, Energie noch effizienter einzusetzen. Den meisten Industrieunternehmen sind diese Neuerungen aber nicht bekannt, da es auch nicht zu ihren Kernaktivitäten gehört, kontinuierlich und systematisch den Markt nach Energieeinsparmöglichkeiten zu analysieren.
Helfen können hierbei nur Unternehmen, die – wie Bilfinger – auf derartige Fragestellungen spezialisiert sind, über Erfahrungen beim Einsatz innovativer Energieeffizienzmaßnahmen verfügen und gemeinsam mit dem Anlagenbetreiber individuelle Lösungen erarbeiten können.
Unsere Erfahrungen aus hunderten Energieeffizienz-Projekten in den vergangenen Jahren zeigen, dass es in nahezu jeder Industrieanlage Energieeinspar-Potenziale gibt. Und daher greifen wir auch auf zahlreiche unterschiedliche Verfahren zur Ermittlung von Energieeffizienzpotenzialen zurück. Ein Beispiel hierfür ist das TIPCheck-Verfahren, das Bilfinger mitentwickelt hat: Der „Technical Insulation Performance Check“ zeigt Schwachstellen und ungenutztes Potenzial bei der Isolierung beziehungsweise bei unisolierten Bauteilen auf. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise „Hot-Spots“ ermitteln, an denen Wärme ungenutzt verloren geht. Mit TIPCheck lassen sich diese Energieeinsparpotenziale einfach und schnell ermitteln sowie realisieren.
Ein weiteres Beispiel ist die Pinch-Analyse, die bei Bilfinger mit einer selbst überarbeiteten Software zum Einsatz kommt. Die Analyse wertet die Kälte- und Wärmeströme eines Prozesses aus und liefert so Hinweise für einen optimalen Wärmeaustausch zwischen den Prozessströmen, um zu einem möglichst geringen Wärmeeintrag und höchster Effizienz zu kommen. Zusammen mit unserem strukturierten Bilfinger B(IDEA)-Ansatz (Be Ready, Identification, Development, Execution und Assure) kann eine Implementierung realisiert werden. Das Potenzial der Abwärmenutzung in Kombination mit Speicherung und Umwandlung durch den Einsatz so genannter Smart Grids ist hoch: bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionsreduktionsziele bis 2030 können erreicht werden.
Digitalisierung als Treiber
Neue Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz ergeben sich nicht zuletzt aus der fortschreitenden Digitalisierung. Je stärker die Anlage digitalisiert ist, desto größere Hebel bestehen im Allgemeinen, um Energieeffizienzpotenziale zu nutzen. Denn der große Vorteil der Digitalisierung liegt nicht nur in einer smarten Versorgung und Verteilung von Energie, sondern insbesondere in der Analyse und im Monitoring von Energieströmen. Werden möglichst viele Engineering- und Betriebsdaten erhoben, intelligent miteinander verknüpft und ausgewertet, lassen sich Optimierungsmöglichkeiten schnell und effizient finden und umsetzen. Dies leistet beispielsweise die von Bilfinger entwickelte Plattform BCAP (Bilfinger Connected Asset Performance). Erfahrungen zeigen, dass mit der Einführung von BCAP bereits nach kurzer Zeit Energieeinsparungen im zweistelligen Prozentbereich erreicht werden können.
Die Möglichkeiten, Energie noch sehr viel effizienter einzusetzen und so CO2-Emissionen zu vermeiden, sind dabei längst noch nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil: Die hohe Sensibilität gegenüber umweltschädlichen Emissionen und die immer anspruchsvolleren Nachhaltigkeitsgesetze und -verordnungen werden auch in den kommenden Jahren zu wachsenden Bemühungen führen, um die Energieeffizienz von Industrieanlagen noch weiter zu steigern. Energieeffizienz allein kann natürlich keine Klimaneutralität herstellen. Sie ist jedoch ein gewaltiger Hebel, um dieses Ziel zu erreichen.