Als Physikgrößen wie Werner Heisenberg oder Erwin Schrödinger vor etwa 100 Jahren die moderne Quantenmechanik aus der Taufe hoben und damit bis dato als selbstverständlich geglaubte physikalische Gesetzmäßigkeiten in Frage stellten, ging nicht nur ein Ruck durch die Welt der Physik, sondern durch die gesamte Gesellschaft. Bis die ersten Produkte und Technologien auf den Markt kamen, die auf neuen Erkenntnissen der Quantentechnologie basierten, sollte es aber noch dauern.
Heute erleben wir in Deutschland den Beginn einer neuen Blütezeit der Quantentechnologie. Die Grundlagenforschung zu Bereichen wie Quantencomputing oder Quantensensorik wird von Universitäten und Forschungsinstituten ebenso wie von Unternehmen vorangetrieben. Auf der anderen Seite berichten letztere in einer aktuellen Bitkom-Studie, dass noch unausgereifte Technologie, fehlende praktische Anwendungsbereiche sowie ein unklarer wirtschaftlicher Nutzen Hürden darstellen, um in Quantentechnologie zu investieren. In diesem Sinne steht das Land gerade an einem Scheideweg: Von den heute getroffenen Investitionsentscheidungen hängt ab, ob sich die neue Technologie in Deutschland etablieren kann, oder ob andere Länder eine unantastbare Monopolstellung aufbauen werden.
Gute Voraussetzungen in Deutschland
Die Forschung zu Quantentechnologien in Deutschland ist exzellent und wird durch einige Initiativen gefördert. Gerade erst wurde in Frankfurt an der Oder ein Joint Lab für die Forschung an Halbleiterbasierten Quantencomputing eröffnet und ist nur ein Beispiel einer lebendigen Forschungskultur mit dem Schwerpunkt Quantentechnologie. Unternehmen investieren ebenfalls in Quantentechnologie-Forschung aus Deutschland. So hat IBM Anfang Oktober sein erstes Quanten-Data-Center außerhalb der USA in Stuttgart eröffnet und bietet so die Möglichkeit, den neuesten IBM-Heron-Quantencomputer zu nutzen und von seiner enormen Leistung und Geschwindigkeit zu profitieren.
Neuartige auf Quantentechnologie beruhende Produkte wie Flashspeicher und MRT sind bereits auf dem Markt erhältlich und haben sich etabliert. Neue, noch komplexere Produkte wie etwa Quantensensoren sind gerade dabei, den Markt zu erobern. Zwar schätzen Experten oft, dass es noch etwa zehn Jahre dauern wird, bis diese am Markt etabliert werden, jedoch haben erste deutsche Unternehmen bereits bemerkenswerte marktreife Produkte und Lösungen vorgestellt.
So vertreibt Reichelt Elektronik beispielsweise schon einen der ersten industrietauglichen Quantensensoren der jungen Leipziger Firma Quantum Technologies. Das Produkt bietet zwei entscheidende Vorteile: Es ist deutlich kompakter und robuster als vergleichbare Magnetometer und eignet sich so für die Nutzung im Hochspannungsbereich ebenso wie in der Elektromobilität.
Zudem lassen sich auch auf Seiten der Software Fortschritte beobachten. Erste Apps für Quantencomputing konnten bereits ausgerollt werden. Ein Beispiel dafür ist die Firma QUTAC, die deutschen Industrieunternehmen hilft, Ökosysteme für Quantentechnologie zu errichten und sie so in die Anwendung zu bringen. Derzeit werden diese vor allem genutzt, um die Maschinenbelegung in der Produktion zu verbessern. Die Technologie bietet aber noch viel Potential für weitere Anwendungsbereiche. Besonders der deutliche Geschwindigkeitsvorteil, den Quantencomputer gegenüber herkömmlichen Rechnern haben, ermöglicht, rasch Analysen aus enormen Datenmengen zu erstellen und so effizientere Lösungen zu finden – etwa zur Anpassung von Lieferketten oder um mithilfe komplexer Simulationen das Verhalten von Materialien und Werkstoffen über eine längere Nutzungsdauer hinweg zu berechnen. Jedoch sind Qubits noch immer extrem empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen wie etwa Temperaturschwankungen oder Vibrationen. Diese Herausforderung muss gelöst werden, damit Quantencomputing sich auch in der Industrie durchsetzen kann.
Deutschland im hart umkämpften Quantenrennen
Die Chancen, die Quantentechnologie in vielen Bereichen – Entwicklung, Energie, Lieferketten, E-Mobility, Medizintechnik, Finanzen, IT-Security und Kryptographie und viele mehr – mit sich bringen, sind enorm. Besonders in Zusammenspiel mit KI und Datenwissenschaften wird sie der Industrie zu großen Entwicklungsschüben verhelfen.
Deshalb ist Deutschland auch nicht das einzige Land, das auf Quantentechnologie setzt. Längst sind die USA und China mit großen Investitionen vorangeschritten und führen das Quantenrennen an. Und auch Japan hat laut Expertenmeinungen derzeit noch besser ausgereifte Lösungen und Produkte. Besonders zu nennen ist hier zum Beispiel die Stärke des japanischen Unternehmens Fujitsu und das Forschungsinstitut Riken im Bereich Quantencomputing. Fujitsu hat mit Digital Annealer eine Technologie entwickelt, die auf Quantencomputing beruht, um komplexe Optimierungsprobleme schneller zu lösen. Die Konkurrenz ist also stark.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Würfel schon gefallen sind. Deutschland hat noch immer gute Chancen, sich als wichtiger Player auf diesem neu entstehenden Markt zu positionieren. Laut der bereits zitierten Bitkom-Studie schätzen sich deutsche Entwickler und Anwender von Quantentechnologien selbst als Vorreiter in diesem Bereich ein. Die Konkurrenz sollte deshalb als Herausforderung und Chance gleichzeitig verstanden werden.
Fazit
Deutschland hat die einmalige Chance, einen neuen Industriezweig aufzubauen und dort eine wichtige Position auf dem Weltmarkt einzunehmen. Und dafür hat das Land die besten Voraussetzungen, denn gebraucht wird vor allem ein dynamisches und gut ausgebautes Ökosystem, das neugierig auf Quantentechnologie ist und Anwendungen in der Praxis schafft. Deutschland hat einen Reichtum an Unternehmen, die technisch fortgeschritten genug sind, um diesen Schritt zu wagen.