Anregung von Heliumkernen Neues Elektronenstreuexperiment wirft Fragen zu Kernkräften auf

Monopol-Übergangs-Formfaktor als Funktion des Impulsübertrags Q2: neue MAMI-Daten (blau) im Vergleich zu einer Vorhersage aus chiraler effektiver Feldtheorie (rot)

Bild: A1-Kollaboration
21.04.2023

Am Mainzer Teilchenbeschleuniger MAMI ist es gelungen, einen Heliumatomkern mit bisher unerreichter Genauigkeit zu vermessen. Ein Vergleich mit Berechnungen aus der zugehörigen Niederenergie-Theorie zeigt, dass diese die Anregung nach aktuellem Verständnis von Kernkraft nicht korrekt beschreibt. Die Forscher stehen vor einem Rätsel.

Die Eigenschaften von Atomkernen wie Größe oder Bindungsenergie werden maßgeblich von den Kernwechselwirkungen zwischen den Protonen und Neutronen innerhalb des Kerns bestimmt. Diese Wechselwirkungen lassen sich einerseits phänomenologisch beschreiben, andererseits können sie mittels moderner Ansätze systematisch berechnet werden. Dabei verspricht insbesondere die sogenannte chirale effektive Feldtheorie großes Potenzial.

Je größer der Kern ist, desto komplizierter werden die Rechnungen, weshalb sich naturgemäß kleinere Kerne anbieten, um verschiedene Aspekte der Theorie herauszuarbeiten und mittels experimenteller Daten zu überprüfen. Der Atomkern eines 4He-Atoms, auch als α-Teilchen bezeichnet, besteht aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Aufgrund der geringen Anzahl von Bestandteilen eignet er sich sehr gut für solche systematischen Untersuchungen und ist einer der am umfassendsten untersuchten Atomkerne.

Am Mainzer Teilchenbeschleuniger MAMI hat die A1-Kollaboration im Rahmen der Doktorarbeit von Dr. Simon Kegel nun die Anregung eines α-Teilchens von seinem Grundzustand in den ersten angeregten Zustand untersucht. Dazu wurde der sogenannte Monopol-Übergangs-Formfaktor in einem Elektronstreuexperiment bei kleinen Impulsüberträgen von den Elektronen auf den Kern vermessen. Ziel war es, die Daten mit der derzeit besten theoretischen Vorhersage zu vergleichen.

Inkonsistenz zwischen Daten und Theorie

Die nun extrahierten Formfaktoren aus Experiment und Theorie zeigen zwar einen ähnlichen Verlauf als Funktion des Impulsübertrags, weichen jedoch signifikant um etwa einen Faktor 2 voneinander ab. Die bisherigen Messungen hatten eine Diskrepanz zur Theorie bereits nahegelegt, die experimentellen Unsicherheiten waren aber zu groß, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Aufgrund der nun gesteigerten Präzision konnte die Mainzer Arbeitsgruppe aber folgern, dass die Anregung des α-Teilchens nicht mittels der aktuell verfügbaren Beschreibung von Kernkräften akkurat reproduziert werden kann.

„Das Experiment wurde mit herausragend guter Kontrolle der systematischen Unsicherheiten durchgeführt“, sagt Prof. Dr. Concettina Sfienti, korrespondierende Autorin der Veröffentlichung. Die Unstimmigkeiten mit den besten theoretischen Berechnungen seien somit „ein ernster Hinweis darauf, dass entweder ein wichtiges Element der Kernwechselwirkungen übersehen wird, das sich bei diesem Monopolübergang besonders deutlich zeigt, oder dass die Eigenschaften des ersten angeregten Zustands des α-Teilchens sehr stark von kleinsten Details der Kernkräfte abhängen“. Beide Möglichkeiten seien sehr interessant und inspirieren zu weiteren Studien.

Entschlüsselung des Rätsels

An dem gerade im Bau befindlichen Beschleuniger MESA auf dem Mainzer Campus bieten sich Möglichkeiten zu solchen experimentellen Folgeuntersuchungen. Im energierückgewinnenden Modus von MESA wird ein Elektronenstrahl mit hoher Strahlintensität bereitgestellt, der am MAGIX-Experiment mit einem Gas-Jet-Target zur Kollision gebracht wird. Die gestreuten Teilchen können mittels Magnetspektrometern nachgewiesen werden, die für niedrige Energien optimiert sind. Dies erlaubt Messungen bei noch kleineren Impulsüberträgen als bei A1.

Auch von theoretischer Seite her soll Licht ins Dunkel des Niederenergie-Rätsels kommen. So sollen die Berechnungen des Übergangs-Formfaktors in der Gruppe von Prof. Dr. Sonia Bacca, ebenfalls von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, im Rahmen chiraler effektiver Feldtheorie systematisch verbessert und im Detail studiert werden.

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