5 Bewertungen

Andreas Matthé, Siemens Transparenz ist überlebenswichtig

Andreas Matthé ist seit 1. April 2020 CEO der Geschäftseinheit „Electrical Products“ bei Siemens Smart Infrastructure und leitet deren weltweite Aktivitäten. Zuvor verantwortete er zehn Jahre lang das Geschäft für Low Voltage Products bei Siemens. Davor war er über mehrere Jahre hinweg in den Bereichen Power Automation und Power Transmission and Distribution in Führungspositionen für Siemens unter anderem in China und Südafrika tätig.

Bild: Siemens
27.10.2022

Die Energiekosten im Griff zu haben, entscheidet künftig bei vielen Industrieunternehmen über deren Profitabilität – oder gar überleben. Zwingende Voraussetzung hierfür ist die Transparenz über alle Vorgänge und Verbraucher in der Produktion. Erst dann lassen sich Maßnahmen ergreifen sowie alternative und nachhaltige Energieströme kosteneffizient einbinden, wie Andreas Matthé, CEO Electrical Products bei Siemens Smart Infrastructure, im Gespräch mit publish-industry erläutert.

Energie wird teurer und knapper. Was ist jetzt primär wichtig für Industrieunternehmen?

Es geht tatsächlich nicht mehr nur um Kosten, sondern leider inzwischen auch um Verfügbarkeit. Darum empfehlen wir dringend jedem produzierenden Unternehmen, sich als wichtigen, ersten Schritt einen kompletten Überblick über alle Energieflüsse zu verschaffen. Volle Transparenz zu Prozessen, Abläufen und Verbräuchen. Dies ist durch kommunikationsfähige Geräte und Messpunkte in Verbindung mit der entsprechenden Software heute schnell zu erreichen. Basierend auf den gewonnenen Daten können die Energiepunkte und die großen Verbraucher identifiziert werden. Erst mit dieser Transparenz können Unternehmen den richtigen Energiemix finden, um alle Prozesse stabil zu halten und vor allem effizienter zu machen. Denn die Frage muss sein, wie können erneuerbare Energien in Verbindung mit Speichermedien Lastspitzen ausgleichen, wenn nicht ausreichend Strom aus fossilen Brennstoffen verfügbar ist, oder dieser zu teuer ist. Und diese sauberen Alternativen sind dringend notwendig auf dem Weg zu nachhaltigeren Unternehmen.

Ist grüne Energie überhaupt viel teurer?

Investitionen in regenerative Energien zahlen sich ja nicht nur durch die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks wieder aus, sondern auch in Bezug auf die Verfügbarkeit. Durch die aktuelle Energiekrise mit der Gasknappheit wird uns das gerade vor Augen geführt. Jedes Unternehmen muss sich die Frage stellen, welchen Preis will ich für eine gesicherte Energieversorgung zahlen. Energiekosten sind also nicht mehr nur die reinen Kosten für den Stromverbrauch, sondern auch ein Verfügbarkeitsthema. Photovoltaik oder Windkraft werden zwar noch länger durch konventionelle Energieträger gestützt werden müssen, doch das Ziel muss sein, durch intelligente Technik von der Abhängigkeit fossiler Brennstoffe wegzukommen. Und hier spielen Energiezwischenspeicher eine sehr wichtige Rolle, um die Schwankungen der Solar- und Windenergie ausgleichen zu können. Dieses Energiemanagement setzt jedoch zwingend die bereits erwähnte Transparenz durch die Digitalisierung voraus. Denken Sie beispielsweise auch an die Einbindung von Elektroautos als Energiezwischenspeicher; das wäre ohne vollständige Transparenz unmöglich.

Glauben Sie, dass das Energiekostenmanagement etwas zu spät bei Industrieunternehmen in den Fokus gerückt ist?

Das glaube ich eigentlich nicht. Energiekosten haben in der Industrie schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In der Vergangenheit aber in unterschiedlicheren Gewichtungen als es aktuell der Fall ist. Und dann kommt es natürlich auf den individuellen Energiebedarf an. Wenn jemand beispielsweise ein Aluminiumwerk betreibt, fallen natürlich ganz andere Energiekosten an als bei der Herstellung von diskreten Produkten. Wir haben bei Siemens schon immer mit Unternehmen zusammengearbeitet, um deren Energieverbrauch zu senken. Sehr oft können wir durch die Identifizierung von Verbrauchern und der Optimierung von Prozessen, die nicht so effizient waren, den Energiebedarf einer Produktion relativ schnell um zehn Prozent senken. Und langfristig erreichen wir auch Einsparpotenziale von bis zu 30 Prozent. Hier reden wir jetzt schon über beträchtliche Hebel. In der aktuellen Situation diskutieren Unternehmen mit uns, wie wir ihnen beim Thema Verfügbarkeit und dem richtigen Austarieren verschiedener Energiequellen helfen können. Oder wie sich Prozessabwärme wieder gewinnbringend in einen Energiekreislauf rückführen lässt, beispielsweise zum Heizen von Gebäuden oder für andere Prozesse. Ging es in der Vergangenheit viel um Kosteneinsparung bei Energie, so stehen jetzt Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit verstärkt im Vordergrund.

Ist ein effektives Energiemanagement keine Frage der Technik mehr, sondern mehr der Erfahrung?

Das würde ich so unterschreiben. Technisch ist es heutzutage kein Thema mehr, Werte wie Spannungen, Ströme, Temperaturen, Drücke oder Frequenzen überall sehr einfach abzugreifen. Entsprechende Messgeräte zur Messdatenerfassung mit standardisierten Kommunikationsschnittstellen zu den gängigen Automatisierungs- und Analysesystemen gibt es für jede Anwendung – und nicht nur von Siemens. Entscheidend ist das Wissen, wo es Ansatzpunkte für Energieeinsparungen gibt. Hier können wir von jahrzehntelanger Erfahrung aus Projekten aller gängigen Branchen berichten und sehr einfach Mehrwerte generieren. Das geht von Maschinen, die unserer Meinung nach nicht effizient laufen, über simple Dinge wie unkontrollierte Klimaanlagen und unnötige Heizungswärme bis hin zu den bereits erwähnten Energiekreisläufen. Grundlage ist wieder die Transparenz aller Prozesse.

Gibt es an die Energieversorgung in einer modernen Digital Factory höhere Anforderungen als in einem herkömmlichen Produktionsbetrieb?

Durch höhere Automatisierung, mehr Elektronik und Computertechnologie wird an die Energieversorgung tatsächlich ein höherer Anspruch gestellt. Zum Beispiel an eine unterbrechungsfreie Elektrizitätsversorgung, denn das Hochfahren einer modernen Anlage nach einem Stromausfall mit all den Abhängigkeiten ist viel komplexer geworden. Hinzu kommen die gestiegenen Anforderungen an die Qualität der Energie, sprich saubere Frequenzen ohne große Oberwellen und stabile Spannungslevel. Wenn es beispielsweise in der Halbleiterindustrie zu einem kurzen Spannungseinbruch kommt, oder die Frequenz sich minimal ändert, so kann die komplette produzierte Charge unbrauchbar sein. Hier landen wir dann auch wieder bei der Notwendigkeit von Energiespeichern, um den Prozess in der Qualität und Verfügbarkeit zu stabilisieren.

Ist ein wesentlicher Hauptanteil zur Energiereduzierung wirklich die Vermeidung von Lastspitzen, denn davon wird oft gesprochen?

Lastspitzenvermeidung ist ein wichtiger Punkt. Wirklich hilfreich ist aber nur der ganzheitliche Blick auf die Produktionsprozesse. Lastspitzen sind einfach oft prozessbedingt unvermeidlich. Und dann muss man sich die Frage stellen: Wann sollten denn diese Lastspitzen idealerweise stattfinden? Üblicherweise verfügen Industriebetriebe über verschiedene tageszeitabhängige Stromtarife. Aber eine Verschiebung von Lastspitzen ist wirklich ein komplexes Thema und nicht einfach möglich, weil davon oft der gesamte Produktionsprozess abhängig ist. Durch sauberes Energiemanagement und Transparenz der Prozesse sollten während einer Lastspitze andere Verbraucher aber möglichst zurückgefahren werden. Das kann den Kostenfaktor oft schon erheblich reduzieren.

Welchen Einfluss hat eigentlich das Trendthema DC auf die elektrische Energieverteilung?

Gleichstrom wird in Industriebetrieben eine Ergänzung sein. Eine komplette Umstellung von Produktionen von AC- auf DC-Betrieb wird es meiner Meinung nach nicht geben. Die Energieeffizienz ist attraktiv, denn Transformationsprozesse auf verschiedene Spannungsebenen lassen sich so vermeiden. Wann eine Umstellung auf DC aber Sinn macht, hängt sehr vom Prozess beim Kunden ab. Wir haben beispielsweise bei Automobilfirmen neue Fertigungslinien mit anteilig DC-Technologie aufgebaut. So kann es sehr gut zusammenpassen, die Batterien vorhandener Elektroautos gleich als Speicher für mehr Netzstabilität einzubinden. Und im Greenfield wird der Anteil an DC-Technologie auch zunehmen, jedoch gibt es viele Bereiche, wo herkömmliche AC-Technologie in Verbindung mit einem modernen Energiemanagement die nachhaltigste Lösung bleibt.

Sie haben oft von der Wichtigkeit von Transparenz aller Prozesse gesprochen. Doch die Vernetzung öffnet auch Einfallstore für Cyberkriminalität …

Deshalb gewinnt Cybersicherheit eine immer größere Bedeutung. Die Zahl der Angriffe steigt stetig. Ein umfassendes und vor allem ganzheitliches Schutzsystem ist deshalb Plicht. Denn es nützt wenig, wenn die IT-Ebene im Unternehmen abgesichert ist, in den Maschinen und Prozessanlagen aber jede Menge Einfallstore existieren. Wir empfehlen deshalb klar definierte Qualitätsprozesse. So lassen sich auf der einen Seite die an das Industrial Ethernet angeschlossenen Endgeräte schützen, aber auch das Gesamtsystem und die Cloud-Aktivitäten. Klar ist aber auch, dass Cybersicherheit immer ein dynamischer Prozess bleiben muss. Mit einer einmalig installierten Firewall und Schutzsoftware ist es beileibe nicht getan, denn die Cyberkriminellen finden immer neue Wege und Angriffsflächen. Deshalb müssen sowohl Schutzsoftware als auch Endgeräte stetig auf einem aktuellen Absicherungstand gehalten werden. Und hierfür braucht es die erwähnten Qualitätsprozesse, denn sonst wird schnell der Überblick verloren und Lücken tun sich auf.

Und warum sollten Kunden Siemens wählen, wenn es um Lösungen rund um elektrische Energie geht?

Weil wir die Bedürfnisse und Prozesse unserer Kunden in allen wichtigen Branchen verstehen. Und genau deshalb können wir Industrieunternehmen ideal helfen, Transparenz in ihrer Infrastruktur zu schaffen, Energieeinsparpotenziale zu heben und nachhaltiger zu produzieren. Bis hin zur Ermöglichung neuer Geschäftsmodelle. Unsere Produkte verfügen aber auch über sehr hohe Zuverlässigkeit und Sicherheit. Sowohl was das Thema Cybersicherheit angeht als auch die elektrische Sicherheit. Schließlich muss der Personenschutz immer die allerhöchste Priorität haben.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel