Vorgaben auch zu bürokratisch und komplex Trotz Lieferkettengesetzes dominieren finanzielle Faktoren

Die Europäische Union hat eine neue Lieferkettenrichtlinie verabschiedet, die große Unternehmen zu mehr Engagement bei Umwelt- und Sozialstandards verpflichtet. Damit sollen Nachhaltigkeitsziele stärker berücksichtigt werden, aber der finanzielle Faktor steht nach wie vor im Vordergrund.

Bild: DALL·E / publish-industry
26.07.2024

Bewährte Kriterien wie der Preis, die Verlässlichkeit der Zahlungsbedingungen oder die Dauer der Geschäftsbeziehung spielen für die Unternehmen bei der Auswahl ihrer Kunden und Kundinnen sowie Lieferanten und Lieferantinnen nach wie vor die wichtigste Rolle. Nachhaltigkeitsaspekte werden – trotz des neuen Lieferkettengesetzes – klar untergeordnet.

Eine aktuelle Umfrage des German Business Panel (GBP) belegt, dass finanzielle Faktoren die Wahl der Lieferkette massiv beeinflussen. Die GBP-Daten belegen die insgesamt ablehnende Haltung vieler Unternehmen gegenüber der aktuellen Nachhaltigkeitsregulierung, einschließlich der neuen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Im Mai 2024 hat die Europäische Union nach heftigen Kontroversen eine neue Lieferkettenrichtlinie verabschiedet, die große Unternehmen zu mehr Engagement bei Umwelt- und Sozialstandards (Environmental, Social, Governance, ESG) verpflichtet. Durch Dokumentationspflichten soll Druck auf alle an Lieferketten beteiligten Unternehmen ausgeübt werden, zur Einhaltung von Nachhaltigkeitszielen beizutragen. Diese Richtlinie soll schrittweise bis 2029 umgesetzt werden.

Keine Wichtigkeit für Umweltschutz und Nachhaltigkeit?

In Deutschland gilt schon seit dem Vorjahr das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz mit ähnlicher Zielsetzung. Die aktuellen Daten des GBP zeigen nun, dass die damit verbundenen Erwartungen sich nur eingeschränkt erfüllen: Wenn Unternehmen ihre Kunden und Kundinnen oder Lieferanten und Lieferantinnen auswählen, passiert das in den meisten Fällen weiterhin auf Grundlage von harten finanziellen Kennzahlen wie Preis, Produkteigenschaften, Lieferungs- und Zahlungsmodalitäten. Diesen Kriterien wird laut der GBP-Umfrage die höchste Relevanz beigemessen. Nicht-finanzielle Kennzahlen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit rangieren dagegen ganz unten auf der Liste.

Die Ergebnisse gelten sowohl für große Unternehmen, die ihre ESG-Performance offenlegen müssen, als auch für kleinere Unternehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten, die dazu nicht verpflichtet sind. Allein Unternehmen, die für ihr eigenes Geschäftsmodell einen Fokus auf ESG-Faktoren in Anspruch nehmen und daher strategisch verankerte Nachhaltigkeitsziele haben, sind dazu bereit, ihre Bemühungen in Bezug auf Umwelt und Soziales zu erhöhen und ihre Lieferketten entsprechend anzupassen. Darunter fallen insbesondere Unternehmen, die auch in reale Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen investieren, zum Beispiel durch eine Verringerung ihrer eigenen Emissionen.

„Die vielen bürokratischen Pflichten, die für Lieferketten eingeführt wurden, ändern offensichtlich wenig daran, dass Unternehmen bei der Auswahl ihrer Geschäftsbeziehungen kaum bereit sind, ihre gewohnten Geschäftsabläufe aus Rücksicht auf gesellschaftliche Ziele umzustellen. In zu vielen Fällen ist die Umsetzung des Gesetzes eine reine Compliance-Übung ohne realen Einfluss auf Nachhaltigkeitsziele“, sagt Prof. Dr. Jannis Bischof, Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Unternehmensrechnung an der Universität Mannheim und wissenschaftlicher Projektleiter des GBP.

Kritik an den neuen Standards

Mit der negativen Bewertung der Regulierung von Lieferketten geht einher, dass die meisten Unternehmen die neuen verpflichtend eingeführten Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) zur Nachhaltigkeitsberichterstattung „eher negativ“ oder „sehr negativ“ bewerten: Bei Unternehmen ohne ESG-Fokus liegt dieser Anteil bei 56 Prozent und selbst bei Unternehmen mit ESG-Fokus stimmen 39,2 Prozent dieser Aussage zu. Dabei bemängeln sie auch hier, dass die Vorgaben zu bürokratisch und zu komplex seien.

Bemerkenswerterweise schneiden die neuen Vorgaben bei den sie praktizierenden Unternehmen besonders schlecht ab: 59,3 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus berichten, dass der Berichtsaufwand zu hoch sei, wohingegen bei den Nicht-Anwendern dieser Anteil bei 52 Prozent liegt. 66,7 Prozent der Anwender mit ESG-Fokus halten die Vorgaben für zu komplex und zu bürokratisch gegenüber 59 Prozent der Nicht-Anwender. „Gerade diejenigen, die sich mit den Standards aktiv auseinandersetzt haben, scheinen also besonders kritisch zu sein“, resümiert Bischof.

Den „GBP-Monitor: Unternehmenstrends im Juli 2024“ finden Sie online nachlesen. Das German Business Panel befragt monatlich mehr als 800 Unternehmen und seit März 2024 mehr als 250 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zur Unternehmenslage in Deutschland und erhebt dabei Daten zu 1) erwarteten Umsatz-, Gewinn- und Investitionsänderungen, 2) unternehmerischen Entscheidungen, 3) der erwarteten Schließungsrate in der Branche und 4) der Zufriedenheit mit der Wirtschafspolitik – zudem wird alle drei Monate zu besonders aktuellen Fragen berichtet.

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