Anlagenbau & Betrieb Einen Drachenzahn zulegen

08.06.2012

Die Chemieindustrie folgt den Märkten und Rohstoffen. Westliche Anlagenbauer sehen sich daher verstärktem Wettbewerb aus Asien gegenüber. Da heißt es: Stärken bündeln, schneller werden und dem gelben Drachen die Stirn bieten.

Allein im Jahr 2011 wurden weltweit Chemieanlagenbauprojekte im Wert von über 150 Mrd. US-Dollar angekündigt - Anlagen, die in den kommenden drei bis vier Jahren gebaut werden sollen. Dabei zeichnen sich zwei generelle Strategien ab: Hersteller von Commodities wie Primärkunststoffe zieht es in Regionen mit Rohstoffquellen, wie dem Mittleren Osten. So baut beispielsweise der US-Konzern Dow im Joint Venture Sadara gemeinsam mit Saudi Aramco am saudischen Standort Jubail derzeit einen integrierten Chemiekomplex, der ab 2016 jährlich drei Millionen Tonnen Chemieprodukte liefern soll. Auf der anderen Seite zieht es die Hersteller von Spezialchemikalien in die Absatzregionen: Nach Milliardeninvestitionen von BASF, Bayer, Evonik und Lanxess in Asien wurden jüngst weitere Projekte angekündigt. So will Bayer bis 2015 in Asien nochmals 1,8 Mrd. Euro investieren, die BASF plant bis 2020 in Schwellenländern Anlagen im Wert von 10 bis 12 Mrd. Euro und auch die Spezialchemiekonzerne Evonik und Lanxess machten im vergangenen Jahr mit Einzelprojekten wie der 400 Mio. Euro schweren Butylkautschuk-Investition (Lanxess) oder der rund 500 Mio. Euro umfassenden Methioninanlage (Evonik) in Singapur von sich reden. Auch in Europa und vor allem in Deutschland wird kräftig gebaut. Neben zahlreichen Neu- und Erweiterungsinvestitionen im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich treten vor allem die Erweiterung des Chemiehafens Rotterdam (ca. 10 Mrd. Euro) und die von der BASF für den Zeitraum bis 2015 angekündigten Investitionen (9 bis 10 Mrd. Euro in Ludwigshafen) hervor. Für Aufsehen sorgte Mitte Januar 2012 der Beschluss des Konzerns, bis Ende 2014 in Ludwigshafen einen Produktionskomplex für das Weichschaum-Vorprodukt Toluylen-Diisocyanat (TDI) zu bauen. Kostenpunkt: rund 1 Mrd. Euro. Durch Skalenvorteile und die für die BASF typische Integration will der Konzern zum günstigsten TDI-Produzenten in Europa werden. Auch nach Meinung von Dr. Claas-Jürgen Klasen, Chef des Evonik-Bereichs Process Technology & Engineering, werden Standort-Synergien im Projektgeschäft immer wichtiger: „Chemieparks mit ihren zentralen Infrastruktureinrichtungen ermöglichen intensivere Energie- und Stoffverbünde, ihre Bedeutung nimmt zu.“ Die hauseigenen Ingenieure oder „Owners Engineers“ sehen sich heute nicht mehr nur als interne Serviceabteilungen, sondern wollen dazu beitragen, den Unternehmenswert zu steigern. Da werden höhere Investitionskosten für eine Neuanlage in Kauf genommen, wenn im Wärmeverbund der Gesamt-Energiebedarf gesenkt werden kann. „Die optimale technische Lösung ist nur in Verbindung mit der detaillierten Kenntnis der Märkte, den spezifischen Produktanforderungen, den Rohstoffmärkten und den gesamten Herstellkosten zu ermitteln“, verdeutlicht Klasen den Unterschied zwischen klassischen EPC-Dienstleistern und betreibereigenem Engineering. „Gerade durch das Zusammenspiel mit den Betreibern, unseren international erfahrenen Engineering-Kompetenzen sowie den Lieferanten werden die Anlagen termingerecht, im Budget und vor allen Dingen sicher und qualitätsgerecht fertiggestellt und angefahren. Das unterscheidet die �??Owners Engineers‘ von anderen Anlagenbaufirmen“, pflichtet Dr. Jürgen Hinderer, Engineering-Chef bei Bayer Technology Services, bei. Die integrierte Betrachtung führt zu einer neuen Rollenverteilung zwischen auftraggebendem Chemieproduzenten, betriebseigenem Engineering und externen Anlagenbau-Dienstleistern. An die Stelle einer starren Abfolge, bei der der Auftraggeber nach seiner Konzeptplanung ein Auftragspaket für die schlüsselfertige Lieferung einer Anlage an ein EPC-Unternehmen vergibt, werden die Projektphasen nun ineinander verschränkt. Der Anlagenbau-Dienstleister wird einerseits früher in die Konzeptplanung einbezogen, andererseits erhält sich der Auftraggeber die Flexibilität für spätere �?nderungen. Voraussetzung für diese enge Zusammenarbeit sind strategische Partnerschaften, wie sie inzwischen verstärkt zwischen den Engineering-Abteilungen der Chemieunternehmen und unabhängigen Kontraktoren geschlossen werden. Zudem werden langfristige Partnerschaften und Rahmenverträge in den kommenden Jahren die Chemie überhaupt erst in die Lage versetzen, die angekündigte Projektflut zu bewältigen. Denn nur so werden sich EPC-Unternehmen darauf einlassen, flexibel als verlängerte Werkbank der Owners Engineers zu agieren.Die global agierenden Chemiekonzerne bedienen sich längst nicht mehr nur westlicher Anlagenbauunternehmen. Waren chinesische und vor allem südkoreanische Anlagenbauer bis 2008 in Projekten häufig noch willkommene Juniorpartner, die den westlichen Engineeringfirmen das personalintensive und risikobehaftete Montagegeschäft abnahmen, sind Samsung & Co. heute oft die Generalunternehmer, die bei europäischen Unternehmen nur noch Technologie zukaufen (lesen Sie dazu den Beitrag „Not built on sand“ in der Wendeheft-Ausgabe auf Seite 22). Sie punkten mit aggressiver Preisstrategie, Bereitschaft zum Risiko, strategischer Finanzierungsförderung, politischer Unterstützung und vor allem mit der Fähigkeit, Großprojekte bis zur Montage abzuwickeln. Deutsche Anlagenbauer haben das Problem erkannt und arbeiten derzeit intensiv daran, wieder eigene Montagekompetenz aufzubauen und ihre Präsenz in den Regionen ihrer Kunden zu verstärken. Um notwendige interkulturelle Kompetenzen systematisch zu entwickeln und den Aufwand für die Qualitätssicherung zu senken, wollen Owners Engineers und europäische Kontraktoren verstärkt Personal in den Beschaffungsmärkten aufbauen. So hat zum Beispiel der Anlagenbauer Linde im Jahr 2010 eine globale Beschaffungsstruktur eingeführt, in der sechs Procurement Center die Kontaktpunkte zu Lieferanten in den Regionen bilden. Den investierenden Chemieunternehmen gehe es darum, mit lokalen Mitarbeitern das Projektmanagement vor Ort erledigen zu können, vor allem aber auch um die Qualitätssicherung der Arbeiten mit lokalen Kontraktoren überwachen zu können, so Klasen. Und: Die Chemieanlagenbauer wollen im Rahmen der strategischen Partnerschaften mit globalen EPC-Unternehmen auch deren Beschaffungskompetenz in globalen Märkten nutzen. Auch die Planung von Anlagen, die aus Asien heraus in Europa und Deutschland gebaut werden, ist bereits Realität. Bayer Technology Services etwa hat Ingenieurkapazität in Asien aufgebaut und plant dort Anlagen auch nach deutschen Standards und Normen.

World-Scale in Modulen?

Ein in der Vergangenheit mehrfach prognostizierter Trend hat sich bislang im Chemieanlagenbau nicht durchgesetzt: Die aus Standard-Modulen aufgebaute Anlage im World-Scale-Format. Bisher schöpfend die Betreiber von Großanlagen ihre Wettbewerbsvorteile aus individuellen Anpassungen. In der jüngeren Vergangenheit führte die Neuentwicklung einer ganzen Reihe klassischer großtechnischer Verfahren - darunter die Chlorelektrolyse, die Ethylenoxid-Erzeugung oder das Chlorrecycling - zu deutlichen Verbesserungen hinsichtlich Rohstoff- und Energieeinsatz sowie Selektivität und Ausbeute. „Es wird immer Innovationssprünge geben, selbst bei der althergebrachten Schwefelsäure-Herstellung. Aber auch bei Batch-Verfahren, etwa in der Pharmaindustrie, gibt es noch eine Menge Innovationspotenzial“, erklärt Hinderer. Gerade bei Mehrprodukt- und feinchemischen Produktionsanlagen gibt es neue Trends: Flexible Kleinanlagen auf Basis standardisierter Module bis hin zum Containermodul sind hier ein Zukunftstrend, der in verschiedenen Forschungsprojekten untersucht wird. Die „Flexible Fast Future Factory“ (F3 Factory) basiert auf Modulen im Containerformat, aus denen nach dem Baukastenprinzip eine Produktion aufgebaut werden soll. Das Konzept wird im neu eröffneten Forschungszentrum Invite im Chemiepark Leverkusen untersucht. �?hnlich ist der Ansatz, der beim Spezialchemiehersteller Evonik gewählt wird: Small-Scale-Anlagen im Überseecontainer, in denen der Prozess unabhängig vom späteren Produktionsstandort entwickelt wird. Steigt die Nachfrage stärker als erwartet, wird die Produktion auf mehrere Container ausgeweitet. Das Konzept erlaubt es, Laborentwicklung und Basic-Engineering simultan vorzunehmen und dadurch Zeit zu gewinnen. Das Chemieunternehmen produziert in einer solchen Kompaktanlage (Evotrainer) seit 2010 am Standort Rheinfelden Silanverbindungen. Wie solche Chemieanlagen auf engstem Raum aufgebaut werden müssen, untersuchen die Evonik-Ingenieure im Rahmen des EU-Forschungsprojekts Copiride gemeinsam mit den Universitäten Eindhoven, Stuttgart und dem IMM Mainz. Bereits in diesem Jahr soll ein Allround-Container zur Verfügung stehen, mit dem im Chemiepark Marl ein Spezialpolymer im technischen Maßstab hergestellt werden soll.

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