Panel-Talk: Fachkräftemangel unter der Lupe Suchen wir einfach die falschen Menschen?

Der Fachkräftemangel betrifft alle Sparten der Industrie – im Panel wurde daher diskutiert, wie es heute gelingen kann, Kandidaten mit unkonventionellen Lebensläufen zu finden sind und welche Rolle die Automatisierung in unserer zukünftigen Arbeitswelt spielen wird.

Bild: iStock, wildpixel
04.01.2024

Der Fachkräftemangel wird zunehmend spürbar und wird sich die nächsten Jahre – mit Blick auf die Bevölkerungsstatistik – noch verstärken. Müssen wir uns von der Vorstellung des idealen Kandidaten verabschieden?

Es ist offensichtlich, dass in vielen Bereichen Fachkräftemangel herrscht, und einige Indikatoren deuten darauf hin, dass dies nur der Beginn einer anhaltenden Herausforderung sein könnte. Gemeinsam mit Ronnie Vuine, CEO von Micropsi Industries, Sven Damm, Chief Visionary Officer und Managing Director von Brainsworld, und Jan Veira, Gründer und CEO der University4Industry, diskutiert Christian Fischbach, Head of Content Manufacturing des publish-industry Verlags, wie Kandidaten mit unkonventionellen Lebensläufen zu finden sind und welche Rolle die Automatisierung in unserer zukünftigen Arbeitswelt spielt.

Welche Positionen sind bereits heute schwer zu besetzen und wo sind die Auswirkungen am deutlichsten zu spüren?

Damm

Ob wir wirklich einen Fachkräftemangel haben, wage ich zu bezweifeln. Wenn man rein mathematisch auf Deutschland schaut und die Anzahl der offenen Arbeitsplätze den verfügbaren Arbeitnehmern gegenüberstellt, ergibt sich fast ein Gleichgewicht zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen. Das Problem ist vielmehr, dass wir nicht immer die passenden Leute für die offenen Positionen zur Verfügung haben – aus inhaltlichen, räumlichen oder persönlichen Gründen.

Veira

Betrachten wir es aus der Sicht der Unternehmen, haben wir ein Problem. Industrieunternehmen leiden zunehmend unter dem demographischen Wandel. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist es in bestimmten Bereichen schon jetzt schwierig, die Mitarbeiter zu finden, die über die nötigen Fähigkeiten verfügen. Das betrifft Bereiche wie Programmierung, insbesondere im Kontext von Sicherheit (Cyber Security, Industrial Security), aber auch UX Design.

Damm

Wir beobachten bei den Unternehmen eine unterschiedliche Verteilung der Bewerberanzahl: manche finden ausreichend Bewerber, andere nicht. Früher sind in den Unternehmen viele Bewerbungen für die offenen Stellen eingegangen; die Firmen konnten folglich eine strenge Auswahl nach bestimmten Kriterien treffen. Heute funktioniert dieses Auswahlverfahren nicht mehr, da es an Bewerbern mangelt. Es stellt sich folglich die Frage, wie ein Unternehmen den Auswahlprozess so anpassen kann, dass Bewerber, die nicht genau passen, auch eine Chance bekommen. Mit allen Konsequenzen für die dazugehörigen Abläufe in Betrieben. Der Wandel von spezialisierten Ausbildungen hin zu vielseitigeren Profilen erschwert die Auswahl und stellt die Unternehmen vor Anpassungsbedarf.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es möglicherweise genügend Fachkräfte gibt, aber die Verteilung auf die richtigen Stellen und die aktuellen Fähigkeiten nicht optimal aufeinander abgestimmt sind. Ausgehend von diesen Überlegungen soll dieses Problem und seine Entwicklung näher betrachtet werden: Das Beispiel der Näherinnen wurde bereits erwähnt und es stellt sich die Frage, ob dies in der Vergangenheit als relevanter Beruf angesehen wurde. In jüngster Zeit wird jedoch zunehmend über die Rückverlagerung der Produktion und die Verkürzung der Lieferketten diskutiert. Könnte dies ein wichtiger Faktor sein, der den Fachkräftemangel weiter verschärft?

Veira

Ich denke, wenn wir es global betrachten, insbesondere in Bezug auf Deutschland oder Europa, ist es vielleicht nicht das größte Problem. Ich denke, es ist ein spezifisches, punktuelles Thema. Ein Beispiel, das mir sehr nahe geht, ist die Tatsache, dass Intel gerade eine neue Fabrik in Magdeburg baut. Dort werden zwar nur ungefähr 4.000 Mitarbeiter beschäftigt, aber es handelt sich um hochspezialisierte Profile, die es in dieser Form in Magdeburg bisher nicht gibt. Das sind also punktuelle Herausforderungen. Ich glaube nicht, dass beispielsweise 5 Prozent der Erwerbstätigen von Vectoring oder ähnlichen Technologien betroffen sind. Das scheint mir nicht das Hauptproblem zu sein. Die großen Veränderungen sehe ich eher im demografischen Wandel, der schon lange bekannt ist, aber jetzt akuter wird. Hinzu kommen die Themen Digitalisierung und Dekarbonisierung, die miteinander verbunden sind und sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben können. Ich bin mir nicht sicher, ob die Digitalisierung unser größtes Problem ist. Vielleicht sehen Sie das anders.

Vuine

Die Globalisierung wird uns beeinflussen. In den letzten 30 Jahren befand sich Deutschland in einer einzigartigen Situation, in der strategische Produktionsentscheidungen von geringer Bedeutung waren. Selbst kommunistische Länder beteiligten sich am freien Markt. Doch diese Zeit ist vorbei. Wir nähern uns einer Situation, in der strategische Überlegungen bei der Wahl von Produktionsstandorten wieder eine Rolle spielen werden. Interessanterweise sind es oft genau diese Bereiche, bei denen wir Schwierigkeiten haben. Doch wir sind bereits keine neutralen Beobachter mehr. Dies bedeutet, dass wir zusätzlich zu den großen Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, der Digitalisierung und der Dekarbonisierung auch vor einem strategischen Wandel stehen, der etwas zeitverzögert eintritt, aber dennoch bevorsteht. Egal, welches Problem wir gerade angehen, wir müssen uns auf eine zunehmende Automatisierung in den nächsten 15 Jahren einstellen.

Wie gehen wir mit dem Mangel an passgenauer Ausbildung um?

Damm

Derzeit haben wir etwa 52 Millionen Menschen im erwerbstätigen Alter (20 bis 66 Jahre) in Deutschland. In zehn Jahren werden es nur noch 48 Millionen sein, was bedeutet, dass wir netto 4 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland verlieren werden. Das entspricht etwa 10 Prozent der vorhandenen Stellen, die unbesetzt bleiben. Dies ist eine erhebliche Lücke, die wir allein in Deutschland nicht mehr schließen können, selbst wenn wir versuchen, die Geburtenrate zu erhöhen. Die Ausbildung und Integration von Arbeitskräften dauert jedoch länger als zehn Jahre. Zudem müssen wir uns für ausländische Arbeitskräfte öffnen und deren Abschlüsse und Kompetenzen stärker anerkennen. Länder wie Österreich, den Niederlanden und Dänemark bieten Orientierung. Dort wird die Kompetenz viel höher bewertet. In Deutschland ist es der Abschluss, der viel mehr Anerkennung hat und das ist ein riesengroßer Quatsch.

Veira

Das ist eine tief verwurzelte Denkweise. Die besagt, dass man eine Ausbildung macht und dann – mein persönliches Hasswort – „ausgelernt“ ist. Das Konzept des „Ausgelernt-Seins“ ist aber überholt, wenn man sich die Berufsausbildung genauer anschaut, insbesondere wenn jemand sogar den Weg zum Meister gegangen ist. Vor 50 Jahren mag das noch anders gewesen sein. Damals waren die Innovationszyklen so langsam, dass man sich ein Berufsleben lang nur geringfügig anpassen musste. Ein Problem ist dieses starre Denken. Deshalb glaube ich, dass wir vielleicht die falschen Kriterien anwenden, um die richtigen Leute auszuwählen. Wir suchen immer noch nach starren Mustern und festen Qualifikationen, obwohl das nicht mehr das Entscheidende ist. Es kommt nicht darauf an, ob jemand alle Kriterien perfekt erfüllt, sondern darauf, wie flexibel und anpassungsfähig diese Person ist. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig weiter entwickeln müssen, weil sich die Welt in einem rasanten Tempo verändert. Die Entwicklung komplexer Lehrpläne und Abschlüsse ist meiner Meinung nach zu langsam für die Anforderungen, die auf uns zukommen.

Damm

Die Bedeutung von Bildung und Weiterbildung wird weiter zunehmen, da Technologie einen immer größeren Platz in der Arbeitswelt einnimmt. Wir benötigen Bildungsangebote, die individuell auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind, um sie für die Anforderungen der Zukunft fit zu machen. Die Aus- und Weiterbildung müssen flexibler werden, weg von den traditionell strukturierten Prozessen, hin zu flexiblen Ansätzen. Ein proaktives Management blickt in die Zukunft und prüft Kompetenzen sowie Automatisierungspotenziale. Dabei wird HR als strategischer Partner für Unternehmen immer essenzieller.

Wie wahrscheinlich ist die kurzfristige Lösung durch ausländische Arbeitskräfte – gerade im industriellen Mittelstand?

Vuine

Deutschland wird aufgrund seiner Stabilität und der Lockerung der Arbeitserlaubnisbestimmungen attraktiver. Die Unsicherheit in Großbritannien hat die Attraktivität von Deutschland noch erhöht.

Damm

Deutschland ist momentan eines der attraktivsten Länder in Europa. Amerika verspricht sicherlich noch den „American Dream“, aber Deutschland hat auf der industriellen Seite großes Potenzial. Die Bundesagentur für Arbeit verändert ihre Perspektive von der Vermittlung von Arbeitslosen in Deutschland hin zur Steigerung der Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte.

Veira

Dies kann ich ebenso bestätigen. Es ist einfacher geworden, ausländische Arbeitskräfte einzustellen. Aber das allein löst das Problem nicht. Wir müssen unsere Denkweise und unsere Anforderungen anpassen, um die richtigen Talente für zukünftige Herausforderungen zu gewinnen und strategisch zu investieren. Dies geschieht meiner Meinung nach derzeit noch zu wenig.

Abteilungen sind oft losgelöst von Unternehmensfunktionen. Sie folgen festen Rekrutierungsmustern. Wie können wir den Paradigmenwechsel in der Rekrutierung schaffen?

Damm

Ein konkretes Beispiel hierzu: Wir hatten einen Bewerber in seinen mittleren 20ern, der zwar keinen Berufsabschluss hatte, aber in seiner aktuellen Firma eine herausragende Position in der IT-Infrastruktur innehatte. Er bewarb sich bei einem mittelständischen Industrieunternehmen und wurde abgelehnt, nicht aufgrund seiner Fähigkeiten. Der Fachbereich wollte ihn einstellen, jedoch wurde er von der Personalabteilung abgelehnt, weil er keine formale Ausbildung vorweisen konnte. Ich traue diesem Bewerber zu, dass er die erforderlichen Fähigkeiten mitbringt. Das, was er in unserem Unternehmen noch lernen muss, kann er auch ohne eine traditionelle Ausbildung erwerben. Wir sollten uns nicht auf den ersten Schritt, nämlich die Ausbildung, versteifen, sondern vielmehr darauf schauen, wo der Bewerber steht und welche Fähigkeiten er mitbringt. Dies ermöglicht es uns, Arbeitskräfte einzustellen, die die Anforderungen erfüllen, und zu verstehen, dass es Zeit und Investition erfordern kann, bis sie produktiv sind.

Vuine

Viele Fachabteilungen lehnen talentierte Kandidaten ohne formalen Abschluss ab, wenngleich die Fachabteilungen die Kandidaten für geeignet halten. Das ergibt doch keinen Sinn! In Zukunft werden diese Abteilung wahrscheinlich weiterhin Schwierigkeiten haben, genügend Fachkräfte zu finden. Stattdessen sollten wir uns auf andere Dinge konzentrieren. Eine bessere Herangehensweise wäre, die erforderlichen Kompetenzen zu identifizieren und bereit zu sein, Mitarbeiter weiterzuentwickeln. Eine einfachere Lösung wäre, dass die Fachabteilungen über die Einstellung entscheiden, wenn sie mit der Eignung des Kandidaten einverstanden sind – und nicht HR.

Veira

Das Rollenverständnis von HR ändert sich, es wird ein Top-Management-Thema. Dies bietet eine enorme Chance für Personalabteilungen, einen echten Mehrwert für die Zukunft des Unternehmens zu schaffen. Früher genügte eine Checkliste, aber das ändert sich. Es ist eine herausfordernde Übergangszeit, aber auch eine spannende.

Müssen wir uns mehr auf Aus- und Weiterbildung konzentrieren?

Veira

Ja, wir müssen praxisorientierter werden. Unternehmen bilden bereits Bachelor- oder Masterabsolventen mit IT-Hintergrund in spezifischen Industriethemen aus. Dort verbringen sie die Hälfte ihrer Zeit in der Praxisarbeit und die andere Hälfte mit spezifischem, auf ihre Aufgaben zugeschnittenem Lernen. Diese praxisnahe Herangehensweise ist äußerst effektiv und flexibel. Es wäre unrealistisch, einen speziellen Studiengang für solche Anforderungen zu entwickeln, da die Akkreditierung zu lange dauern würde und die Inhalte bereits veraltet wären. Da müssen wir mutig neue Wege gehen.

Was ist der effektivere Weg: einen Data Scientist einzustellen, der bei mir das Domänenwissen lernt, oder ob ein bestehender Mitarbeiter mit Domänenwissen das Fachwissen erlernt?

Vuine

Optimize for Intelligence! Es geht mehr um Intelligenz und Anpassungsfähigkeit als um spezifische Fähigkeiten. Eigentlich braucht man jemanden, der sich länger als drei Stunden konzentrieren kann. Den Rest kriegen wir dann auch schon hin. Aber wir sind schon dankbar, wenn wir jemanden finden, der eine Aufmerksamkeitsspanne hat, die ausreicht, um noch was zu lernen.

Wie erleben Sie die Veränderung bei den Bewerbern?

Vuine

In Berlin haben wir Vorteile durch die Attraktivität der Stadt und internationale Projekte. Dadurch erhalten wir Bewerbungen von Kandidaten, bei denen wir eine echte Chance haben. In den ländlichen Regionen ist die Situation anders, da ist man oft dankbar für jede Bewerbung und legt mehr Wert auf die Intelligenz als auf eine bestimmte Erfahrungen.

Veira

Junge Talente werden durch die Mission des Unternehmens angezogen. Bildungsinitiativen zu unterstützen oder zu globalen Zielen beizutragen, kann Unternehmen attraktiver machen. Es ist wichtig zu erkennen, dass solche Themen nicht nur die Gewinnung neuer Talente erleichtern, sondern auch das Engagement und die Motivation der bestehenden Mitarbeiter fördern können, wenn sie sehen, dass sie einen Beitrag zu wichtigen globalen Herausforderungen leisten können.

Wer trägt die Verantwortung für die Weiterbildung: die Fachabteilungen oder vielleicht doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst?

Veira

Das ist ein Zusammenspiel. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen oft nicht, wohin sie sich entwickeln sollen. Unternehmen müssen unterstützen und erkennen, welche Kompetenzen benötigt werden. Es geht nicht nur darum, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, sondern auch darum, Weiterbildung als Priorität zu sehen.

Vuine

Intelligenz wird immer eine begrenzte Ressource sein. Automatisierung und Digitalisierung können helfen, diese Lücke zu schließen.

Veira

Ich denke, um mit der knappen Ressource Intelligenz umzugehen, müssen wir zwei Dinge tun. Erstens sollten wir verstärkt auf Automatisierung setzen, um repetitive Aufgaben zu bewältigen und Ressourcen freizusetzen. Zweitens müssen wir diejenigen, die noch 
Potenzial zur Weiterentwicklung 
haben, gezielt fördern. Dies erfordert eine 
koordinierte Anstrengung, bei der wir nicht nur auf den Einzelnen setzen, sondern auch eine Rolle für die Fachabteilungen sehen. 
Damit Ressourcen und Zeit zur Verfügung stehen, muss die strategische Priorität für die Weiterbildung von der Unternehmensleitung gesetzt werden. Allerdings erfordert dieser Ansatz auch Mut von denjenigen, die strategische Entscheidungen treffen.

Kluge Köpfe in den eigenen Reihen behalten – es ergibt natürlich Sinn. Doch frage ich mich, ob es wirklich sinnvoll ist, überhaupt keine Fluktuation mehr zu haben. Könnte es nicht auch hilfreich sein, wenn Mitarbeiter in andere Unternehmen wechseln und dort neues Wissen erwerben, um es dann wieder in unser Unternehmen einzubringen? Wie wirkt sich die Fluktuation auf das lebenslange Lernen in Unternehmen aus?

Damm

Ich denke, es gibt mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Erstens haben viele junge Menschen nicht die Lust, ihr gesamtes Arbeitsleben in einem Unternehmen zu verbringen, da sie sich in einem solchen Fall schnell begrenzt fühlen und nicht mehr verschiedene Dinge sehen können. Ein Wechsel alle zwei bis drei Jahre in ein anderes Unternehmen, um verschiedene Herausforderungen anzunehmen, wird immer bestehen bleiben, und Unternehmen können dies nicht verhindern. Zweitens glaube ich, dass wir Chancen in der Standardisierung bestimmter Themen haben. Warum müssen verschiedene Unternehmen beispielsweise Teile oder Daten unabhängig voneinander entwickeln? Wenn wir Schnittstellen und Standards definieren könnten, könnten wir Ressourcen und Wissen effizienter nutzen und einfacher mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten. Drittens werden Unternehmen in Zukunft möglicherweise nicht mehr so viele Mitarbeiter vor Ort haben können, insbesondere wenn sie projektbasiert arbeiten. In solchen Fällen benötigen sie Mitarbeiter für die Dauer eines Projekts, die sie nicht dauerhaft beschäftigen können oder wollen. Der Anteil an Freelancern, die für Unternehmen arbeiten, wird wahrscheinlich steigen, und Unternehmen müssen sich auf diese Veränderung einstellen.

Veira

Wir nutzen in großem Umfang freie Mitarbeiter, weil sie Fachwissen aus der Praxis mitbringen. Wir haben ein großes Netzwerk von Trainern und Experten, von denen keiner bei uns festangestellt ist. Unsere Kernkompetenz liegt darin, diese Expertise in effektive Lerninhalte zu übersetzen und sicherzustellen, dass die Lernenden erfolgreich sind. Wir haben auch eine gewisse interne Kompetenz für digitale Lerninhalte, aber viele Aufgaben können von Freelancern erledigt werden, die über spezielle Fähigkeiten und Erfahrungen verfügen.

Vuine

Die durchschnittliche Verweildauer in einem Unternehmen im Silicon Valley beträgt jetzt weniger als ein Jahr, während es vor einigen Jahren noch zweieinhalb Jahre waren. Diese kurze Verweildauer ist in Deutschland vielleicht nicht so extrem, aber wir werden sicherlich auch verstärkt mit Mitarbeiterwechseln konfrontiert sein. Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Kultur des ständigen Wechsels auf uns auswirkt.

Damm

Ronnie, Ihr habt Standorte in Deutschland und in den USA. Welche Elemente der deutschen Kultur versucht Ihr in den USA zu implementieren?

Vuine

Wir versuchen nicht viele Elemente der deutschen Kultur in den USA zu implementieren, da wir oft von der Energie und dem Impuls der amerikanischen Kultur profitieren. Unsere Mitarbeiter in den USA haben oft einen höheren Energielevel und sind gewohnt, die Initiative zu ergreifen. Wir versuchen jedoch, einige der Benefits, die wir in Deutschland bieten, auch in den USA anzubieten. Wir sind großzügig mit Benefits, insbesondere im Urlaubsbereich. In den USA versuchen wir, von der Energie unserer Mitarbeiter zu lernen und uns treiben zu lassen. Wir haben Mitarbeiter, die zeitweise zwischen den Standorten wechseln, und dieser Austausch funktioniert in beide Richtungen. Unsere amerikanischen Kollegen sehen oft die deutsche Einheit als eine große Firma und lernen viel von der Zusammenarbeit in einem globalen Team.

An dieser Stelle möchte ich ein Thema aufgreifen, das in der Vergangenheit immer wieder zur Sprache gekommen ist: Ist die Automatisierung die Lösung für den Mangel an Arbeitskräften?

Vuine

Die Automatisierung in der Industrie entwickelt sich wie immer langsamer, als wir es uns erhoffen. Dies ist ein langfristiger Trend, der bereits mit der Automatisierung von Pferden und Kutschern begann. Die Digitalisierung in der Industrie hat eine Welle ausgelöst, die ebenfalls langsamer verläuft, als erwartet. Wir haben bereits diskutiert, dass dieser Prozess komplex ist und Zeit in Anspruch nimmt. Die Implementierung von KI und Robotern ist anspruchsvoll, da sie 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche funktionieren müssen. Es ist nicht ausreichend, eine Demonstration zu zeigen; es erfordert tägliche Zuverlässigkeit und technologische Herausforderungen.Der demografische Wandel zwingt uns, darüber nachzudenken, kleinere Projekte mit kürzeren Laufzeiten zu automatisieren. Früher begann die Automatisierung erst bei großen Projekten mit einer halben Million Euro oder mehr. Jetzt sind Unternehmen sind in der Lage, ihr eigenes Automatisierungswissen aufzubauen und sich dem Automatisierungsprozess anzunähern. Dies ist vergleichbar mit der Büroautomatisierungswelle in den frühen 1980er Jahren, als Unternehmen begannen, ihre eigenen Computer-Systeme zu betreiben. Es ist ein schrittweiser Prozess, der Jahre dauern kann, aber die Automatisierung ist unaufhaltsam. Es ist jedoch schwierig und teuer, und die Herausforderung besteht darin, den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden. Automatisierung ist verlockend, aber sie erfordert Geduld und die Fähigkeit, den besten Ansatz für jeden Anwendungsfall zu finden.

Kann die Mustererkennung durch KI Erfahrung von Facharbeiten und Büromitarbeitern ersetzen oder ist dies ein Trugschluss?

Vuine

Es gibt keinen Grund, warum dies nicht funktionieren sollte. Die Herausforderung besteht darin, die Erfahrung und das Fachwissen der Mitarbeiter in die digitalen Systeme zu integrieren. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass nicht alle Informationen, die Betriebe benötigen, im Internet verfügbar sind. Dies eröffnet ein großes Feld für Forschung und für Unternehmen, die Produkte entwickeln möchten, um das Wissen und die Erfahrung ihrer langjährigen Mitarbeiter in digitale Systeme zu übertragen. Die erforderliche Technologie steht zur Verfügung und es gibt keine grundsätzlichen Hindernisse für die Umsetzung dieses Ansatzes.

Könnte KI Erfahrung skalierbar machen?

Vuine

Es ist nicht so einfach, die Erfahrung eines erfahrenen Mitarbeiters oder einer erfahrenen Mitarbeiterin zu skalieren. Aber es gibt keinen Grund, warum dies nicht funktionieren sollte. Entscheidend ist die Konsistenz der Qualität. Automatisierung hilft, Konsistenz zu erreichen und ist ein Wettbewerbsvorteil.

Damm

Technologie wird mehr Büroarbeit und andere Tätigkeiten übernehmen. Neue Modelle lassen Maschinen Wissen aus der Organisation lernen. Über die Bereitschaft, auch mit Fehlern in der Automatisierung umzugehen, wird aber der Mensch entscheiden. Europäische Regulierungen könnten eine Herausforderung darstellen: Sie schränken die Flexibilität ein. Es ist wichtig, die Perfektion loszulassen, um sie letzten Endes zu erreichen.

Bleiben wir bei diesem letzten Satz. Das ist ein guter Ansatz für die Industrie. Sind wir auf einem guten Weg dahin, die Perfektion loszulassen oder stehen wir hier noch am Anfang?

Vuine

Die Akteure und die aktuelle parlamentarische Entwicklung in meinem Bereich geben mi nicht unbedingt Hoffnung.Ein Ansatz könnte sein, sich darauf zu einigen, so wenig wie möglich zu regulieren. Aber ich bin vielleicht zu kritisch. In Brüssel scheint der Fokus anders zu liegen. Anstatt das Potenzial von KI zu nutzen, konzentriert sich Europa auf mögliche Risiken und reguliert KI.

Damm

Ich denke, es ist ein Fehler, dass wir immer versuchen, die Guten zu sein, vor allem mit Initiativen wie Ki. Wir sollten Technologien erproben und aus Fehlern lernen, anstatt alles von vornherein zu regulieren. Für viele Bereiche gibt es bereits sektorale Regulierungen. Warum also alles neu diskutieren, nur weil es um KI geht?

Vuine

Wir haben bereits klare Regulierungen für viele Sektoren. Doch die aktuelle Debatte um zusätzliche Regulierungen für KI scheint überflüssig. Die Diskussion sollte mehr darum gehen, wie KI uns bei Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel helfen kann, statt immer nur über potenzielle Gefahren zu sprechen. Die europäische Herangehensweise an KI ist oft reaktiv und defensiv, insbesondere im Vergleich zu den großen US-amerikanischen und chinesischen Unternehmen.

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  • Sven Damm, Chief Visionary Officer und Managing Director von Brainsworld: „In Deutschland ist es der Abschluss, der viel mehr Anerkennung hat und das ist ein riesengroßer Quatsch.“

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  • Ronnie Vuine, CEO von Micropsi Industries: „Wir sind schon dankbar, wenn wir jemanden finden, der eine Aufmerksamkeitsspanne hat, die ausreicht, um noch was zu lernen.“

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  • Jan Veira, Gründer und CEO der University4Industry: „Das Konzept des Ausgelernt-seins ist überholt.“

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