Herr Bittner, welche Herausforderungen sehen Sie für die Energiebranche?
Ingo Bittner: Energieversorger stehen aktuell einerseits vor der Herausforderung, neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Gleichzeitig gibt es einen stärker werdenden Druck, die angestammten Geschäftsmodelle unter den Vorgaben neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen zu optimieren. Eine deutlich erkennbare Tendenz ist es zum Beispiel, Arbeiten in Massenprozessen wie der Turnusablesung und dem Turnuswechsel von Zählern nicht mehr mit der eigenen Mannschaft zu erledigen, sondern an Dienstleister zu vergeben. Und natürlich erhofft man sich auch von den Softwaretools für Workforce-Management, aber auch für den Zählerwechsel einen wichtigen Beitrag zu mehr Effizienz - aber auch Unterstützung für die neuen Geschäftsprozesse.
Treibt immer noch die Liberalisierung diese Entwicklung?
Ja, weil sie die finanziellen Spielräume der Energieversorger einengt. Wer profitabel bleiben will, muss sich stärker als bisher um die Kosten kümmern. Da die Netzentgelte limitiert sind, liegt der Fokus auf dem Rationalisieren.
Was für Potenzial hat das Smart Metering?
Der normale Haushaltskunde sieht heute für sich keine nennenswerten Vorteile, wenn er mit Viertelstundenwerten zu seinem Stromverbrauch versorgt wird. Deshalb will er für eine solche Leistung auch keinen höheren Strompreis bezahlen. Ich sehe zurzeit noch keine konkreten Geschäftsmodelle, mit denen sich das beim Haushaltskunden ändern könnte.
Wie könnte Smart Metering attraktiver werden?
Es muss greifbare Vorteile bringen. Zum Beispiel können Smart Meter Daten zur Netzqualität im Niederspannungsbereich liefern. Mit der rasant wachsenden Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie werden sie immer wertvoller und leisten einen wichtigen Beitrag für Smart Grids.
Wo ist der anfängliche Schwung beim Smart Metering geblieben?
Wir hatten vor anderthalb Jahren mit Kunden Szenarien abgesprochen, die in die Tausender-Stückzahlen gingen. Dann ist das Thema Datensicherheit immer brisanter geworden und die Diskussionen um das BSI-Schutzprofil begannen. Dadurch hat sich alles noch einmal um einige Jahre nach hinten verschoben und auch die Kosten werden durch diese neuen Rahmenbedingungen weiter steigen.
Wann rechnen Sie mit dem Durchbruch?
Erst mal gar nicht, aber ich rechne mit einem kontinuierlichen Anstieg ab 2016. In den letzten Jahren haben wir viele Pilotprojekte gemacht, die sich gut angefühlt haben. Wir konnten dabei die für Smart Metering benötigten neuen Technologien weiterentwickeln und ausgiebig testen. Und wir haben auch heute schon hochinteressante Projekte, die aus dem Pilotstadium herausgekommen sind.
Was kann man aus ihnen lernen?
Es haben sich Potenziale für die Erweiterung der EVU-Geschäftsmodelle gezeigt, wenn man dort hingeht, wo so viel Strom verbraucht wird, dass sich Optimierungen lohnen. Das beginnt ganz sicher bei einem Bezug jenseits der 50 000 kWh/Jahr, also zum Beispiel bei Handelsunternehmen mit einer größeren Zahl an Filialen, beim Gewerbe und in der Kleinindustrie. Für diese Unternehmen ist ein Energiemanagement-Angebot auf Smart-Metering-Basis eine runde Sache: Den zusätzlichen Kosten stehen nennenswerte Einsparungen gegenüber mit Payback-Zeiten, die durchaus attraktiv sind. Bei unter 10 000 kWh frage ich mich dagegen, wie sich die potenziellen Einsparungen rechnen sollen.
Wie geht das im Einzelnen?
In Filialen zum Beispiel werden Smart Meter eingebaut, die täglich 96 Stundenwerte zu einem zentralen Datenbank-Server liefern. Über ein webbasiertes Portal lassen sich die Filialisten ihre Verbräuche anzeigen, fahren Auswertungen und testen Einsparszenarien. Mit Hilfe von Submetering kann man die Ergebnisse weiter optimieren: Unter der Hauptmessung werden zusätzlich Messgeräte eingebaut, mit deren Daten sich sehr deutlich herauskristallisiert, wo die Einsparpotenziale liegen
Und wer bezahlt für welche Leistung?
Der Filialist bezahlt für die Messdienstleistung und für die Informationsbereitstellung. Diese Rechnung lohnt sich für ihn, weil hier viel mehr Kosten eingespart werden können als beim Energieeinkauf, wo sich die Preise der Versorger immer mehr annähern. An diesem Punkt setzen auch die Vorteile für den Energieversorger an: Das neue Geschäftsmodell festigt die Position als Lieferant und liefert ein Produkt, das wirtschaftlich interessant ist.
Warum gehen viele Firmen erst jetzt ihre Hausaufgaben bei den Energiekosten an?
Mit dem Anstieg der Preise ist die Energie in den letzten Jahren zu einem nennenswerten Kostenfaktor geworden. Optimierungen beim Energieverbrauch lohnen sich inzwischen auch für Handel und Gewerbe. Damit setzt dort eine Denkweise ein, wie sie in der energieintensiven Industrie schon seit vielen Jahren üblich ist und die wir sehr genau kennen. Bittner+Krull hat in seinen Anfängen IT-Lösungen für die Industrie entwickelt, die halfen, Lastspitzen zu vermeiden und den Verbrauch zu reduzieren.
Braucht man Spezialfirmen, um solche Potenziale zu heben?
Es braucht zumindest viel Ingenieurs-Know-how, um den gesamten Prozess abdecken zu können. Man muss die Messdaten erfassen, sie transportieren, aufbereiten und auswerten können. Die Prozesse werden noch komplexer, wenn Handel und Industrie ihr Verbrauchsverhalten zukünftig an der Einspeisung von regenerativen Energien ausrichten und wir lastvariable Tarife bekommen.
Wo sehen Sie Potenziale im Hinblick auf die Energiewende?
Im vermehrten Einsatz von BHKW. Indem man diese vielen kleinen Kraftwerke zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenschaltet und sie auch als Puffer im Kontext der regenerativen Energieerzeugung nutzt. Allerdings ist die Software zur Steuerung eines solchen Szenarios ziemlich komplex, weil viele Parameter zu optimieren sind. Zurzeit sind wir mit einem Partner dabei, eine Lösung für dieses Thema zu entwickeln. Das ist wirklich eine spannende Herausforderung. Ich denke, dass solche und ähnliche Projekte dem Kerngedanken der Energiewende ganz nahe sind.