Vergleicht man einen Rechner in einem Schienenfahrzeug oder in der Zugbeeinflussung mit Computern in anderen Embedded-Anwendungen, fallen zwei Hauptunterschiede auf. Zum einen unterliegt eine bahntaugliche Steuerung härteren Anforderungen an die Elektronik bezüglich Robustheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit und erfordert entsprechende Vorkehrungen und fundiertes Wissen in Design, Produktion, Qualifizierung und Produktpflege. So gibt es die in der Norm EN 50155 definierten Vorschriften bezüglich unterschiedlicher Umwelteinflüsse. Die Betriebstemperatur ist in Klassen eingeteilt: Tx besagt beispielsweise, dass der Rechner zwischen -40 und 70 °C betrieben werden kann, für zehn Minuten sogar bis 85 °C. Gegen Feuchte oder Betauung muss die Elektronik im System mit Speziallacken überzogen werden können, gegebenenfalls ist Spritzwasserschutz des Gehäuses erforderlich. Des Weiteren sind bezüglich Stoßbelastung und Vibration, Verhalten bei Überspannung, Entflammbarkeit der Leiterplatten, Anforderungen an Lötungen und Verbindungen usw., die festgelegten Normen einzuhalten.
Sichere Systeme
Der zweite Hauptunterschied bezieht sich auf Anwendungen, die zusätzlich die Sicherheit der elektronischen Systeme fordern. Dabei ist ein sicheres System ein System mit einem definierten Fehlerverhalten. So genannte „Fail-Safe“-Systeme schalten im Falle eines Fehlers ab und haben dann einen sicheren Zustand - der Zug hält notfalls an. Fehlertolerante Systeme dagegen arbeiten auch dann korrekt weiter, wenn ein Teil des Systems ausgefallen ist - zwingend erforderlich etwa im Stellwerksbetrieb. Erreicht wird dies durch redundant aufgebaute Rechnerstrukturen und permanenten Test aller Komponenten. Die gemäß der so genannten SIL-Level (SIL = Safety Integrity Level) erforderliche Zuverlässigkeit reicht von SIL 1 bis SIL 4 und richtet sich nach der Häufigkeit der Nutzung. Nicht zuletzt muss sich ein Unternehmen auch aus kommerzieller Sicht als Zulieferer für den Bahnmarkt qualifizieren. Das Regelwerk der IRIS (International Railway Industry Standard) zeigt am besten, was verlangt wird. IRIS setzt als Qualitätsmanagementsystem auf der ISO 9001 auf, verlangt aber eine sehr detaillierte Dokumentation der Verfahren und Prozesse mittels Kennzahlen, um eine hohe Qualität der gesamten Lieferkette der Bahnindustrie sicherzustellen. IRIS-Prozesse beinhalten beispielsweise Risiko-Management, Wissens-Management oder auch ein Abkündigungs-Management. Langzeitverfügbarkeit besitzt im Bahnmarkt eine enorme Wichtigkeit, wenn man bedenkt, dass die Fahrzeuge vor Inbetriebnahme aufwändige Abnahmeprozeduren durchlaufen müssen und dementsprechend jahrzehntelang im Einsatz sind. Zu den wichtigsten IRIS-Verfahren zählen RAMS (Reliability - Availability - Maintainability - Safety) oder auch FAI (First Article Inspection). Und schließlich müssen alle zwölf K.O.-Kriterien der IRIS, eines davon ist die Entwicklungsvalidierung, bei einem Zertifizierungsaudit ohne Ausnahme erfüllt werden. Wie ein solcher bahntauglicher Computer nun aufgebaut ist, hängt natürlich im Einzelnen von der Aufgabe ab.
Bahntypische Rechnerarchitekturen
Nach wie vor müssen viele Funktionen speziell für die Anwendung entwickelt werden, aber bei konsequenter Produktplanung und Roadmap des Elektronikzulieferers lassen sich immer mehr Rechner zumindest teilweise aus Standardkomponenten aufbauen. Das spart Zeit und Kosten. Bewährt hat sich aufgrund seiner Modularität, Wartungsfreundlichkeit und Robustheit das auf dem Europakartenformat basierende CompactPCI-Bus-System im Bereich der 19-Zoll-Lösungen. Ursprünglich auf dem parallelen PCI-Bus aufsetzend, gibt es heute mit CompactPCI PlusIO und CompactPCI Serial Weiterentwicklungen mit serieller Schnittstellenarchitektur, das heißt PCI Express, SATA, USB und Ethernet auf dem Rückwandbus. CompactPCI-Systeme sind ideal für den Einsatz in der Fahrgastinformation als Content-Server oder Multimedia-Access-Units und in der Fahrgast- und Zugüberwachung zur Aufzeichnung und Verwaltung von Kameradaten oder auch beim Ticketing. Sie können mit Diagnose-, Wartungs- und Service-Funktionen kombiniert sein. Eine oder mehrere CPU-Karten im gleichen System können unterschiedliche Steuerungsaufgaben übernehmen und untereinander Ergebnisse austauschen. Seitens der Prozessorarchitektur stehen immer die aktuellsten Intel-Plattformen zur Verfügung - aktuell der i7 (erste und zweite Generation) oder auch ein Typ der Intel-Atom-Familie, aber eben auch rückwärtskompatible CPU-Karten-Modelle bis zum Pentium M. Stromsparende Versionen erlauben dank individuell konzipierter Kühlkörper bei Bedarf den Verzicht auf aktive Lüfter im System. Unter noch härteren Bedingungen werden die einzelnen Baugruppen in CCA-Rahmen gepackt und in Conduction-Cooling-Gehäusen untergebracht, die auch noch spritzwassertauglich (IP67) sind.
Löten statt Stecken
In weniger geschützten Standard-19-Zoll-Gehäusen besteht immer noch die Möglichkeit, die gesamte Elektronik gegen Feuchte und Betauung, aber auch Staub zu lackieren - dies sollte bereits bei der Entwicklung berücksichtigt werden. In schock- und vibrationsreicher Umgebung sollte auch möglichst auf Stecker verzichtet werden. So sind idealerweise alle Komponenten auf den Baugruppen - auch CPU und Arbeitsspeicher - fest verlötet. Robust genug sind die 2-mm-CompactPCI-Systemstecker zum Rückwandbus (auch die neuen AirMax-Stecker für CompactPCI Serial). Für die Schnittstellenausgänge an der Rechnerfront verzichtet man besser auf Typen wie RJ45 und nimmt stattdessen DSUB-, Lemo- oder M12-Verbinder, die es mittlerweile sogar für Gigabit Ethernet gibt, bzw. SMA-Stecker für die Antennen auf Wireless-I/O-Karten.
Flexibel durch Modularisierung
Gerade die Infotainment-Rechner sind auf eine Menge flexibler Schnittstellen zu anderen Rechnereinheiten im Zug und besonders zur Außenwelt angewiesen. Hier kommt ein weiteres Plus der CompactPCI-(Serial)-Systeme zum Tragen: bis zu 7 (8) Peripherieslotkarten (und weitere mit Bridging) mit allen denkbaren Ein-/Ausgabe-Funktionen werden einfach ins System gesteckt - dabei wird auch Hot Swap unterstützt. Dies können zusätzliche UART-, USB- und Ethernet-Interfaces sein, Multimedia-Anschlüsse für mehrere Monitore und Audio-Ein/Aus, Feldbusanbindungen vom CAN-Bus bis zum bahnspezifischen MVB und WTB bzw. Switches oder Gateways zwischen Zugbus, Wagenbus und übergeordneter Ethernet-Kommunikation. Mit CompactPCI-Trägern für PCI-Express-MiniCards und kombinierten SIM-Kartensteckplätzen kann die ganze Welt an HF-Anforderungen abgedeckt werden - WLAN, UMTS, GPS, GSM, HSDPA, LTE - bis hin zum bahnspezifischen GSM-Rail. Eine weitere Modularisierung lässt sich durch die Verwendung von Standard-Mezzanin-Karten erreichen - so passen zwei M-Module bzw. ein PMC oder XMC oder PC/104 auf einen CompactPCI-Träger im Einfacheuropaformat. Die Auswahl an Mezzanin-Karten unterschiedlicher Hersteller ist riesig und insbesondere bei M-Modulen gibt es vielfältige analoge und binäre Ein-/Ausgabe- sowie Messtechnik- und Motion-Funktionen. CompactPCI-Karten mit individuell programmierbarem FPGA und einem breiten Spektrum an IP-Cores sind eine zusätzliche Alternative, um eine Anwendung weitestgehend mit Standardkomponenten zu realisieren. Die Verwendung von CompactPCI-Systemen für die Fahrgastüberwachung spielt einen weiteren Vorteil aus: Gerade mit dem neuen CompactPCI-Serial-Standard lassen sich komplexe SATA-RAID- oder NAS-Systeme für die Aufzeichnung von Kameradaten besonders einfach konfigurieren. Moderne Prozessoren unterstützen bis zu 8 SATA-Kanäle, die genutzt werden können, um über eine Standardbusplatine acht robuste, hot-plug-fähige Festplatten-Shuttles anzusteuern.
Sichere Rechner
Auch für sichere Rechner in der Zugsteuerung, Zugsicherung und Leittechnik bis hin zum fahrerlosen Betrieb mit ATO-Systemen ist CompactPCI bzw. CompactPCI Serial die ideale Plattform. Identisch aufgebaute Sub-Rechner, jeweils mit einer CPU-Karte, Ein-/Ausgabe-Funktionen und eigenem Netzteil auf separaten Busplatinen werden im gleichen Rack oder verteilt auf mehrere Racks zu redundanten, sich gegenseitig überwachenden Komplettsystemen verbunden. Die Kommunikation erfolgt beispielsweise über Ethernet. Man spricht dann von 1oo2(1-out-of-2)-Architektur, und wenn zusätzlich zur Sicherheit auch Verfügbarkeit gefordert ist, auch von 2oo3- oder 2oo4- etc. Architektur. Der Arbeitsspeicher in solchen Systemen ist dann typischerweise über ECC gesichert, eine andere einfache Möglichkeit ist die Verwendung von Reflective-Memory-Baugruppen im System. Bis SIL 3 und SIL 4 lassen sich auch einzelne Rechnerbaugruppen zertifizieren, die mit dreifacher Redundanz von Prozessor und Arbeitsspeicher und mit „onboard“ Voter ausgestattet sind sowie über weitere sicherheitsrelevante Eigenschaften wie BITE (Built-In Test Equipment) verfügen. Eine Lockstep-Architektur sorgt dafür, dass das (ebenfalls sichere) Betriebssystem nur eine CPU sieht und der Software-Aufwand damit reduziert wird. Da viele (CompactPCI-)Systeme im Bahneinsatz nicht unbedingt leistungsfähige Grafik erfordern und Windows als Betriebssystem zumindest für sichere Rechner nicht die erste Wahl ist, werden immer wieder auch CPU-Karten mit PowerPC-Prozessoren eingesetzt. Einige Vertreter der PowerQUICC-II- und -III-Familien sind mit weniger als einem Watt Verlustleistung sehr stromsparend, während die leistungsstarken Typen der QorIQ-Familie bis zu acht Rechnerkerne bieten. Auch Kombinationen von Intel-basierenden Host-CPUs mit PowerPC-basierenden Slave-CPUs im selben System sind üblich, etwa für Diagnose- und Wartungsfunktionen in verschiedenen Anwendungen. So kann die über Ethernet angebundene Slave-CPU als Diagnose-Puffer verwendet werden. Die PowerPC-Karte unter dem Echtzeitbetriebssystem VxWorks bootet deutlich unter zwei Sekunden und ist lange vor dem Intel-Host betriebsbereit.
Robuste Gehäuse
Egal ob es sich um CompactPCI (Serial) oder ein anderes eingebettetes System handelt - Kompaktheit, Robustheit und Normenkonformität ist immer oberstes Gebot. Mit so genannten Computer-On-Modules (COMs) lassen sich kleine Systeme ebenfalls sehr flexibel und kostengünstig aufbauen. Während auf dem COM als Standardkomponente bereits die komplette Rechnerarchitektur realisiert ist, können Trägerkarten in kurzer Zeit anwendungsspezifisch dazu entwickelt werden. COM-Standards wie ESMexpress und ESMini sind von einem Aluminiumgehäuse umschlossen, das zur Wärmeableitung an die Gehäusewand angeschlossen wird, und dadurch von vornherein für lüfterlose Conductive-Cooling-Systeme ausgelegt. Auf dieser Basis gibt es auch Standardsysteme wie Box-Computer, die zur Steuerung unterschiedlichster Fahrzeugfunktionen eingesetzt werden und in speziellen Gehäuseausführungen auch über Spritzwasserschutz (IP67) verfügen. Auch intelligente Display-Computer für Fahrgastinformationssysteme (PIS) und Führerstandsysteme sind idealerweise in Conductive-Cooling-Technik ausgeführt und dann für Anwendungen bis Temperaturbereich Tx (-40 bis 70 °C Dauerbetrieb und zehn Minuten bis 85 °C) erhältlich. Box- und Display-Computer sollten wie auch die CompactPCI-Systeme neben den üblichen Computerschnittstellen über bahntaugliche Netze und Telefonverbindung zur drahtlosen Kommunikation verfügen - etwa um Servicedaten an die Zentrale zu leiten oder Verkehrsinformationen zu empfangen. Ethernet-Switches schließlich sorgen dafür, dass die Kommunikation im Fahrzeug funktioniert und relevante Information an die unterschiedlichen Rechnersysteme verteilt wird. Sie werden noch hauptsächlich für die datenintensiven neueren Einrichtungen wie Infotainment und Content-Server, CCTV-Videoüberwachungskameras, Web-Zugang und drahtlose Dienste wie GPS oder GSM verwendet. Andere Subsysteme kommunizieren noch mehr oder weniger mit standardisierten Feldbussen wie WTB/MVB, CAN-Bus, ProfiNet oder WorldFIP. Allerdings haben einige Hersteller bereits den ersten Schritt getan und Ethernet IP als Informationsbus neben WTB als Zugbus und MVB, CAN etc. als Fahrzeugbus etabliert.Ethernet-Switches stecken als Baugruppen in CompactPCI-Systemen und kommen als Einschub-Komponenten für 19-Zoll-Systeme und als kompakte, eigenständige Geräte mit IP67-Schutz zum Einsatz.
Verkehrsträger der Zukunft
Die Bahn als modernes Verkehrssystem wird in immer stärkerem Umfang computerisiert. Rechnersysteme für Bahnanwendungen müssen alle heute gängigen PC-Funktionen aufweisen und auf dem neuesten Stand der Technik sein. Aber nicht nur das: Robustheit, Sicherheit und Langzeitverfügbarkeit werden darüber hinaus in diesem Markt verlangt. Über ein entsprechendes Know-how und die erforderlichen Schlüsselkompetenzen müssen die Hersteller solcher Computer verfügen, damit die weltweite Renaissance des Schienenverkehrs dauerhaften Erfolg hat - als zukünftiger Verkehrsträger Nummer 1, warum nicht!